Daniel Kothenschulte, David Gerstein, J. B. Kaufman: Walt Disneys Donald Duck. Die ultimative Chronik. Taschen. 564 S., Fr. 205.–

Das Buch wiegt über fünf Kilogramm, misst dreissig mal vierzig Zentimeter und lässt sich nur auf einer sehr grosszügigen Fläche ohne Probleme in seinem wuchtigen Umfang ausbreiten. Es handelt sich nicht um einen Shakespeare-Folianten, auch um keine Bibel aus dem frühen Mittelalter, ist aber ebenfalls prestigeträchtig, wenn auch aus dem Universum der Leichtgewichte, des Federviehs. «Eine faunische Komödie», könnte man sagen, sie gehört aber auf jeden Fall zu den Monumenten des Abendlands: die Welt des Donald Duck.

Mögen manche in ihr nur schnatternde Leere wahrnehmen, in Tat und Wahrheit ist sie ein brillantes Feuerwerk aus Äsops Geist, über sehr menschliche Höhen und Abgründe, Träume, Taten und Widersprüche. Napoleon war für den Philosophen Hegel der «Weltgeist zu Pferd», Donald ist für den Kenner der Weltgeist im Federvieh. Der Erpel ist eine Lichtgestalt philosophischer Klarheit. Brandaktuell sein Leitspruch: «Man braucht nur berühmt zu sein, dann reisst sich jeder um einen.»

 

Imperium der Nutztiere

Das Fünf-Kilo-dreissig-mal-vierzig-Zentimeter-Druckwerk ist das ideale Kaninchenloch, in das man sich aufs Beglückendste fallenlässt, um als Zaungast Entstehung, Entwicklung und Entfaltung dieses Jahrhundert-Quack-Salbers begleiten zu können. «Walt Disneys Donald Duck – Die ultimative Chronik» heisst dieser Brocken, den Benedikt Taschen, bekannt für ungewöhnliche Blendwerke, herausgab. Entweder ist er ein Kamikaze oder leidenschaftlicher Duck-Fan, eine andere Rechtfertigung für diesen Wälzer ist nicht denkbar, und der Verleger Benedikt Taschen gehört eindeutig zur zweiten Kategorie. Denn Donald war für die Leinwand gross erdacht und wird folglich wie in Lebensgrösse präsentiert. Es ist eine Vita, die als Strich begann und als formvollendeter Enterich in der kapitalistischen Marktwirtschaft eine grosse Karriere machte.

Skizzen, Notizen, Plakate, Fotos, Szenenausschnitte, Cartoons, Briefe zeugen von dieser evolutionären Entwicklung. Das Buch, mit vielen bisher unveröffentlichten Zeichnungen, ist ein Füllhorn kreativer Kunst im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit. Daniel Kothenschulte, Disney-Autor, und Ulrich Schröder, Duck-Zeichner, halfen Taschen bei der Realisierung. Das Weltbild Donalds, das «mächtigste aus dem Geisterreich» (Bazon Brock), in all seiner Vielfalt so weit aufzufächern, ist ein Hammer. Aber bitte: Auf dem Hollywood-Boulevard sind die latschenartigen Erpelfüsse schliesslich auch schon im Boden verewigt.

Von Marshall McLuhan, dem ersten Medienphilosophen, stammt die Erkenntnis, dass sich viele clevere Individuen in die industrielle Kultur mit ihren kreativen Ideen nur mit der Absicht einschalteten, «Hitze, nicht Licht» zu erzeugen. Einer von denen war Walt Disney. Er erschuf mit dem Gehege anthropomorpher Tiere ein weltweit funktionierendes Hitzekraftwerk. Um es mit höchster Power unter Strom zu setzen, wählte Disney Tiere, die nicht zu den edlen zählen, sondern zu den Nutztieren (Enten, Gänse, Schweine) oder gar zu den Schädlingen, wie die mus musculus, die Hausmaus. Aber genau mit einer solchen, mit der sich Kinder rasch identifizieren konnten, schuf Disney das Symbol seines globalen Imperiums. Seine Micky Maus eroberte die Welt.

 

Purer Dadaismus

Im Riesenschatten der kleinen Maus begann Anfang der 1930er Jahre Donalds Leben, als Art Babbitt und Dick Huemer neben Küken, Hennen und einem Schwein auch eine Ente mit kuriosem Körper, Gummihals und langem Schnabel aufs Papier strichelten. «Ducky», wie er genannt wurde, entstand aus dem Geist der Musik. In «The Wise Little Hen» (1934), der Adaption einer Äsop-Fabel, bittet eine Henne ihn beim Maispflanzen um Hilfe, doch Ducky, der auf einem lädierten Hausboot lebt und deshalb bis heute einen Matrosenanzug mit passender Mütze trägt, führt gerade den Hornpipe auf (einen britischen Matrosentanz) und schlägt jede Hilfe in den Wind.

