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Mit der akribischen Darstellung von betenden Händen, farbintensiven Landschaftsaquarellen oder einfühlsamen Studien rammelnder Hasen ist er in seiner langen Karriere weniger in Erscheinung getreten; seine Bestimmung sah Hermann Nitsch eher in einem Genre, das von vielen wütend abgelehnt wurde – gelinde gesagt (es gab Haftstrafen, Morddrohungen und ähnliche Unfreundlichkeiten). Der gebürtige Wiener beschrieb sein «Orgien Mysterien Theater» so: «das lebensbejahende fest des orgien mysterien theaters beschäftigt sich mit dem gang des denkenden fleisches und dem sinnlichen erleben unserer wirklichkeit. die anatomische beschau unserer fleischlichen leiblichkeit vertreten durch die geschlachteten tiere, durch die öffnungen und ausweidungen ihrer leiber. die herausdringenden gedärme und eingeweide werden mit blut und schleim beschüttet. der sinnliche prunk der opfervorgänge drängt zur auferstehung des fleisches. der nackte menschliche körper erlebt existierend voll passiv und aktiv das sein.»

Das Manifest war nicht blosses Wunschdenken. Nitsch hat die drastischen Ideen bei seinem Sechs-Tage-Spiel im österreichischen Prinzendorf in die Tat umgesetzt. Dort setzten sich die Fans des Künstlers mit allen Sinnen den frischen Innereien von Schweinen, Lämmern und sonstigem Getier aus – die olfaktorische Wirkung dieser im Sommer abgehaltenen Festspiele mag man sich im Einzelnen gar nicht vorstellen. Immerhin kamen gelegentlich auch Tomaten ins Spiel, «weil sich Tierblut aufgrund der hohen Aussentemperaturen über einen längeren Zeitraum nicht verwenden lässt», wie ein Beteiligter bemerkte.

Das grosse Thema im Leben von Hermann Nitsch war die Entgrenzung, und die erforderte nicht nur Können, sondern auch Bildung. Früh schon war klar, dass sich das Temperament des wuchtigen Berserkers nicht in isolierte Ausdruckszonen würde einhegen lassen. Noch während seines Studiums an der Höheren Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt (sic!) in Wien interessierte er sich brennend für die Idee der Aufhebung von Genre-Grenzen.

Das bedeutete die Beschäftigung mit den Werken der griechischen Tragödie, der Mystik, der Weltreligionen, der Philosophie, der Psychoanalyse, des Theaters und schliesslich der Oper – angefangen bei Claudio Monteverdi und gipfelnd beim megalomanen Œuvre Richard Wagners. Lebenslang fahndete Nitsch begierig nach dem Material, das die Kulturen der Welt zur Befeuerung seiner Fantasie bereithielten. Zuletzt liess er für drei Aufführungen der «Walküre» bei den Bayreuther Festspielen seine berühmten Schüttbilder live kreieren – das Publikum dankte ihm die Aktion mit stehenden Ovationen und ein paar Buhs (die er sichtlich genoss). Hermann Nitsch ist am Ostermontag in Mistelbach, in der Nähe seines Museums, 83-jährig gestorben.

Thomas Wördehoff