Jeder Bürger und gute Demokrat, der sich über den Zerfall des Werts seiner Stimme an der ­Urne zu wundern beginnt, der sollte gelegentlich die Homepage des Vereins «Unser Recht» (www.unser-recht.ch) konsultieren. Dort kann er sich auch über die drohenden weiteren ­Kursverluste ins Bild setzen. Die feine Gilde, präsidiert vom Zürcher PR-Berater Ulrich E. Gut (FDP), Ehemann der ebenfalls im Klub agierenden Zürcher Regierungsrätin Ursula Gut (FDP), verfolgt den eher umständlich formulierten Zweck, «für Verständnis, Achtung und Weiterentwicklung von Rechtsstaat und Völkerrecht im Verhältnis zur Demokratie einzutreten». Etwas knapper, dafür genauer: Die Gruppe, die sich im letzten Dezember formiert hat, führt an vorderster Front den Kleinkrieg gegen die direkte Demokratie und für den Aus­bau des Richterstaats.

Die gegen eine Gebühr von 100 Franken pro Jahr vereinten 82 Leute (Stand: 10. Mai 2008) bilden einen schönen Querschnitt durch die Milieus der hiesigen Professoren, Richter, Politiker, Internationalisten und Gutmenschen. Peter Arbenz, der ehemalige Flüchtlingsdelegierte und Promotor der gescheiterten Gold-Stiftung, führt den Klub alphabetisch an. Eidgenössische Parlamentarier wie Andreas Gross (ZH), Urs Hofmann (AG), Alec von Graffenried (BE), Claude Janiak (BL) oder Alain Berset (FR) repräsentieren den rot-grünen Bezirk; Fritz Schiesser (GL), Nationalrat Kurt Fluri (SO) und Ständerat Dick Marty (TI) den Linksfreisinn; Rosmarie Zapfl und Nationalrätin Barbara Schmid-Federer (ZH) die Links-CVP. Der omnipräsente alt Bundesrichter Giusep Nay (CVP, GR) sorgt für die Vernetzung mit dem Milieu der Rechtsgelehrten und anderen Anti-SVP-Kreisen. Die prominentesten Staatsrechtler im Boot sind Daniel Thürer (Zürich), Rainer J. Schweizer(St. Gallen) und Georg Müller, bekannt ge­worden als Gutachter gegen den damaligen Bundes­rat Christoph Blocher im Streit um den GPK-Bericht zum Fall des gescheiterten Bundes­anwalts Valentin Roschacher.

Einbürgerungsinitiative als erste Schlacht
Mitfinanziert wird die parteiübergreifende politische Übung von Thomas W. Bechtler, Multi-Verwaltungsrat (Credit Suisse, Swiss Re etc.) sowie Vizepräsident der Zuger Beteiligungsfirma Hesta AG. Bei «Unser Recht» ist Bechtler einziges «Kollektivmitglied mit wirtschaftlicher Zielsetzung» und verantwortlich für die Verlinkung mit Menschenrechtslobbys. Den Direktkontakt zur neuen Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf stellt deren persönlicher Mitarbeiter Sébastien Leprat (FDP) sicher. Fehlplatziert auf der langen Liste der Kritiker der direkten Demokratie ist nur der Glarner SVP-Ständerat This Jenny; dieser votierte in der Kleinen Kammer nämlich engagiert für die parteieigene Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen».

Denn das «entschlossene Auftreten» der Truppe «gegen jede Schwächung des Rechtsstaates» (Ulrich E. Gut) richtet sich aktuell ­genau und intensiv gegen das Volksbegehren, das dem Bürger das alte Recht zurückgeben will, über Einbürgerungen frei entscheiden zu können. Diesen Kampf gegen die Retablierung des vom Bundesgericht 2003 mit einem Federstrich entwerteten Volksrechts bezeichnet Gut als «die erste, vielleicht etwas zu frühe Bewährungsprobe» seines Zirkels.

