Philipp Hildebrand, bis Montagmittag Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank (SNB), hat den Ausgang doch noch erwischt. Bedauerlich ist einzig, dass er erst nach seinem letzten Auftritt und dem lächelnden Abtauchen mit der Wahrheit herausrückte. Die E-Mails, die er – wohl um einer Publikation auf anderem Wege zuvorzukommen – auf dem Portal der SNB schliesslich veröffentlichte, bestätigen alles, was die Weltwoche ihm vorgeworfen hat: Es war Hildebrand selbst, der mit seinem Kundenberater Felix Scheuber, Vizedirektor der Bank Sarasin & Cie, am 15. August 2011 eine ausführliche Lagebesprechung führte. Sie sprachen nicht nur über private Anlagemöglichkeiten, sondern (was mindestens so brisant ist) auch explizit über die Entwicklung der Devisenmärkte («world financial markets in general and the equity/currency markets in particular»).
Kundenberater Scheuber, der das Reglement über die Eigengeschäfte der SNB-Direktoren kennt und Hildebrand aus Gründen eines Interessenkonflikts vor Investitionen in Versicherungen warnt, hält nach dieser Aussprache gleichentags schriftlich fest:
– Philipp Hildebrand verzichtet weiterhin darauf, ein von der Bank nach eigenem Ermessen geführtes Portfolio zu eröffnen. Der SNB-Chef hat einen Management-Vertrag, der seit längerem vorliegt, nicht unterschrieben; er will seine Transaktionen selbst vornehmen.
– Frau Hildebrand interessiert sich für den Kauf von Put-Optionen auf Gold.
– Philipp Hildebrand möchte 20 000 Dollar auf das Konto seiner Tochter überweisen.
– Philipp Hildebrand beabsichtigt («consider»), seine Dollar-Position bei der Bank zu erhöhen; den genauen Betrag werde dann seine Frau festlegen.
– Kashya Hildebrand legt anschliessend die Summe von 400 000 Franken fest — das entspricht knapp einem halben Jahreslohn Hildebrands. So weit nehmen die Geschäfte – Hildebrand kauft nebenbei auch noch fünf Aktienpakete – ihren üblichen Verlauf.
Am 16. August erkennt Hildebrand die Brisanz der Geschäfte. Er entwickelt ein Absicherungskonstrukt, spielt den Erstaunten und schreibt seinem Berater, er habe nie mit ihm über eine Erhöhung des Dollar-Kaufes gesprochen («we never discussed any dollar purchases yesterday»).
Dies wiederum bringt Scheuber sichtlich in Rage. Er hält in seinem Rückmail unmissverständlich fest, er habe mit Hildebrand persönlich am Vortag über die Dollarkäufe gesprochen, und zwar in dem Sinne, dass dieser sie ausdrücklich gutheisse («I also remember you saying in our yesterday’s conversation that if Kashya wants to increase the dollar exposure it is fine with you»).
Hildebrand selbst präsentiert den Kauf dem Leiter des internen Rechtsdienstes, Hans Kuhn. Der Untergebene Hildebrands sieht zwar keinen «Handlungsbedarf», hält aber kritisch fest, dass es keine Wiederholung eines solchen Deals geben dürfe.
Rechtlich ist zwar unerheblich, wer letztlich den Auftrag erteilt hat. Verantwortlich ist und bleibt Hildebrand. Doch die Fakten widersprechen allen Versionen, die er den Medien im Verlauf der letzten Tage aufgetischt hat: Er billigte den Kauf vor und nach der Ausführung.
Welche Konsequenzen die Offenlegung des Mail-Verkehrs für die Bank Sarasin haben wird, die am Freitag Hildebrands falsche Darstellung des Sachverhalts in einer Mitteilung bekräftigte und dessen in sich zusammenstürzendes Konstrukt weiter stützte, wird die angelaufene Untersuchung der Finanzmarktaufsicht (Finma) zeigen. Immerhin wurde Vizedirektor Scheuber durch diese verfehlte Strategie gezwungen, seine Aussage am 9. Januar nachträglich zu dementieren und zu «bestätigen», dass Kashya Hildebrand den Dollar-Kauf «aus eigener Initiative» getätigt habe.
Philipp Hildebrand ist Geschichte. Erstaunlich bleibt allein, dass sein Rücktritt erst am 9. Januar 2012 erfolgt ist und nicht bereits am 23. Dezember 2011. Denn bereits zu diesem Zeitpunkt, als die Aufsichtsgremien der Medienmitteilung (alles «Gerüchte», alles «haltlos») versandten, lagen derart viele, ernstzunehmende Indizien vor, dass eine peinlich genaue und wirklich unabhängige Untersuchung sich aufdrängte. Entweder wollten der Bankrat, das Aufsichtsgremium der SNB-Direktoren, und der Bundesrat, die Wahlbehörde, der Sache nicht auf den Grund gehen und sie verwedeln (das wäre eine Pflichtverletzung); oder sie liessen sich durch rasch gefertigte Berichte abspeisen (das wäre Fahrlässigkeit). Auf jeden Fall erweckt das Communiqué den Eindruck, dass beide Instanzen das lästige Problem unter den Teppich kehren wollten. Auskünfte wurden verweigert.
