Mein erfolgreichstes Youtube-Video mit über 800 000 Views trägt den Titel «Warum Männer heute lieber Single bleiben» und wurde vor genau einem Jahr veröffentlicht. In den Tausenden von Kommentaren mit Stichworten wie «hohe Erwartungshaltung», «widersprüchliches Verhalten» und «Selbstüberschätzung» widerspiegelt sich ein breites Spektrum an Meinungen. Ein Nutzer bringt es auf den Punkt: «Jeder hat eine Idealvorstellung vom Partner, man lässt Spielraum. Aber in der Praxis erscheint mir dieser Spielraum bei den meisten Frauen kaum bis gar nicht vorhanden zu sein.» Besonders im Online-Dating haben viele Männer das Gefühl, der «Bittsteller» zu sein und um Aufmerksamkeit buhlen zu müssen. Sie beschreiben frustriert, wie schwer es ist, den Ansprüchen der Frauen gerecht zu werden, und kritisieren das Auswahlmuster, das viele Frauen bei der Partnerwahl an den Tag legen.

 

Geld und Ansehen

Aus meiner romantischen Sicht als Verfechterin von Partnerschaft und Ehe ist es bedauerlich, dass viele Männer der Dating- und Beziehungswelt aufgrund negativer Erfahrungen abgeschworen haben und nun denken: «Allein geht’s mir besser, ich brauche keine Frau, mein Leben ist erfüllter ohne.» Ebenso schade finde ich, dass einige deswegen einen pauschal negativen Eindruck von der Damenwelt haben. Es wäre nun einfach, diese Einwände als wehleidiges Gejammer von Männern abzutun, die sich zu doof anstellen, um eine Frau zu finden, die zu faul sind oder die keine Lust auf die notwendige Arbeit in einer Beziehung haben – auch wenn es diese gibt. Doch das eigentliche Problem geht tiefer. Warum viele Männer heute lieber Single bleiben, sehe ich vor allem in drei Hauptpunkten begründet.

 

1 _ Die Erwartungen: Ein Mann hat klare Ansprüche an eine Frau – und seine Ansprüche sind ihm klar. Die Ansprüche einer Frau an einen Mann sind ihr oft selbst nicht so ganz klar. Man hört Frauen häufig Sätze sagen wie: «Mir ist es nicht wirklich wichtig, was er beruflich macht.» Eigentlich sei es egal, ob er Karriere macht, wie er aussieht oder wie gross er ist – eigentlich. Doch letztlich fliesst es bei ihrem Entscheid, ob sie ihn daten möchte oder nicht, mit ein.

Viele Frauen suchen nach dem Ideal der Perfektion, immer in der Erwartung, dass noch etwas Besseres kommen könnte (oder sollte): der gutaussehende Kinderarzt, gross und charmant, der in seiner Freizeit ehrenamtlich tätig ist und nebenbei Gitarre spielt, um kranke Welpen zu beruhigen. Wenn eine Person nicht sofort dem Ideal entspricht, erhält sie oft keine zweite Chance.

Manchen Frauen fällt es schwer, anzuerkennen, dass sie Teil des Problems sein könnten.

So manche meiner Geschlechtsgenossinnen sind in dieser Hinsicht nicht ganz ehrlich zu sich selbst, sonst gäbe es all diese Studien zur Hypergamie nicht. Hypergamie bedeutet, dass Frauen dazu neigen, Partner auszuwählen, die einen höheren sozialen Status oder ein höheres Einkommen haben als sie selbst. Diese Studien verdeutlichen, dass der sozioökonomische Status ein entscheidender Faktor bei der Partnerwahl ist. Eine neue Untersuchung im Fachjournal Biodemography and Social Biology bestätigte im vergangenen Jahr, dass die Heiratschancen von Männern stark von ihrem Einkommen abhängen und der Einkommensdruck für sie immer grösser wird. Die Süddeutsche schrieb dazu: «Geld und Ansehen erhöhen bei Männern die Chancen enorm. Krabbeln sie am unteren Ende der finanziellen Leiter rum, stolpern sie mit erhöhter Wahrscheinlichkeit alleine durchs Leben.» Um Missverständnisse zu vermeiden: Frauen bewerten bestimmte Männerberufe nicht als tiefer im Vergleich zu anderen, sie orientieren sich bei der Partnersuche einfach eher an dem, was gesellschaftlich angesehen ist.

