Seine Kritik, so betont Strafrechtsprofessor Marcel Alexander Niggli in einer kürzlich publizierten Rechtsschrift*, richte sich nicht gegen die Sanktionen gegen Russland an sich. Es ist die Methodik, nach der die Strafaktion gegen Russland und die Russen erlassen wurde. In dieser Hinsicht greift Niggli aber zum dicken Rotstift: «Juristisch handelt es sich einfach um schlechtes Handwerk.» Aussergewöhnliche Situationen verlangen nach aussergewöhnlichen Massnahmen, mag man einwenden. Allerdings nur, solange man selbst nicht betroffen ist. Ein Rechtsstaat, der sich über seine eigenen Prinzipien hinwegsetzt, wird zum Unrechtsstaat. Das passiert hier gemäss Niggli. Nicht auf Nebenschauplätzen, sondern ganz im Kern der Sache.

Keine Strafe ohne Gesetz

Wer gegen die verfügten Sanktionen verstösst, macht sich strafbar. Strafbarkeit setzt aber voraus, dass der Rechtsunterworfene zum Zeitpunkt der Tat kundig machen konnte, was er darf und was verboten ist. Das Prinzip «Keine Strafe ohne Gesetz» (nulla poena sine lege) war schon den Römern heilig. Doch die ständig, bisweilen täglich wechselnden, oft unscharfen Bestimmungen und Erlasse machen es ihm faktisch unmöglich, sich ein verlässliches Bild zu machen.

Es herrscht nicht nur ein Chaos zwischen den Landessprachen. Neuerdings basiert das Schweizer Strafrecht auch auf Texten, die nur auf Englischer abrufbar sind. Es ist keineswegs so, dass sich die Eidgenossenschaft einfach internationalen Sanktionen angeschlossen hat. Wer vom Schweizer Bann getroffen wird, darf unter Umständen in den USA oder in Grossbritannien geschäften (oder umgekehrt), aus der Schweiz dürfen womöglich Güter exportiert werden, die in Deutschland auf dem Index stehen. Aber klar ist das oft nicht.

So macht sich jeder strafbar, der Gelder annimmt oder verwaltet, von denen «anzunehmen ist», dass sie unter die Sperrung fallen. Sogar jene, die von zweifelhaften «wirtschaftlichen Ressourcen wissen», stehen mit einem Bein im Gefängnis. Aber wer weiss schon, was andere zu «wissen» glauben oder was «anzunehmen» ist. Richtig, die Anwälte. Doch das Sanktionspaket verbietet ihnen die Rechtsberatung von potenziell Gefährdeten explizit. Erst wenn die Betroffenen ins offene Messer gelaufen sind und ein Strafverfahren eröffnet wurde, dürfen die Anwälte aktiv werden. Damit, so findet man, sei der Rechtsstaatlichkeit Genüge getan.

Was die Sanktionen wie genau bewirken sollen, bleibt nebulös. Irgendwie geht es darum, dem russischen Regime und seinen Untertanen möglichst grossen wirtschaftlichen Schaden beizufügen. Mag sein, dass die Rechtsunsicherheit, die hier systematisch geschaffen wird, eine effiziente Waffe ist. Denn Ungewissheit ist das schlimmste Gift für jede wirtschaftliche Aktivität. Ob sich der Unrechts-Herrscher Wladimir Putin damit in die Knie zwingen lässt, ist die eine Frage. Ob wir dafür wirklich den eigenen Rechtsstaat opfern wollen, die andere.

* «Die Sanktionen gegen Russland und der Rechtsstaat» in der Anwaltsrevue vom Februar 2023, online abrufbar unter https://anwaltsrevue.recht.ch