Ein von der Kritik vernachlässigtes Genre ist die Cervelat-Premiere. Weil Journalisten, die auf Premieren gehen, keine Kritik üben. (Das heisst im Foyer schon, aber nicht in ihren Berichten.) «Superstar Til Schweiger und Regisseur Reto Salimbeni luden zur Premiere von ‹One Way›!», ging etwa die Moderation von «Glanz & Gloria». «Und – alle sind gekommen! Prominenz aus Showbiz, Wirtschaft und Sport begeistert.»

Dass am Dienstag vergangener Woche im Zürcher Kino «Corso» eine Cervelat-Premiere stattfand, konnte man sofort sehen, der «rote Teppich» war ein nur wenige Meter langer Läufer (und nicht rot, sondern in der Farbe eines Tennisplatzes). Und es gab fast so viele Misses Schweiz wie an der Verleihung der Swiss Awards, zudem Miguel San Juan, Mister 2006. Weiter waren Fernsehmoderatoren da (Eva Wannenmacher, Nadja Zimmermann, Patrick Rohr), Musiker (Sebastian «Baschi» Bürgin, Stefan «Marc Sway» Bachofen) sowie the usual suspects, Christina Surer und Raquel Lehmann mit Jürg Marquard. Der Rest waren Leute, die es sonst irgendwie auf die Gästeliste geschafft hatten plus ihre «Plus 1», also die Namenlosen, die sie mitgenommen hatten.

Auf Cervelat-Premieren herrscht keine gute Stimmung. Premierengänger, die man auf Veranstaltungen immer antrifft, erzählen off the record, sie hätten lieber etwas anderes gemacht, quality time mit dem Partner zu Hause verbracht oder eine Einladung auf eine gute Premiere im Ausland angenommen. Aber sie mussten halt vorbeischauen, das Business... (Der Grund, dass solche in Medienberichten als Super-Events dargestellt werden, ist das Bedürfnis der Reporter, zu zeigen, dass sie grundsätzlich nur Super-Events covern.)

«Es wird sicher super», sagte auch Regisseur Reto Salimbeni, als ihn ein Journalist vom Sonntagsblick vor der Premiere befragte. Obwohl er das Genre der Cervelat-Premiere kennt, vermute ich, er ist aus Zürich. (Der Film, nebenbei, hat eine Cervelat-Premiere nicht verdient, er ist recht gut; es geht um die Rache einer Frau an einem Mann, der sie vergewaltigte, und an einem, der sie als Lügnerin hinstellte.)

Herr Salimbeni hatte auch Moritz Leuenberger eingeladen. Zuvor hatte er ja versucht, die Story in seinem Film und den Mord an Pasquale Brumann in Zollikerberg als ähnliche Begebenheiten darzustellen, um sich ein paar Spaltenzentimeter mehr Berichterstattung zu holen. («Frontalangriff auf Leuenberger!», stand dann im Blick.) Herr Leuenberger kam natürlich nicht, und das war gut, denn Bundesräte erhöhen den Cervelat-Faktor. Am Schweizer Filmpreis in Solothurn etwa hatte Pascal Couchepin sich bemüht, Nähe zu den Preisträgern herzustellen. (Und seinen Anzug hatte er schon den ganzen Tag im Büro getragen, so sah es aus.)

Zehn Minuten vor Filmbeginn kam Til Schweiger, mit kleinem Gefolge. Kaya Yanar war dabei, «Kaya, das ist Mark, ein bekannter Kolumnist in der Schweiz. Mark, das ist Kaya, ein bekannter Komiker in Deutschland», wurden wir miteinander bekanntgemacht. «Leider noch nie von dir gehört», sagte er. (Ich sagte nicht «gleichfalls», sondern: «Leute, die mich nicht kennen, können mich entdecken, der ist von Marco Rima.») Herr Schweiger war nicht bei guter Laune, schien es, er hätte wohl auch lieber was anderes gemacht. Am Nachmittag hatte ich ihn im «Park Hyatt» interviewt (da hatte er keinen Kaugummi im Mund gehabt). «Sie promoten ‹One Way› stark, gehen überall auf Premieren, macht das Spass?» – «Ja also, Film machen macht mehr Spass. Besonders wenn er gedreht ist, ihn dann im Schneideraum entstehen zu lassen, das ist das Schönste.»

Und Herrn Salimbeni fragte ich: «Hätten Sie nicht lieber eine glamourösere Premiere gehabt, ‹One Way› ist immerhin eine der teuersten Schweizer Produktionen ever?» – «Nein, das wollten wir nicht, das hätte nicht zu dem ernsten Thema gepasst.»

One Way, Schweizer Premiere, Kino «Corso», Zürich.

Bilder zur Veranstaltung unter www.weltwoche.ch/mvh