 

Gross muss er sein!

Ein anderes Kriterium, das eine Rolle spielt, ist das visuelle Merkmal Körpergrösse. Laut einer niederländischen Studie bevorzugen Frauen tendenziell grössere Männer. Der Grössenbereich, in dem Männer die besten Erfolgschancen bei den Ladys haben, liegt zwischen etwa 1,80 und 1,90 Metern. Frauen weisen dabei einen engeren favorisierten Grössenrahmen auf als Männer. Das bedeutet nicht, dass kleinere Männer chancenlos sind; Frauen neigen einfach dazu, grössere Männer auszuwählen. Berücksichtigt man, dass der durchschnittliche Schweizer Mann 1,78 Meter gross ist, wird deutlich, wie anspruchsvoll die Kriterien sein können. Bemerkenswert ist auch, dass selbst bei Frauen mit unterdurchschnittlicher Körpergrösse häufig der Wunsch nach einem grösseren Partner besteht.

Eine Erklärung für die insgesamt gestiegenen Ansprüche sind die heute besseren Löhne, die bessere Bildung und der höhere Status von Frauen. Warum sollte ein Mann also nicht auf Basis seines sozialen Status und Einkommens ausgewählt werden? Besonders angesichts der Mutterschaft und der damit verbundenen Abhängigkeit von Frauen ist das verständlich. Doch oft schränken sich Frauen durch ihre strengen und kompromisslosen Auswahlkriterien selbst ein. Würden sie diese etwas lockern, könnten so manche nämlich eine Beziehung mit einem kompatiblen Partner führen.

Eine weitere Erklärung sind die gestiegenen Ansprüche als ein Teil eines Internet- und Medienphänomens. In der Vergangenheit wurden Frauen nicht auf Tausenden von Tiktok- und Instagram-Kanälen und mit unzähligen Artikeln konfrontiert, die ihnen sagen, was sie alles von einem Mann erwarten sollten und wie der moderne Mann sein muss. Soziale Medien, in denen die Meinungen von Zehntausenden anderen einfliessen, können das Auswahlverhalten unbewusst beeinflussen. Es kommt zu einer Verstärkung: Früher hatten einige Frauen extrem hohe Ansprüche, während andere weniger hohe hatten – heute haben fast alle ähnlich hohe Erwartungen.

Gesucht: Kinderarzt, gross und charmant, der nebenbei ehrenamtlich tätig ist und Gitarre spielt.

Dass manchen Frauen die Ehrlichkeit zu sich selbst fehlt, hängt oft auch mit einem gewissen Druck ihres weiblichen Umfelds zusammen. Frauen setzen sich selbst unter Druck, das Bild einer «tollen Frau» zu erfüllen; für sie ist oft sehr wichtig, wie andere Frauen über sie denken und sie wahrnehmen. Das ist Teil der weiblichen Natur: Wie steht man vor seinen Freundinnen mit dem Partner da? Wird er geschätzt, finden sie ihn cool? Es kann durchaus vorkommen, dass eine Frau einen Mann vielleicht noch ganz ansprechend findet, ihn jedoch abweisen würde, weil ihre Freundinnen es anders sehen.

 

2 _ Die Widersprüche: Manche Frauen tragen zahlreiche Widersprüche in sich – und das erscheint vielen Männern zu kompliziert. Einerseits betonen sie ihre Unabhängigkeit und die Möglichkeit, in der heutigen Gesellschaft ohne Partner auszukommen – eine bedeutende feministische Errungenschaft. Sie sind nicht mehr auf Männer angewiesen und weisen gerne darauf hin. Andererseits suchen sie irgendwann einen Partner, den sie lieben und mit dem sie eine Familie gründen können – und hier kommt der Widerspruch: Sie erwarten dann aber nicht selten, dass dieser Partner sie als Hauptversorger und Vollzeitarbeitender unterstützt, damit sie sich selbst verwirklichen und ihre Bedürfnisse und Wünsche erfüllen können, zum Beispiel durch ein Teilzeitpensum, um sich um ihre Kinder zu kümmern.

