Martin Heller (1952–2021)James Michael Tyler (1962–2021)
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SprĂŒhende Magie und komplexe Technik bei der kĂŒnstlichen Wolke in Yverdon, vertrĂ€umter Charme in Neuenburg, und mit dem Monolithen in Murten eine rostige Intervention der Poesie. Die Expo 2002, die 1999 im finanziellen Fiasko zu versinken drohte, wurde mit Verzögerung doch noch zum Ereignis, das die ganze Nation in ihren Bann zog und an der Grenze zwischen West- und Deutschschweiz zur BegegnungsstĂ€tte der Landeskulturen wurde. Es war das Meisterwerk von Martin Heller.

Der Basler Kulturunternehmer hatte als kĂŒnstlerischer Direktor der Landesausstellung den schwierigen Nachlass von Pipilotti Rist ĂŒbernommen und das Generationenprojekt in die richtige Bahn gelenkt. Er tat es mit feinem GespĂŒr fĂŒr Zwischentöne und fĂŒr die Nuancen der schweizerischen Eigenheit. Und er lebte das Credo vor, stets neugierig zu sein und die Welt aus einer ganzheitlichen Optik zu betrachten.

Den Blick schĂ€rfte er schon bei seiner Ausbildung an der Kunstgewerbeschule in Basel zum Zeichenlehrer. SpĂ€ter studierte er an der UniversitĂ€t seiner Heimatstadt Ethnologie, Kunstgeschichte und europĂ€ische Volkskunde. Parallel dazu schrieb er Kunstkritiken und leitete als Kurator Ausstellungen. Heller verlieh dem AlltĂ€glichen einen ĂŒberwĂ€ltigenden Tiefgang, brachte Sinnlichkeit, Verspieltheit und VergnĂŒglichkeit zusammen. Er fĂŒhrte die Menschen mit seinem Schaffen auf eine neue Sinnesebene. In der Ausstellung «Dialog im Dunkeln» befasste er sich mit der unterschiedlichen Wahrnehmung von Blinden und Sehenden – und lieferte damit die InitialzĂŒndung zum Gastronomiekonzept «Blinde Kuh». 1990 wurde er Direktor des Museums fĂŒr Gestaltung in ZĂŒrich. SpĂ€ter wirkte er als Dozent an diversen Hochschulen im In- und Ausland. Er verband QualitĂ€ten, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen: KreativitĂ€t und Fantasie mit Organisationstalent und RealitĂ€tsbewusstsein. «Martin Heller besass eine Dimension mehr als die meisten seiner Mitmenschen», sagt ein langjĂ€hriger WeggefĂ€hrte. Heller verantwortete als Kurator den Auftritt von Linz als europĂ€ischer Kulturhauptstadt 2009.

Das Konzept fĂŒr das Humboldt-Forum in Berlin (2010) und das 500-Jahre-JubilĂ€um der ZĂŒrcher Reformation (2019) waren weitere Wegmarken seines Schaffens. Die tiefsten Spuren hinterliess er in der Schweiz aber als «Mister Expo.02». Franz Steinegger, der damalige Delegierte des Bundes im Steuerungskomitee, sagt: «FĂŒr mich war Martin Heller entscheidend, dass ich mich auf dieses Projekt einliess. Nur mit solchen Personen kann man es wagen. Er machte aus einer reinen Kulturveranstaltung eine Landesausstellung.»

Vergangene Woche ist Martin Heller – drei Tage vor seinem 69. Geburtstag – in ZĂŒrich seiner Krebserkrankung erlegen. Die Schweiz verliert einen grossen Denker und visionĂ€ren Lenker. Thomas Renggli