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Im Westen galt er als Politclown, der mal mit Ventilatoren radioaktive Wolken ins Baltikum blasen, mal Alaska annektieren und mal Kaliningrad, das frühere Königsberg, Deutschland verkaufen wollte. Das Bild war so falsch wie so manches, was man im Westen über Russland zu wissen glaubt.

Denn einem Politclown würde man kein Staatsbegräbnis ausrichten wie jetzt Wladimir Schirinowski. Wladimir Putin selbst, der kaum noch den Kreml verlässt, verabschiedete sich am offenen Sarg von ihm. Aufgebahrt war er am selben geschichtsträchtigen Ort, wie alle Sowjetführer von Stalin über Breschnew bis Tschernenko: im Moskauer Gewerkschaftshaus.

Nur in der Öffentlichkeit gab Schirinowski den vulgären Polterer. Bei Begegnungen zeigte er sich als charmanter und gebildeter Gesprächspartner, der mit Turkologie, internationalen Beziehungen und Jura drei Studien abgeschlossen hatte und sich im byzantinischen Labyrinth russischer Politik bestens auskannte. Er sprach fliessend Türkisch und Arabisch, war ein Kenner des Nahen Ostens und bis zuletzt ein Freund des irakischen Diktators Saddam Hussein gewesen.

Von seinen Ansichten – grossrussisch-nationalistisch, aggressiv und vor allem zutiefst antisemitisch – machte Schirinowski allerdings auch privat nie Abstriche. Seine Judenfeindlichkeit war umso grotesker, als sein leiblicher Vater Jude gewesen war. Erst mit achtzehn nahm er den Namen seines Stiefvaters an. Später beantwortete er die im Vielvölkerstaat UdSSR übliche Frage nach der Nationalität mit «Jurist».

Offiziell standen Schirinowski und die von ihm nach dem Ende des Kommunismus gegründete Liberal-Demokratische Partei in Opposition zum Kreml. Doch Regierungsgegner war sie ebenso wenig, wie sie liberal oder demokratisch war. Die LDPR war eine Führerpartei, zugeschnitten auf ihren Vorsitzenden. Seit dreissisg Jahren ist sie konstant in der Duma, dem russischen Parlament, vertreten, einmal – nach den Wahlen 1993 – sogar als stärkste Fraktion.

Schirinowskis Kandidaturen fürs Präsidentenamt schlugen hingegen jedes Mal fehl. So weit wollte ihn die Machtelite nicht kommen lassen, dazu war er zu unberechenbar. Aber man duldete – und schätzte – ihn als loyale Opposition. Er sprach das offen aus, was die Machthaber vielleicht nur dachten. Und nie übte er grundsätzliche Kritik am Kreml – nicht unter Boris Jelzin, nicht unter Dmitri Medwedew und schon gar nicht unter Putin. Zum Dank erhielt er alle vier Klassen des Verdienstordens für das Vaterland, Russlands höchster Auszeichnung.

Seine vermutete Nähe zum Kreml zeigte sich das letzte Mal im Dezember vergangenen Jahres, als er den Einmarsch in die Ukraine vorherzusagen schien. In einer Rede verkündete er den Beginn kriegerischer Handlungen «um vier Uhr morgens am 22. Februar». Beim Datum lag er nur zwei Tage daneben. Die Uhrzeit traf er punktgenau. Wolfgang Koydl