Was immer als Argument für den souveränen Willen des Bürgers vorgebracht wird, wird vom Verein gekontert. Er giftelt gegen Robert Nef, den Präsidenten des Liberalen Instituts, dessen konsequent freiheitliches Konzept den freien Entscheid des Bürgers über Einbürgerungen ausdrücklich stützt. Er bietet der politisch heimatlosen Justizministerin die Plattform für ihre Argumente gegen die SVP-Initiative. Ebenso organisierte er eine Resolution von siebzig Professoren gegen das Volksbegehren; neben den vereinseigenen Dozenten unterschrieben die permanent fortschrittlichen Andreas Auer (Genf/Zürich), Walter Kälin (Bern), Heinrich Koller (vormals Bundesamtsdirektor), alt Ständerat René Rhinow (BL) oder Jörg Paul Müller (Bern) das Memorandum, das von NZZ-Redaktor Christoph Wehrli, zuständig für die Gratiswerbung für die Gruppe, umgehend in den Rang eines Glaubensaxioms gehoben wurde. Interessanter allerdings ist, dass das umfangreiche Verzeichnis der Magister namhafte Lücken aufweist: So fehlt zum Beispiel, bemerkenswert, der von den Studenten (im Rating www.meinprof.ch) als «Top-Professor» ausgezeichnete Markus Müller, ein ­unabhängiger Professor für öffentliches Recht an der Universität Bern, ebenso auf der Liste wie Hansjörg Seiler (Luzern). Dass der frühere Justizminister und Rechtsprofessor Arnold Koller (CVP) den willkürlichen Entscheid des Bundesgerichts stets scharf kritisiert hat, wird im parteipolitisch motivierten Manifest der Koryphäen gleichfalls ver­schwiegen.

Der Versuch, die Einbürgerungsinitiative der SVP scheitern zu lassen, ist nur die erste Schlacht. Bereits angekündigt ist der Widerstand gegen das Minarettverbot und gegen die Initiative des Rechtsfreisinns, die das Beschwerderecht der Umweltverbände und die Macht der Gerichte nach politisch gefällten Entscheiden einschränken will. Werden die Volksrechte gestärkt, ist «Unser Recht» automatisch dagegen; werden die demokratischen Mittel eingeschränkt, dann ist «Unser Recht» dafür. Mit nicht geringem Eifer arbeitet die Gruppe am Aufbau der Übernahme des Staates durch eine schmale Elite der Weisen, Gerechten und Akademiker im Lande.

Die Mehrheit der Staatsrechtler, die philosophierenden Politiker und politisierenden Juristen verherrlichen die steigende «Bedeutung des internationalen Rechts», das nicht länger als Hemmnis beklagt werden dürfe, sondern als «zivilisatorische Errungenschaft» vorbehaltlos zu preisen und durchzusetzen sei. In jedem Fall geniesse das hohe (internationale) Recht den Vorrang vor den Entscheiden der demokratischen helvetischen Basis, die als «willkürlich» desavouiert werden.

«Die Souveränität des Volkes» sei eben «nicht mehr die gleiche wie vor zwanzig und dreissig Jahren», erklärte kürzlich in einer Schrift der Berner Staatsrechtler Pierre Tschannen, Mitunterzeichner der Resolution. Er ­lobte die blinde Akzeptanz und schlanke Übernahme der Normen der Staatengemeinschaft als neue «bürgerliche Vernunft». Was notwen­digerweise heisst, dass jedes Beharren auf individueller oder nationaler Eigenständigkeit «unvernünftig» ist oder gar «Zersetzung» des Staates bedeutet, wie Tschannen, autoritär bis drohend, nachschiebt.

Volksbegehren erledigen
Starke Worte im Vorfeld eines Urnengangs, der real geringe Auswirkungen hat: Selbst wenn die Initiative «für demokratische Einbürgerungen» angenommen werden sollte, würde sie höchstens das Verfahren in fünf Prozent ­aller Gemeinden berühren. Da es sich durchwegs um kleinere Kommunen handelt, dürfte das erneuerte (alte) Recht faktisch nicht einmal jedes hundertste Einbürgerungsverfahren betreffen. Am 1. Juni wird an der Urne keine praktische, sondern eine grundsätzliche Frage entschieden: Wer hat die Macht im Staat? Das Volk oder die Behörden?

