Renault ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein Créateur d’Auto-mobiles geworden. Gratulation. Was das ist, fragen Sie? Ein Couturier für Fahrzeuge – so will es die Firmen-PR suggerieren. Man muss beim Prunkstück der neuen Flotte, dem Vel Satis, gar nicht sehr genau hinsehen, um zu ahnen, was gemeint ist: Extravaganz im Geiste Gaultiers mit einem Hauch französischem New Wave à la Luc Besson. Ein Auto, das Isa- belle Adjani in einem Science-Fiction-Film des Jahres 1986 gefahren hätte.

Die Gaultierhaftigkeit von Renault – im Gegensatz zu dem Dior-mässigen von Citroën (Meisterwerk: die DS) – begann mit dem Twingo, dem Kleinstwagen, der einem Comic von Enki Bilal entsprungen war. Sie setzte sich fort im Kangoo und bekam schliesslich mit dem Avantime (sic!) jenes dekonstruktivistische Retro-Futur-Dekor, das vollendet im Vel Satis zu bestaunen ist. Eine Oberklassenlimousine soll es sein und ist doch vielmehr ein Manifest gegen den gesetzten Traditionalismus, mehr noch gegen jenen fast preussischen Swing der überwiegend deutschen Top-Gefährte.

Die Luxuswelt à la française mit Holz-Intarsien in bester Tischlerkunstmanier und handgenähtem Leder appelliert an alle Klischees des viel beschworenen Savoir-vivre beziehungsweise «Leben wie Gott in Frankreich». Renault hat unsere Volksweisheiten über die geschätzten Nachbarn materialisiert und fährt imposante schwarze Zahlen ein. In Deutschland konnte der Marktanteil im ersten Halbjahr 2002 von 5,8 auf 6,6 Prozent gesteigert und trotz rückläufigem Gesamtmarkt der Absatz um fast zehn Prozent erhöht werden.

Die gerade vorgestellte neue Generation des Mégane im Re-Fu-Dekor wird schon jetzt von der Fachpresse bejubelt. In der Art, wie die Deutschen immer Vorsprung durch Technik hatten, überholt sie Renault selbstbewusst mit einem innovativen Design, das anders als bei BMW (7er und Z 4) weniger verschreckend denn einnehmend wirkt. Auf einmal – und das ist der Triumph – wirkt die Konkurrenz altmodisch. Gemeinsam mit dem Luxus-Van Avantime hat der hyper-postmoderne Nonkonformismus des Vel Satis alle bisherigen Weisheiten über die Repräsentationsmechanik der Oberklasse über den Haufen geworfen.

Von hinten sieht er aus wie ein Bügeleisen, von vorne wie ein Skischuh. Für die Damen mit den grossen Hüten ist er hoch wie ein Van (1,58 m), im Fond verblüfft er als Kino – lassen sich doch die Rückseiten der Vordersitze mit hochwertigen Bildschirmen ausstatten. Der Vel Satis ist damit nicht nur formell, sondern auch semantisch ein dekonstruktives Objekt: Es entzieht sich den eindeutigen Zuschreibungen und Definitionen. Dank der geräuschdämmenden Windschutzscheibe und dem sonoren Wirken des grosshubigen Sechszylinders hat man das Gefühl, durch die Welt zu schweben. So lässt sich das dekonstruktive Grundgefühl der Dislokation mit Wonne geniessen.

Für Bodenhaftung sorgt dabei nur der anspruchsvolle Verbrauch, der nicht mehr in die Zeit passt (16,8 Liter Super in der Stadt). Unser Herz würde Renault zufliegen, wenn diese Autos auch noch ökologisch «avantime» wären.