Was ihn zu charakterisieren begann, war seine Neigung zu Jähzorn; die wiederum war die Folge des genau studierten Entengeschnatters. In Disneys «Silly Symphony»-Trickfilmen wurde diese Mixtur rasch die ideale Antithese zum braven Micky, der auch Probleme machte: Trat jemand Micky in den Hintern, hagelte es Briefe von Müttern («Wie soll ich meinen Kindern klarmachen, dass ihr Idol drangsaliert wird!»). Also wurde Donald zum Prügelknaben. Auf «Orphans Benefit» (1934) reagierte die Presse skeptisch und prophezeite ihm ein kurzes Leben. Erste Fan-Briefe für den Erpel verhiessen aber das Gegenteil, und Disney ahnte, dass hier ein zweiter Star zu entstehen begann. In den folgenden Filmen wurde er deshalb häufiger ins Zentrum gerückt. Animations-Chef Jack Hannah schuf mit «The Band Concert» (1935) ein heisses Meisterwerk.

Schauplatz ist ein Park. Maestro Micky, in roter Uniform, will gerade mit der «Wilhelm Tell»-Ouvertüre beginnen, da erscheint Donald als lärmender Verkäufer von «Peanuts, popcorn, icecream!», holt eine Flöte raus und spielt «Turkey in the Straw». Micky wird halb wahnsinnig, und es folgt ein Gag-Feuerwerk des puren Dadaismus. Donald war raus aus dem Mausschatten.

Sein Aussehen änderte sich mit dem Wandel der Werte in den USA. Nach dem Ende der Depression wurde er zum Stadtmenschen. 1937 hatte Al Taliaferro schon die Idee, ihm drei Neffen, Louie, Huey und Dewey (Tick, Trick und Track), an die Seite zu stellen, ihn sozial einzubinden. Carl Barks griff das auf und baute eine Familie um ihn, am Ende ein komplettes Duck-Universum. Die «Barks Library» (1942–2000) ist längst ein Klassiker zeitgenössischer Gesellschaftssatire.

Barks machte aus jeder Figur eine Persönlichkeit, und Donald wurde zur Verkörperung des Mittelschichtamerikaners, des «Babbitt» (nach einem Roman von Sinclair Lewis), im ewigen Stress mit der Leistungsgesellschaft. Damit wurde er zur weltweiten Identifikationsfigur. Aus heutiger Sicht liesse er sich auch als Wutbürger bezeichnen, allerdings ohne den (deutschen) politischen Hintergrund. Da Disneys Welt mit Optimismus unterfüttert ist (den Barks zu konterkarieren wusste), ging es darin trotzdem nie so rabenschwarz zu wie etwa bei Wilhelm Busch. Undenkbar wäre eine Story wie die vom «Eispeter», der bei klirrender Kälte aufs Eis geht, ins Wasser fällt, herauskrabbelt, zu einem menschenähnlichen Eiszapfen erfriert, von den Eltern an den Ofen gestellt wird, zur Pfütze zerrinnt und in einem Einmachtopf namens «Peter» neben den Behältern «Käse» und «Gurken» in den Keller gestellt wird. Schon Disneys allererste «Silly Symphonie» mit tanzenden und singenden Skeletten wurde ihm als ungehörig angekreidet.

Was aber die Duck-Welt sicher nicht ist: eine Ethno-Idylle wie bei «Asterix». Der Gallier und sein wehrhaftes Dorf gegen die Gelüste Roms hatten ein linksgewirktes Bildungsimage (Latein!), «Asterix» ist das Loblied auf eine homogene Stammeswelt. Entenhausen ist dagegen ein durch und durch heterogenes Pflaster. Es leben Gänse, Enten, Hunde, Kühe, Mäuse, Ratten, Katzen mehr oder weniger friedlich neben- und miteinander. Man pflegt nicht nur verwandtschaftliche Beziehungen, auch Klubmitgliedschaften, ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr et cetera. Ducktown beherbergt alles, was zu einer Metropole gehört, und Donald wurde zum idealen Gewächs.

Seine Welt aber bleibt der analoge Raum. Im dominierenden digitalen Raum des Internets, mit Influencern, Youtube, sozialen Medien et cetera, wirkt Donald überholt. Er ist und bleibt die unsterbliche Ikone des 20. Jahrhunderts, der Print-Ära. Prächtigstes Dokument ist dieses Fünf-Kilo-Donald-Duck-Buch mit seinen raren Abbildungen, Skizzen, Illustrationen, die eine Zeit wieder aufleben lassen, als, jenseits der Computer-Pixeleien, Donalds Persönlichkeit bis ins kleinste Detail, seine Motorik, Gestik und Mimik, auf dem Papier entworfen und Strich für Strich seiner Zweidimensionalität entrissen wurde. Das war Graphic-Kunst, jener alter Meister ebenbürtig.