Tatsächlich geht es den Staatsjuristen längst nicht mehr um ein Ja oder ein Nein zu dieser oder anderen Vorlagen, sondern schon um das Thema, welche Abstimmungen hierzulande überhaupt noch zugelassen werden sollten. Konkret zielt «Unser Recht» auf die Revision von zwei Verfassungsartikeln. Den ersten Angriff auf die Volksrechte hat die Zürcher Professorin Helen Keller unter dem Motto «Volksinitiativen und Völkerrecht: Die Zeit ist reif für eine Verfassungsänderung» skizziert: Nach neuer akademischer Lehre, behauptet sie, sollten Volksinitiativen nicht nur dann für ungültig erklärt werden, wenn sie zwingendes Völkerrecht verletzen (Art. 139), sondern bereits dann, wenn sie internationale Bestimmungen und Verträge tangieren, die für die Schweiz von «vitaler Bedeutung» seien – was immer dies heissen mag. Unter solchem Titel liessen sich alle ungenehmen Volksbegehren, etwa die Forderungen nach einem Minarettverbot oder der Ausschaffung schwerkrimineller Ausländer, rasch erledigen. (Die Frage, ob ein Schweizer Offroader-Verbot, wie die Grünen es per Initiative verlangen, nicht auch vitale WTO-Bestimmungen verletze und dann dem Volk nicht vorgelegt werden dürfe, brachte Keller kürzlich an einer Tagung allerdings in etwelche Verlegenheit.)
Ein Ärgernis für die Volksverächter bleibt Artikel 190, der vorschreibt, dass für das Bundesgericht nationale Gesetze gleich verbindlich sind wie das Völkerrecht. Weil Volk und Parlament Gesetze beschliessen könnten, die nicht exakt dem internationalen Recht entsprechen, müsse, so der Plan der Juristengilde, in der Verfassung der Vorrang des Völkerrechts festgeschrieben werden. Konsequenterweise soll überdies dem Parlament die Befugnis entzogen werden, über die Gültigkeit von Volksinitiativen zu entscheiden. Diese Aufgabe hätte entweder das Bundesgericht oder ein neues hohes Gremium zu übernehmen. Alt Ständerat Thomas Pfisterer, Mitinitiant des Vereins «Unser Recht», will eine «präventive Verfassungskontrolle» einrichten und eine «Verfassungsdelegation» installieren, die nicht nur Vorlagen des Bundesrats, sondern auch sämtliche Entscheide des Parlaments zu prüfen und bei Beanstandungen zu annullieren hat.

Es ist ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Volk, dem einzelnen Bürger und allen direktdemokratischen Mitteln, das den intensivierten und beschleunigten Tatendrang der Rechtsgelehrten leitet. Der von Weisen gelenkte Staat, so das Credo der akademischen Bruderschaften, habe das unberechenbare Individuum und die Parteien zu zügeln.

Staatsgewalt gegen die SVP
In die politische Aktualität umgesetzt, lautet ihr Ziel: Staatsgewalt und Intelligenzija müssen sich der stärksten politischen Partei, der SVP, entgegenstellen. Darum spricht der Chor der Staatsrechtler sich derzeit auch dafür aus, dass der Bundesrat aktiv gegen die Opposition in Abstimmungskämpfe eingreifen kann. (Als Professor Andreas Auer noch in Genf lehrte, dozierte er das Gegenteil und sprach der Genfer Regierung das Recht ab, für eine neue Brücke am Rand des Sees zu werben.)

Was ex cathedra als abstrakte Rechtstheorie daherkommt, wird von populärer argumentierenden Schwesterorganisationen zum konkreten politischen Programm gemacht. Ein Stimmungsmacher mit viel Echo in den Medien ist der selbstgefällige «Club Helvétique» (www.clubhelvetique.ch). Die Vorreiter einer gelenkten Demokratie, die sich 2005 ­unter diesem Dach gefunden und vor den ­nationalen Wahlen 2007 zur Abwehr der SVP gesteigerte Aktivitäten entfaltet haben, heizen die Debatte mit allerlei demokratiefeindlichen Schlagworten an: «Stärkung der staatlichen Institutionen gegen die Wettbewerbsdemokratie», «Vernunft und Konkordanz gegen emotionale Debatten», «für ein starkes Recht», «das Volk darf nicht alles», «gegen unhaltbare Volksinitiativen», «für eine Verfassungs­gerichts­barkeit».

Der Zürcher Geschichts­professor Hansjörg Siegenthaler «ärgert» sich seitenlang und mit Verweis auf die Sozial­demokraten «über den hierzulande praktizierten Steuerwettbewerb», plädiert für eine ­höhere Fiskalbelastung, einen mächtigen, autoritären Staat und also für die Ausweitung der Macht der Beamten: «Es lohnt sich, Handlungsspielräume für Staatsdiener auszubauen.»

