Billy Elliot – Das Musical: Maag-Halle Zürich. Bis 23. März 2025

Homage to Ballet – A Night with the Stars: Theater 11, Zürich. 15. und 16. November

Das Chaos gleicht dem in einer gut geführten Schulklasse. Auf der Bühne der Maag-Halle arbeitet jeder und jede eifrig an seinem oder ihrem Part. Auch wenn dieser nicht gleich laut werden soll. Einstudiert wird die erste deutschsprachige Produktion des Erfolgsmusicals «Billy Elliot». Und geschliffen wird nun an der Choreografie zu «Expressing Yourself» von Elton John. Die choreografische Leiterin Sarah-Jane Brodbeck gibt den erwachsenen Ensemblemitgliedern den Takt vor, während die Kids weiter steppen, was das Zeugs hält. Drei von ihnen werden zu Billy Elliot, dem Bergarbeitersohn aus Nordengland, der lieber tanzen als boxen will. Die drei anderen werden zu Michael, Billys bestem Freund, der auch mal gerne in Frauenkleidern herumtanzt. Und keiner der sechs ist zu bremsen.

 

Elton John auf Deutsch

«Hört ihr mich, Jungs», ruft Sarah-Jane Brodbeck hin und wieder in die erste Zuschauerreihe, wo diese sichtbar ungern nur sitzen und zuschauen. Sie wollen proben, und sie wollen tanzen, tanzen. Wie Billy Elliot eben. Seit dem Frühjahr arbeitet die ehemalige Solistin am Ballett Zürich mit 42 Kindern und zwanzig Erwachsenen an der Choreografie Peter Darlings. Diese stammt aus dem Jahr 2005, als das Musical «Billy Elliot» im Londoner Victoria Palace Theatre mit Musik von Elton John zu seiner Erfolgsreise aufbrach. Elf Jahre lang wurde es im Westend gespielt und tourte um die Welt.

Nun ist es auf Deutsch übersetzt und unter der Regie von Mitch Sebastian neu einstudiert worden. Aussehen tut es mehr oder weniger gleich. Tönen ebenso. Wenn auch die Lieder Elton Johns auf Deutsch an Coolness verlieren und ernsthafter wirken. Dafür werden sie von allen verstanden. Denn vieles auf diesem Weg vom armen Halbwaisen zum Balletttänzer wird über die Songs vermittelt. Und über den Tanz. «Ich habe Peter Darlings Choreografie gelernt und adaptiert, sie dem Ensemble beigebracht», erzählt Brodbeck. «Unterstützt werde ich von Joy Knecht, insbesondere bei den Stepp-Teilen.»

Ballettfans werden sich an Sarah-Jane Brodbeck erinnern. Unter der Zürcher Ballettdirektion Heinz Spoerlis wuchs sie zur aussergewöhnlich eleganten, hochmusikalischen Ballerina. Nach Spoerlis Rücktritt ging sie als Solistin ans Königliche Schwedische Ballett, dann ans Staatsballett Berlin und zog sich 2022 vom aktiven Bühnentanz zurück. Nicht aber vom Ballett. Zusammen mit der Kulturmanagerin Katharina Lips bringt sie regelmässig internationale Ballettstars für die Galaabende «Homage to Ballet» in die Schweiz, die jeweils von Workshops begleitet werden. Ausserdem bildet sie sich an der Universität Bern zur Spezialistin für Tänzergesundheit weiter.

«Ballett und Stepp tanzen, singen und schauspielern. Das ist wahnsinnig viel für so kleine Jungs.»

Das Musical führt ins Nordengland von 1984/85 und zu den grössten Arbeitskämpfen im Nachkriegszeit-Britannien. Margaret Thatcher regiert mit eiserner Hand. Viele Kohlebergwerke sollen geschlossen, andere privatisiert werden. Dagegen wehren sich die Arbeiter mit Streiks und Strassenkämpfen. Billy Elliot träumt einen anderen Traum. Er lernt heimlich Ballett. Und er hat Talent. So viel, dass ihn seine Lehrerin zum Vortanzen für die Royal Ballet School anmeldet. Das ist zu der Zeit in der Community unerhört – nichts für Jungs eben. Dem Stereotyp spielte 2000 Stephen Daldrys Film «Billy Elliot» entgegen. Er wurde zum grossen Hit und machte in Grossbritannien Ballettunterricht unter männlichen Jugendlichen salonfähig. Als der Film, ebenfalls unter der Regie von Daldry, zu einem Musical adaptiert wurde, konnte an verschiedenen Auditions im Land aus über 3000 Bewerbern gewählt werden.

Davon ist die Schweiz weit entfernt. Auf einen ersten Aufruf hätten sich nur wenige gemeldet, erzählt Brodbeck: «Wir mussten uns auf aktives Talent-Scouting bei den Ballettschulen begeben, um die Jungs zu finden.» Allerdings sind die Anforderungen enorm: «Sie müssen Ballett und Stepp tanzen können, singen und schauspielern. Das ist wahnsinnig viel für so kleine Jungs. Steppen konnte keiner von ihnen, das haben sie erst seit Februar gelernt.»

Sämtliche Kinderparts wurden zur Entlastung der Kinder dreifach besetzt. An der Premiere fetzten Moritz Fischli als Billy und Justin Périer als sein Freund Michael übers Parkett – und rissen das Publikum von den Stühlen. Sarah-Jane Brodbeck hofft auf mehr: dass die Jungs die Lust am Tanzen in die Herzen junger Zuschauer fegen.