Als der Mittagsrummel beim Take-away vorbei ist, setzen wir uns zu zweit an den einzigen gedeckten Tisch im «Älpli». Piccata mit Risotto für den Gast, Ramona Kessler isst einen Cervelat vom Grill. Dürfen wir hier überhaupt zusammensitzen? Die Wirtin zuckt mit den Schultern: «Das Essen geht aufs Haus, also ist das privat. Und wenn schon.»

Es waren etwas mehr Gäste, die Ramona Kessler über die Region hinaus bekannt machten. Am 6. März dieses Jahres, einem Samstag, waren gegen neunzig Personen im «Älpli» eingekehrt. Mit Ländlermusik und Schlager sollen sie bis in die frühen Morgenstunden hinein gefeiert haben. Organisiert hatte den Event ein in der Gegend unter dem Rufnamen «Foschi» bekannter Garagist.

 

Unglaube an die Massnahmen

Foschi legt Wert darauf, dass es sich um eine religiöse Veranstaltung handelte. Eine solche ist mit bis zu fünfzig Teilnehmern erlaubt. Die Gäste wurden aufgeteilt: Im einen Saal trafen sich die Anhänger der «Glaubensgemeinschaft ‹Älpli›», im andern die «Gommiswalder». Zum Auftakt gab es einen kritischen Vortrag zur Corona-Krise. Was sie alle vereint, ist der Unglaube an die Massnahmen des Bundes.

Mit der Frage, ob auch Unglaube eine Form des Glaubens ist, wird sich nun die St. Galler Justiz befassen müssen. Ein Denunziant hatte die Polizei aufgeboten, welche die Veranstaltung mit einem Grossaufgebot zu verhindern versuchte. Erfolglos. Mehr als ein paar Verzeigungen lagen nicht drin.

Doch die Vergeltung der Behörden für die erlittene Schmach war bitter. Am folgenden Montag durchsuchten sie mit einem richterlichen Befehl das «Älpli» sowie die Privatwohnungen von Ramona Kessler und Foschi. In der Beiz wurde das gesamte Barguthaben beschlagnahmt. Kessler droht sogar der Entzug des Patents. Und die finanzielle Hilfe für Wirte, von der sie bislang allerdings eh keinen Rappen gesehen hat, soll ihr auch gleich noch verweigert werden. «Ich habe schon so viel verloren im letzten Jahr», sagt Ramona Kessler, «das beeindruckt mich nicht.» Die 27-Jährige stammt aus der March, hat Köchin gelernt und die Landwirtschaftsschule absolviert. Bäuerin oder Wirtin wollte sie schon immer sein, eines von beidem, Hauptsache selbständig und frei. 2019 übernahm sie das «Älpli» in Gommiswald. Mit einem halben Dutzend Teilzeitmitarbeiterinnen, die alle zu ihr halten, führt sie seither die Beiz sowie einen angegliederten Catering-Service.

Ramona Kessler hat die Arbeit nie gescheut. Weil sie keine Schulden, flexible Mitarbeiterinnen und einen anständigen Vermieter hat, brachte sie das Corona-Jahr 2020 halbwegs unbeschadet hinter sich. Ohne zu murren, richtete sie sich nach den Vorgaben, fügte sich dem Maskenzwang und dem ganzen Pipapo, obwohl sie nicht an einen Nutzen glaubte. Sie verzichtete auf alle Ferien, um die Ausfälle auszugleichen; schliesslich richtete sie auch einen Take-away ein – mit dem Erfolg, dass der Betrieb nicht in die Kategorie «Härtefall» für Corona-Entschädigungen fällt.

Ende Februar, als der Bundesrat den Beizen-Lockdown trotz längst gefallener Corona-Werte auf unbestimmte Zeit verlängerte, verlor Ramona Kessler den letzten Rest an Vertrauen in die Regierung. «Foschi rief mich einfach im richtigen Moment an», meint sie im Rückblick, «ich sagte zu.»

 

Versprochen ist versprochen

Und wenn Ramona Kessler einmal ja gesagt hat, dann heisst das ja. Ein Polizist, der sie kannte, rief gezählte sieben Mal bei ihr an, bekniete Kessler fast, auf den «religiösen Event» zu verzichten. Sogar der Gemeindepräsident meldete sich. Die Wirtin blieb stur. Versprochen ist versprochen: «Dann müsst ihr uns halt alle verhaften – ich lasse die Gäste rein.» Und das tat sie auch.

Das Corona-Regime hat, wie im ganzen Land, auch die Bevölkerung von Gommiswald in zwei unversöhnliche Lager gespalten. Während die einen der rebellischen Wirtin nun aus dem Weg gehen oder gar anonyme Schandbriefe schreiben, grüssen andere besonders freundlich. Unbekannte reisen von weit her an, um sich im «Älpli» zu versorgen und der Unerschrockenen ihre Reverenz zu erweisen.

«Jetzt haben wir wenigstens klare Verhältnisse», sagt Ramona Kessler, «das hat etwas Befreiendes, wir müssen uns nichts mehr vormachen.» – Würde sie es wieder tun? – «Aber sicher!»