Der ideale Mann soll mal Alpha, mal Beta sein: humorvoll, intelligent, sensibel, rücksichtsvoll, im Job kompetitiv, abgehärtet und erfolgreich – aber ja nicht zu dominant, zu kompetitiv, zu ehrgeizig. Er soll kochen, bügeln, Windeln wechseln und Begonien einpflanzen können, und dabei immer genug Zeit für die Familie aufbringen. Spät in der Nacht soll er ihren G-Punkt finden – mit verbundenen Augen und auf den Rücken gebundenen Händen, während er gleichzeitig ihre verspannten Nackenmuskeln löst. Problemlöser soll er sein und praktisch veranlagt: Abfluss entstopfen, Computer einrichten, Lampen auswechseln. Die Hausspinne an die frische Luft befördern, ohne sie zu töten! Er soll unsere Schönheit anerkennen, aber ja keine falschen Komplimente machen; ehrlich kommunizieren, aber ja keine Kritik äussern! Also eine Kombination aus General und Sozialarbeiter.

 

3 _ Die Selbstüberschätzung: Sie wird von Männern gerne genannt, und hier meine These dazu: Frauen heute werden in ihrem Denken, Fühlen und Handeln von der Gesellschaft praktisch immer bestätigt. Es wird ihnen gesagt: Jede ist einzigartig, jede ist wundervoll, jede ist perfekt, so, wie sie ist. Sie macht alles richtig. Und wenn der Mann das nicht sieht, ist er ein Idiot. Könnte es sein, dass diese gesellschaftliche Bestätigung dazu führt, dass Frauen sich selbst in der Partnersuche nicht mehr hinterfragen? Dass sie sich für fehlerlos halten?

 

Mal einen Tanz wagen

Möglicherweise beeinflusst diese Verinnerlichung auch ihr Selektionsverhalten und hindert diese Bestätigung Frauen daran, sich kritisch mit sich selbst auseinanderzusetzen; der Schritt zur Selbstüberschätzung ist dann nicht weit. Es ist richtig, dass in der Gesellschaft auf die Alltagsschwierigkeiten von Frauen hingewiesen wird, wie die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf. Doch erstens sehe ich nicht, dass Männer in Massen unsensibel und sich dieser Herausforderungen nicht bewusst wären. Zweitens haben es auch Väter nicht immer einfach. Auch sie können nicht alles haben, müssen oft zwischen mehr Zeit mit den Kindern und ihrer Karriere wählen.

Mein Eindruck ist, dass es manchen Frauen schwerfällt, anzuerkennen, dass auch sie vielleicht Teil des Problems sein könnten. Warum sollte ein Mann mit einer Frau zusammen sein wollen, die sich selbst als fehlerlos betrachtet und nie die Verantwortung für ihr Handeln und ihre Entscheidungen übernimmt?

Ich kann die Ansprüche von Frauen verstehen, aber auch die Perspektive der Männer, die sagen: «Das Ganze ist mir zu kompliziert, ich bleibe lieber Single.» In der heutigen Zeit ist es grundsätzlich schwieriger geworden, die eine Frau oder den einen Mann, das Einhorn unter den vielen zu finden.

Vielleicht sollten Menschen, die auf der Suche sind, ihre Checklisten etwas kürzen, dem anderen mehr Spielraum lassen, die Dinge nicht so kompromisslos angehen und auch mal einen Tanz mit jemandem wagen, der nicht perfekt zur Idealvorstellung passt. Das könnte helfen, mehr Menschen zusammenzubringen – denn weder Männer noch Frauen scheinen wirklich zufrieden zu sein mit der aktuellen Situation.