Und wie hart ist das denn? Oberflächlich harmlose, real aber besonders verkommene Schweizer visieren ihre Liebste an, spitzen die Lippen und verabreichen ihr – einen Schmutz! Einen Dreck! Boah. Beinahe so hart sind nur noch Cradle of Filth, deutsch: Wiege des Schmutzes, eine 1991 im englischen Suffolk gegründete Band der krassen Richtung. Man lasse sich vom Herkunftsnamen Suff-Folk nicht täuschen – weder sind Cradle of Filth als kampftrinkende Schluckspechte bekannt, noch kennt man sie als Interpreten lüpfiger Folkweisen. Es trifft das Gegenteil zu.
Man hat kürzlich herausgefunden, dass die Mehrheit der Weltwoche-Leserschaft aus nachhaltig verunsicherten Linksliberalen und Linksliberalinnen besteht, die sich das Blatt als politisches Abhärtungsprogramm antun: zuhanden der neuen, für sie überraschend düsteren Weltordnung. Die rituellen Peitschungen der hiesigen Inlandberichterstattung empfinden sie als schmerzlichen, aber notwendigen Schock, der sie Hieb um Hieb darauf vorbereitet, dass die Welt noch böser funktioniert, als sie in ihren schlechtesten Träumen befürchteten. Dass, während sie noch das neuste Islam-versteh-Buch buchstabieren, sich der Muselmann von hinten nähert. Sie haben das ungute Gefühl, etwas verpasst zu haben, und möchten gern auch ein bisschen böser werden. Eineinhalbspurig Offroader fahren. Richtig fies und unökologisch Geld anlegen. Das eigene Ego nicht nur ein bisschen, sondern extrabreit spazieren führen.
Und da ist nun definitiv anzuraten, sich als perfekt flankierende Massnahme die neue Cradle of Filth reinzuziehen. Eine erstaunlich glatte, aber garantiert enthemmende und irgendwie gar elegante Angelegenheit. Das neue, siebte Album, «Thornography», zerquetscht jede innere Flöte zu Sägemehlmatsch und hilft Takt für Takt dabei, das innere Alien zu finden. Man kann es schon richtig spüren – im Nacken stellen sich die Härchen auf, an bleichen Bürohänden wachsen Tyrannosauruskrallen, und im Gedärm schleimt und windet sich das persönliche Böse.
Cradle of Filth stehen – in Stil und Habitus – zwischen den eiskalt-düsteren, klassischen Celtic Frost (Schweiz) und dem dämonisch-ironischen Ozzy Osbourne (Ausland). Wo Celtic-Sänger Thomas Gabriel «Warrior» Fischer aber seine Todesgrunzer sparsam und gezielt anwendet, macht Cradle-Sänger Dani Filth daraus unverschämt einen kompletten Gesangsstil und grunzt konstant und ausschliesslich. Und zwar in einer Tonlage, die Sie als Klavierschülerin auch mit ausgestrecktem linkem Pfötchen nie erreichten.
Nichts für unter den Weihnachtsbaum
Die aktuelle Verabreichung beginnt wie der Vorspann zu «Lord of the Rings»: Legionen von Streichern sowie ein missbrauchter Bo-Katzman-Chor bereiten uns auf eine Welt vor, in der die Sonne nie mehr scheint. Eine verzerrte Staccato-Gitarre zerreisst darauf die letzte Illusion von Humanität und verabreicht das Diktat eines grösseren Willens per Elektroschocks. «Under Pregnant Skies She Comes Alive Like Miss Leviathan» heisst das süsse Stück Dark-Metal-Musik. Und auch der unschuldigste Hörer wähnt: Was aus dunklen Wolken auf die Erde fällt, ist kein praktisches Weihnachtsgeschenk. Auch nicht das sinfonisch wütende «Libertina Grimm», die höllisch stampfende Arie «Byronic Man», der Nachsing-Metal-Hit «Cemetery And Sundown» oder die logische Auflösung des Albumtitels im heiser bellenden «I Am The Thorn».
Und was wäre das Ozzy-Element? Das Theatralische, das Überspitzte. Man liegt nicht falsch, Cradle of Filth ein – fasten your seat belts! – Augenzwinkern zu unterstellen. Die humorlosesten Fans der nordischen Metal-Richtungen verachten COF eh als pure Pantomime. Tatsächlich werden auf «Thornography» nicht zu knapp Ironie und Pop versprüht. Zuweilen schimmern Riffs auf, die ebenso gut einem höherpreisigen Iggy-Pop-Album entstammen könnten. Als definitiv nicht borniert outen sich Cradle of Filth im letzten Song – mit einem Cover der Elektro-New-Wave-Band Heaven 17. Was sie hier anrichten, ist erstklassige Uminterpretation: der schleichende Einstieg, das scheue Bass-Synthesizer-Zitat, ein Cembalo, noch mal ein Takt Bo-Katzman-Chor und schliesslich die knapp DRS-3-taugliche Version eines Eighties-Klassikers.
Für etwas offenere Kelten haben Cradle Of Filth unter dem neuen Pop-Lack eine nochmals erhöhte Raffinesse erreicht und sind sowieso die wahre, beste und böseste Dark-Metal-Truppe der Welt. Ein Leviathan mit gegen zwanzig Köpfen, darunter auch weibliche. Eine Lektion im Flötenzerbrechen. Ein Höllentrip ins eigene Ego. Ein Blitzbesuch im sechshundertsechsundsechzigsten UG der Menschheit. Woooah.
Cradle of Filth: Thornography.
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