Den ersten Persilschein, auf den die Aufseher sich ebenso leichtfertig wie gerne abstützten, stellten zwei Wirtschaftsprüfer der Revisionsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC) aus. Gemäss Bericht hatten sie Einblick in den Mail-Verkehr, den die SNB nun publiziert hat; Kundenberater Scheuber wurde nicht befragt. Obwohl aus den Dokumenten hervorgeht, dass der SNB-Chef die Verantwortung für den Kauf der Dollars trägt, schreibt das Revisoren-Duo: «Die Transaktionen unter No. 2 [Kauf vom 15. August, die Red.] wurden direkt durch die Ehefrau bei der Bank veranlasst. Davon hatte PMH [Philipp Michael Hildebrand, die Red.] gemäss den uns vorliegenden Unterlagen einen Tag nach der Durchführung Kenntnis erhalten. Aus dem uns vorliegenden E-Mail-Verkehr geht hervor, dass PMH keine Kenntnis von dieser Transaktion hatte.» Dass dies falsch ist, kann nun auch mit offiziellen Belegen nachgewiesen werden. Inzwischen allerdings distanziert sich PwC von der eigenen Vollständigkeitserklärung und macht damit das entlastende Gutachten selbst zur Makulatur.
Die Glaubwürdigkeit von PwC, deren Chef Markus R. Neuhaus den ehemaligen SNB-Präsidenten vom noblen Rotary-Club Zürich her bestens kennt, ist erschüttert. Aus diesem Grund hat der Bankrat als erste Korrekturmassnahme beschlossen, weitere Überprüfungen nicht mehr PwC, sondern andern Firmen anzuvertrauen. Gleichwohl droht die Gefahr, dass die Branche der Wirtschaftsprüfer Schaden nimmt oder bereits Schaden genommen hat.
Selig bis süffisant lächelnd, sass am Donnerstagabend Hansueli Raggenbass, der Präsident des Bankrats, neben Hildebrand, als dieser seine grosse Selbstverteidigungsshow abzog. Er hörte sich dessen neuste (unzutreffende) Erklärung an, die der (ebenfalls falschen) PwC-Version diametral widersprach. Er duldete also einen offensichtlichen Widerspruch.
Wörtlich und wider besseres Wissen erklärte Hildebrand: «Es erscheinen auf dem Bankauszug zwei Geschäfte zum gleichen Kurs (484 477.24 US-Dollar gegen 384 142 Franken sowie 20 000 US-Dollar gegen 15 858 Franken; insgesamt 400 000 Franken), weil ich ein Unterkonto für unsere Tochter eingerichtet habe; dieses wurde aufgrund meiner Instruktion mit 20 000 US-Dollar alimentiert. [. . .] Die grosse Transaktion hat meine Frau, die für meine Konten stets eine Vollmacht hatte, am 15. August 2011 ohne mein Wissen um 13.20 Uhr mit E-Mail an unseren Kundenberater bei der Bank Sarasin in Auftrag gegeben [Hervorhebungen durch die Redaktion].
»Diese eklatante Widersprüchlichkeit zwischen dem PwC-Bericht (beide Transaktionen durch die Frau) und Hildebrands Konstruktion (nur eine Transaktion durch die Frau) hat jedem, der den Fall studierte, die Augen geöffnet, dass die in munterer Abfolge wechselnden Versionen und Varianten nur Elemente einer Taktik der Verschleierung sein konnten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte der Alt-CVP-Nationalrat aus dem Thurgau die Reissleine ziehen und das unwürdige Versteckspiel beenden müssen. Statt dieser seiner Pflicht nachzukommen, beteiligte sich Raggenbass an der Fortsetzung dieser Manöver. Wer die Mitteilung vom 23. Dezember (verantwortet von Raggenbass und seinen zehn Mitaufsehern nochmals in aller Ruhe durchliest, wird gewahr, dass er vom Bankrat während mehr als zwei Wochen systematisch in die Irre geführt wurde.
Die gleiche Schuld tragen Bundesrat und Chefbeamte des Bundes. Kurt Grüter, der Chef der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK), und dessen Vize Michel Huissoud wurden von der damaligen Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey (SP) beauftragt, die den brisanten Vorwürfen auf den Grund gehen wollte. Die beiden Beamten hatten gemäss eigenen Angaben ebenfalls Einblick in den Mail-Verkehr und stellten Persilschein Nummer zwei aus. Nach der Publikation der Originaldokumente erweist sich auch dieser amtliche Bericht als selektives Papier ohne Wert. Der Befund, dass der oberste Finanzprüfer des Bundes vernebelnde Erklärungen unterzeichnet, ist noch gravierender als das Versagen der privaten PwC. Die Firma kann man auswechseln, die Institution EFK nicht.
Eveline Widmer-Schlumpf (BDP), Finanzministerin, Bundespräsidentin und während Jahren Bankrätin, hat Philipp Hildebrand noch am Freitagabend, als all die präsentierten Widersprüche bereits zum Himmel dampften und honorige Persönlichkeiten den Notenbanker zur Abdankung drängten, in der «Arena» des Schweizer Fernsehens ihr unbedingtes Vertrauen ausgesprochen. Selbst als am Samstag der Bankrat Hildebrand zum Rücktritt zwingen wollte, erwiderte dieser kühl, er werde von Widmer-Schlumpf protegiert. Erst als die elf Räte dem Bundesrat mitteilen liessen, er stehe vor der Entscheidung, einen neuen Präsidenten oder elf neue Aufsichtsmitglieder wählen zu müssen, gab das Gespann Hildebrand/Bundespräsidentin auf. Widmer-Schlumpf war Mitspielerin bis zuletzt.
PS: Werner Abegg, der als Kommunikationschef der SNB das Informationsdebakel mit zu verantworten hat, wurde per 1. 1. 2012 zum Direktor befördert.
Im Internet
Hildebrands E-Mails: http://www.snb.ch/de/mmr/ reference/pre-20120109-3/source/pre-20120109-3.de.pdf
SNB-Mitteilung vom 23.12.: http://www.snb.ch/de/mmr/ reference/pre-20111223/source/pre-20111223.de.pdf