853 Kilometer, 9 Stunden und 20 Minuten reine Fahrzeit – aber sie braucht alle halbe Stunde eine Pinkelpause, weil sie nonstop Gurkenwasser aus mitgebrachten Glasflaschen trinkt. Der Nachschub scheint endlos. Ihre Blase klein. Sie werden niemals ankommen, denkt er. Erfrischend, sagt sie, total erfrischend. Ob er auch wolle? Nein, will er nicht. Und er will auch nicht dauernd für sie anhalten, an jeder einzelnen Raststätte zwischen Zürich und Rom, aber das behält er für sich.

Er hatte sich das selbst eingebrockt. Beziehungsweise: Sie hatte schon lange davon geschwafelt, dass sie nach Rom wolle, also erfüllte er ihr den Wunsch. Nicht völlig selbstlos: Es gab Ablenkung in Rom. Besser als Liege an Liege am Strand und dazu ihr Gift in den Ohren. In Rom würden sie gar nicht übereinander nachdenken können, zu viel war da los: Kolosseum, Petersdom, Pantheon – und die schönen Töchter anderer Männer in kurzen Röcken. Hinsehen, wegträumen. Dazu Pizza und Rotwein. Genug Rotwein, um es gar nicht mehr zu hören, wenn sie den Mund aufmachte.

Weisst du, sagt sie, ich hätte mich schon gefreut, wenn du wenigstens noch die Bilder aufgehängt hättest vor der Abreise. Hast du wenigstens Elisabeth geschrieben, wegen dem Giessen? Was? Vergessen? Das gibt’s doch nicht! – Er seufzt. Sie sind nicht mal ganz durch den Gotthard, schon möchte er umdrehen. Spricht sie nur noch mit ihm, wenn es darum geht, ihm seine Pflichten und Versäumnisse unter die Nase zu reiben? In den ersten Jahren gab es zumindest Momente der Zufriedenheit. Die hatten mit Sex zu tun, bei dem er sich Mühe gab, ihr Lust zu bereiten. Aber sein Stehaufmännchen bleibt immer häufiger liegen, je mehr sie ihn an seine Mutter erinnert, er ist ja nicht pervers.

Licht am Ende des Tunnels. Tatsächlich fühlt er sich seltsam schwerelos, als sie den Gotthard verlassen. Und dann: Blitzeingebung! Er wartet bis zum nächsten Rastplatz, kann es kaum erwarten, dann fährt er raus. Ich muss nicht pinkeln, hallo?, sagt sie mit ihrem Zitronenmündchen. Überheblich, immer überheblich, die Gute – aber nicht mehr lange. Er lächelt, gleich ist es vorbei. Sie halten. Raus, sagt er bestimmt. Sie zögert. Raus jetzt, sofort!, bellt er sie an. Sie folgt ihm perplex. Hier sind 100 Franken, da ist dein Gurkenwasser: Tschüss. Als sie checkt, was passiert, hat er schon von innen verriegelt. Er lacht, als sie sich aus ihrer Schockstarre löst und dem Auto hinterherrennt. Er lacht immer weiter, saust Richtung Süden. Ausgesetzt! An der Autobahn! Wie ein Haustier! Beste Entscheidung seines Lebens. Ciao Roma, sto arrivando!