Weltwoche: Ein Motto von Ihnen lautet: «Leidenschaft lässt sich nicht pensionieren.» Welche Leidenschaften haben Sie im Alter von 71 noch?

Raymond Fein: An erster Stelle gehört meine Leidenschaft unseren beiden Kindern. Ich bin ein später, glücklicher und stolzer Vater und geniesse, wie sich unsere Tochter und unser Sohn entwickeln und ihr Leben meistern. Meine längste Leidenschaft gilt dem Boogie und dem Blues. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht spiele, komponiere oder texte. Und übrigens esse ich auch täglich Käse! Und schliesslich fahre ich leidenschaftlich gern mit meinem Heinkel-Kabinenroller aus, einer Rarität aus den sechziger Jahren.

Weltwoche: Sie haben als Teil des Boogie-Woogie-Duos Che & Ray Berühmtheit erlangt, über 700 000 Tonträger verkauft und diverse Auszeichnungen bekommen. Geben Sie noch Konzerte?

Fein: Ja, aber seit 2005 nicht mehr mit Che, sondern in verschiedenen Formationen, mit hochkarätiger Besetzung, zum Beispiel als «Die drei Pianöre». Im 2020 wären es 42 Auftritte gewesen, wenn uns Corona nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Jetzt zieht es erfreulicherweise wieder an!

Weltwoche: Sie sind ja auch Jurist. Welche Projekte verfolgen Sie noch neben der Musik?

Fein: Ich bin nach wie vor intensiv als Kommunikationsberater und Coach tätig und betreue grosse Unternehmen, KMU und Start-ups, aber auch rund fünfzig Einzelpersonen wie Anwälte, Unternehmensberater oder CEOs. Diese coache ich zum Beispiel in Auftritts- oder Verhandlungskompetenz. Hier hat Corona eher positive Auswirkungen gehabt: Weil die Bereitschaft zum Online-Coaching grösser geworden ist, sind noch mehr Kunden aus dem Ausland dazugekommen.

Weltwoche: Kunst zählt auch zu Ihren Aktivitäten. Wie sind Sie dazu gekommen? Und wo holen Sie für Ihre Bilder die Inspiration und die Ideen her?

Fein: Schon im Gymi zeichnete ich Comics und erschuf eigene Figuren. Das Thema «Design» hat mich dann auch als Textilkaufmann fasziniert. Heute male ich zum Ausgleich, ich schätze daran das Ruhige und Intime. Ich spachtle abstrakt, mit Acryl. Die Sujets entwickle ich vorzu in meiner Fantasie, oder sie haben mit meinen Tätigkeiten zu tun.

Weltwoche: Wie lebt es sich, wenn man als ehemaliger TV-Moderator nicht mehr so stark in der Öffentlichkeit steht?

Fein: Durch meine Konzertauftritte und durch die Workshops bin ich ja gewissermassen immer noch eine öffentliche Person. Dass ich nicht mehr in den Medien bin, stört mich nicht, damit lässt es sich gut leben. PR in eigener Sache brauche ich nicht.

Weltwoche: Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Medien-Landschaft?

Fein: Ich sehe drei Probleme: Die Internet-Welt dürfte nicht anonym sein; dann gäbe es mehr Niveau, beim Inhalt und bei der Form. Und weil heute alle das Mobiltelefon immer dabeihaben und wir global vernetzt sind, besteht eine Reiz- und Informationsüberflutung, so dass es immer schwieriger wird, zwischen Gut und Schlecht beziehungsweise zwischen Wahr und Falsch zu unterscheiden. Und drittens: Das Erfolgsrezept der Schweiz sind nicht die extremen Positionen, sondern die vernünftige Balance von «liberal» und «sozial». Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum die SVP permanent auf die SRG losgeht. Sollen wir denn noch mehr dekadenten RTL-Schmarren schauen wie «Love Island» oder «Dschungelcamp»? So habe ich mir auch überlegt, ob ich der Weltwoche ein Interview geben will. Aber «Gesprächsverweigerung» ist aus kommunikativer Sicht ja eine Bankrotterklärung. Daher plädiere ich für eine informative, frische und zeitgemässe, aber eben auch korrekte und respektvolle Kommunikationskultur.

 

Der 71-jährige Zürcher Raymond Fein moderierte von 1987 bis 1993 die beliebte Sendung «Traumpaar» im Schweizer Fernsehen. Zwischen 1975 und 2005 trat er mit seinem Schulkameraden Jean-Marc «Che» Peyer als Boogie-Woogie-Duo Che & Ray auf.