Der Klub fungiert, in enger personeller Verflechtung, als kommunizierende Röhre zum Verein «Unser Recht»; die wichtigsten Scharnierstellen bilden SP-Mann Andreas Gross und alt CVP-Richter Giusep Nay. Zum gutmenschlichen und über öffentliche Kassen besoldeten Inventar gehören Georg Kreis, ­Euroturbo und Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, Soziologieprofessor Kurt Imhof («Es braucht wieder eine Aufklärung für die Schweiz»), Publizist Roger de Weck, Präsident des millionenteuren Genfer Instituts «Maison de la Paix», Staatsrechtler Jörg Paul Müller, Jacques Picard, Historiker in der Bergier-Kommission, Walter Schmid, Vizepräsident der Eidgenössischen Ausländerkommission, Promoter der Gold-Stiftung und Präsident der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos).
Politisch ist der «Denkverein mit vielen grauen Zellen» (Selbstdefinition) tiefrot und tiefgrün eingefärbt: Die SP-Frauen Barbara Haering (ZH) und Hildegard Fässler (SG) und vor allem die Grüne Cécile Bühlmann (LU) publizieren auf den Klub-Seiten ihre «gescheiten, intelligenten und gerechten Argumente und Lösungen», Vorträge und Plädoyers für Eveline Widmer-Schlumpf.

Um störenden Einfluss von unten auszuschalten, erfolgt die Weiterbildung der Erlesenen des helvetischen Klubs intern und nach dem Prinzip der Selbstbefruchtung: Etwa sechsmal pro Jahr träfen die Mitglieder sich, vertrauten sie der Presse an, und hörten sich «das Referat eines Mitstreiters an».

Vor zwanzig Jahren sammelte die Linke sich noch unter der Fahne «Demokratie von unten», wie ein programmatischer Buchtitel lautete. Heute agieren die selbsternannten Republikaner genau umgekehrt: Sie lancieren die Attacke von oben und von aussen, um das Stimm- und Wahlrecht des Individuums systematisch zu entwerten.

Herrschaft der Verständigen
Das Geflecht der Umkrempler wird verbreitert durch die Vorstände und Beiräte der vielen Organisationen zum Schutz der Menschenrechte. Thomas Bechtler, Rainer J. Schweizer, alt Nationalrätin Vreni Müller-Hemmi (SP) oder (immer wieder) Giusep Nay sind nur einige der Elemente der engen Verknotungen mit «Unser Recht», mit der Gilde der Staatsrechtler, mit dem «Club Helvétique» und mit der rührigen schweizerischen Sektion der Internationalen Juristenkommission (ICJ), deren Veranstaltungen von der Direktion für Völkerrecht des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) mitorganisiert und bezahlt werden. Präsidiert wird diese internationalistische Pressure-Group von alt Nationalrätin Gret Haller (SP). Als Referenten treten durchwegs Altbekannte auf: Dick Marty, Helen Keller, Daniel Thürer, Jörg Paul Müller, Rainer J. Schweizer, Giusep Nay etc. Für die publizistische Begleitmusik sorgt Jahr für Jahr die NZZ. Personell und konzeptionell fast deckungsgleich mit dem Verein «Unser Recht» agiert seit längerem die Schweizerische Gesellschaft für Aussenpolitik (SGA), bei der ebenfalls Ulrich E. Gut als Geschäftsführer amtiert.

Was die Besserwisser übersehen
Faktisch hat sich so in den letzten Jahren ein dichtes Gespinst von einigen Dutzend Professoren, Politikern, Publizisten und einigen Journalisten herausgebildet, die in leicht wechselnden Formationen und Vereinigungen ihr Projekt der Relativierung der direkten Demokratie vorantreiben. Unterstützung erhalten sie neuerdings von linken Ökonomen und Soziologen, die sich in der Runde «Schweizer Rat für Wirtschafts- und Sozialpolitik» zusammengefunden haben und sowohl in Mental- wie auch Personalunionen mit den Staatsrechtlern arbeiten. Die Professoren ersetzen in ihrem marktfeindlichen Manifest das «Gewinn­streben», die Grundlage des wirtschaftlichen Tuns, durch den Begriff «Gier», den «Handel» durch das Schimpfwort «Spekulation» – und schon ist das freie Unternehmen diffamiert.

Die Parallelität ist offensichtlich: So wie die Rechtsprofessoren versuchen, die Basis­demokratie auszuschalten und durch eine Herrschaft der Verständigen zu ersetzen, so wollen die neuen Wirtschaftsmoralisten Markt und Wettbewerb gegen eine weise lenkende Staatswirtschaft – «ethische Grundlage», «Wirtschaftskultur» oder «Gerechtigkeit» genannt – austauschen.

Bei allen Bemühungen, die Macht im Land nach oben zu verschieben, geht eine historische Erfahrung verloren: Die direktdemokratisch organisierten Gesellschaften sind den Verlockungen totalitärer Regime nie erlegen. Nie – im Gegensatz zu den Besserwissern, die den Herrschenden, wie die Geschichte lehrt, in aller Regel zu Diensten standen.

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