Es blitzt der Chrom der Designerküche, apart umflutet vom Licht der Halogenlampen. Charlotte, mit blütenweisser Schürze, giesst den Bratenjus in die Terrine – da kippt ihr Lebensgefährte Dylan Sahne dazu. Die Köchin, mit rosaroten Schleifchen an den Lockenwicklern, verliert die Contenance. «Das hast du mit Absicht gemacht!», kreischt sie. Wutentbrannt fischt sie den Braten aus der Edelstahlpfanne und schmeisst ihn ins japanische Zierfischbassin. Fast geht auch die Beziehung baden.
Erfolg heisst Stress, und Reichtum fordert Perfektion, vom Outfit bis zur Nouvelle Cuisine. Vor allem alten Freunden gegenüber, die es nicht so weit gebracht haben und mit Argusaugen jeden Fauxpas kommentieren. Bratensauce mit Sahne zu strecken, ist nicht comme il faut. Sonst könnten sie gleich wieder in die Eckkneipe, wie früher.
Charlotte ist derangiert, ausgerechnet heute ist die alte Clique geladen: Emilia und Felix, die sich getrennt haben, und Annette und Boris, die sich lieben, aber gerne wohlhabender wären. Nur Charlotte und Dylan haben gewaltig Zaster gemacht. Das ist wunderbar, aber eben auch wieder blöd. Wie tritt man den Freunden entgegen, ohne neureich, angeberisch oder anbiedernd zu wirken? Welches Outfit sendet die richtigen Signale aus?
Das Gluckenglück der anderen
«Nackt» heisst der neueste Film der deutschen Autorin und Filmregisseurin Doris Dörrie (47), die 1985 mit ihrer Komödie «Männer», dem Hahnenkampf zweier charmanter Gockel, einen Publikumsrenner landete. Die boulevardeske Leinwandposse festigte ihren Ruf als Chronistin der libidogebeutelten Yuppies und Selbstverwirklicher. Mit Filmen wie «Geld», «Keiner liebt mich» oder «Bin ich schön?» erhaschte sie den Zeitgeist wie einst May Spils («Zur Sache, Schätzchen») mit ihren Fummelfilmen über Wortschrubbel-Hippies aus den bewegten sechziger Jahren.
Aus denen ist eine imagegeile Karrierebrut mit ganz bürgerlichen Beziehungsquerelen geworden, die Doris Dörrie vor allem in amüsanten Short Stories schildert. Mit ihrer Prosa war sie allerdings in letzter Zeit erfolgreicher als mit ihren Filmen. Während diese eher durchfielen, irritierten jene beispielsweise als sterile Versuchsanordnungen, in denen die menschlichen Empfindungen nur zum Zucken und Zappeln gebracht wurden wie Frösche an der Galvanisiermaschine.
Ein eigenes Theaterstück diente nun als Vorlage für «Nackt», ein Kammerspiel dreier Paare, die sich bei einem Dinner wieder zusammenfinden und ihre Eitelkeiten zum Showdown hochtreiben. Doch das Selbstdarstellungsduell geriet weder spannend noch anrührend, sondern nur starr und thesenhaft. Es wird gönnerhaft deklamiert und theatralisch dialogisiert. Und weil die Nemesis jeder Einladung betretenes Schweigen ist, macht sich Emilia (Heike Makatsch) hämisch über das Gluckenglück der anderen her und erzählt von älteren Paaren, die mit verbundenen Augen ihre Partner nicht erkennen würden.
Felix (Benno Fürmann), ihr Verflossener, nutzt die Situation und fordert eine Wette: Sie sollen sich nackt ausziehen, sich die Augen verbinden lassen und dann ihre Partner ertasten. Wer beim Fummeln richtig liegt, kriegt Geld, ansonsten müssen sie blechen und haben das Nachsehen. Nach neckischem Hin und Her und zunehmendem Alkoholgenuss wird das Experiment gewagt. Doris Dörrie hat wohl dabei Ma-rivaux’ bös-graziöses Liebestheater («Triumph der Liebe») im Kopf gehabt, doch ihren neudeutschen Beziehungsflaneuren fehlt der frivol hingepustete Bussi-Touch. Mit Chansoneinlagen, wie sie die Nouvelle Vague gerne einsetzte (etwa Godards «Une femme est une femme»), versucht sie Leichtigkeit zu simulieren. Doch Dörries akkurate Dramaturgie verhindert jeden emotionalen Taumel: Säuberlich getrennt stellt sie ein Paar nach dem anderen vor.
Emilia und Felix, die in Trennung liegen und neckisch damit kokettieren. Danach folgen Annette (Alexandra Maria Lara) und Boris (Jürgen Vogel), ein verzücktes Pärchen in einer entzückenden Wohnung, und zu guter Letzt kommen Charlotte (Nina Hoss) und Dylan (Mehmet Kurtulus) in ihrer Designerküche an die Reihe. Das führt zu Monotonie und abgehakter Litanei. In Rage kommt niemand (ausser Charlotte), und erwartungsfroh machen die dialogistischen Gebetsmühlen der Pärchen schon gar nicht.
Wurstbrote mit Sauergürkchen
Folglich dauert es lange, zu lange, bis die Paare bei Charlotte und Dylan eintreffen und der Nervenschinderpegel, die Lust am Frotzeln und fröhlichen Quälen, szenisch in Schwung gebracht wird. Dem Widerstreit zwischen Misstrauen und Verzückung fehlt der Hang zum Vergiften, um einen leichtfertig beschwingten Abend in Boshaftigkeit kippen zu lassen. Die Invektiven von Emilia und Felix, die anderen zur Entblössung zu treiben, bleiben seichte Augenzwinkerei. Zu schnell nimmt Doris Dörrie die Kurve ins Wohlgefallen. So bonbonschachtelhaft ausgeleuchtet wie die Interieurs sind die Figuren – den Schutzwall der Manierismen, den sie um ihre Empfindungen und Seelen gezogen haben, tatsächlich zu schleifen, wagt keine.
Nackt sind sie tatsächlich gegen Ende, aber entblösst haben sie sich nicht. Auf den Filmfestspielen Venedig wurde Dörries Beziehungsexperiment freundlich aufgenommen, aber von Herzen lachten die Italiener erst, als sie die hohe Schule deutscher Esskultur vorgeführt bekamen: Wurstbrote mit Sauergürkchen, chinesische Ente (schnell bestellt beim Chinesen, nachdem der Braten bei den Goldfischen gelandet war) und dazu vor allem abgezählte Erbsen auf den Tellern.
Erbsenbieder ist auch Dörries Komödie.