«Tatort», jeweils sonntags um 20.05 Uhr auf SRF

Meine ersten Erinnerungen an den «Tatort» gehen auf Horst Schimanski zurück, der im Duisburg der 1980er Jahre ermittelt hat, an Manfred Krug aus Hamburg und an Dietz-Werner Steck aus Stuttgart. Damals war die Welt zwischen Flensburg und Konstanz noch in Ordnung, jedenfalls am Sonntagabend um 20.15 Uhr auf ARD: Nach dem verstörenden «Weltspiegel» retteten aufrichtige Kommissare die deutsche Gesellschaft vor dem Bösen. Mörder, Erpresser, Räuber, Einbrecher und Entführer standen im Visier der Ermittler, die noch solche waren und keine Ermittelnden, wie’s heute so schön heisst.

In «Taxi nach Leipzig» löst am 29. November 1970 Kommissar Paul Trimmel (Walter Richter) einen Mordfall. Schon diese erste, erfolgreiche Folge etablierte die Serie als feste Grösse am TV-Sonntagabend. Seitdem wurden über 1200 Folgen produziert, traten über achtzig Ermittler(-Duos) im «Tatort» auf. Derzeit sind es gut zwanzig Teams aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Apropos Schweiz: Es sollten noch zwei Jahrzehnte verstreichen, bis diese 1990 mit «Howalds Fall» (mit Mathias Gnädinger als Detektiv und Täter) den Deutschen zeigte, wie in der Bundesstadt ermittelt (und delinquiert) wird. Die Österreicher waren etwas schneller und steuerten schon 1971 mit «Mordverdacht» den ersten Wiener Krimi bei.

1977 sorgte der «Tatort» für erste rote Köpfe: «Reifezeugnis» thematisierte die Beziehung zwischen einem Lehrer und einer blutjungen Schülerin und löste hitzige Diskussionen aus. Geschadet hat es den Protagonisten nicht: Sowohl Christian Quadflieg als auch Nastassja Kinski verdanken zumindest einen Teil ihrer Popularität dem «Reifezeugnis».

Es ist das Überspitzte, Aufdringliche, das den «Tatort» oft ungeniessbar macht.

Und 1978 war der «Tatort» ein Vorreiter, ermittelte doch Nicole Heesters – eine Tochter von Johannes Heesters – als erster weiblicher Kommissar in Mainz. Im selben Jahr flimmerte auch der erfolgreichste «Tatort» überhaupt über den damals noch Röhren-Bildschirm: In «Rot – rot – tot» brachte Curd Jürgens nicht nur seine Frau, sondern gleich noch zwei weitere Damen und sich selbst um. Über 26 Millionen Zuschauer versammelten sich damals vor der «Glotze». Heute schauen noch etwa neun Millionen zu.

1981 veränderte der erste Schimanski-«Tatort» das deutsche Fernsehen. Zum ersten Mal sagte jemand «Scheisse» und «Arsch» im TV. Zum ersten Mal wurden Deutschlands hässliche Seiten gezeigt: Armut, triste Viertel, düstere Kneipen, rohe Gewalt. Götz George verkörperte den Rüpel mit Herz; die Mischung aus Authentizität, grossem Herz und ungehobelten Umgangsformen machten Horst Schimanski zur Kultfigur.

Seit «Schimmi» gab’s keinen Kommissar mehr, der «Schlagfertigkeit» eher über seine Fäuste definierte als über sein Mundwerk – bis 2013 Til Schweiger eine Hauptrolle übernahm; als Hamburger Kriminalhauptkommissar Nick Tschiller brachte er zusammen mit KHK Yalcin Gümer (Fahri Yardim) reihenweise Bösewichte zur Strecke. Tschiller hält übrigens den Rekord für die meisten Toten: Elf hat er auf seinem Gewissen, während alle anderen Ermittler zusammen auf nur rund siebzig Todesschüsse kommen.

Ursprünglich war der «Tatort» ein beliebtes Abschlussritual fürs Wochenende. Tempi passati: In den vergangenen Jahren wurde er immer mehr zur Erziehungssendung, die dem Publikum unterjubeln will, wie die ideale Gesellschaft auszusehen hat. Dass es nicht mehr nur männliche Ermittler gibt, dass diese auch schwarz, mosaischen oder islamischen Glaubens, behindert und/oder homosexuell sein können: geschenkt, danach kräht kein Hahn mehr. Es ist vielmehr das Überspitzte, Aufdringliche, das den «Tatort» heute oft ungeniessbar macht: Man kann schon beinahe Gift darauf nehmen, dass a) ein Unternehmer, Vermögender, Spiesser grundsätzlich böse, b) ein Migrant, Flüchtling, Illegaler nie der Täter ist und c) uniformierte Polizisten, Soldaten, Sicherheitsleute alle Nazis sind.

Erstmals ein «Inclusion Rider»

In den Hamburger «Tatort» «Schattenleben» (2022) etwa wurde alles reingepackt, woran sich ausmachen lässt, wie die «Tatort»-Macher heute ticken: Die Bundespolizistin hatte mit einer verdeckten Ermittlerin, die in die linksextreme Szene eingeschleust wurde und dort in einer Flinta-WG (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, Trans- und Agender-Personen) lebt, früher ein Verhältnis, die V-Frau kann ihren Polizeikollegen (böse Schläger) nicht trauen, einer der «guten» Kommissare ist schwarz, und der Bösewicht am Schluss war, natürlich, ein Polizist.

Zufall ist das nicht: Erstmals in einer deutschen Filmproduktion kam ein «Inclusion Rider» zum Einsatz, eine Klausel, die zu mehr Diversität in Stab und Besetzung verpflichtet. So waren 17 Prozent der am «Tatort» beteiligten Personen schwarz, 65 Prozent der Head-Positionen weiblich.

Das Netz fand das nicht ganz so toll wie die Macher: Auf Twitter brach nach «Schattenleben» ein Shitstorm aus – die Rede war von «Wokeism-Framing», «Volkserziehung, bis der Verstand aussetzt», «Genderwahn», «Sektendoktrin» oder «Diversity-Propaganda». Unter den Kommentaren fand sich kaum einer, der die Diversitätsklausel guthiess.

Das interessierte die Verantwortlichen wenig: Im nächsten «Tatort» mit dem Ermittlerteam aus «Schattenleben» gab es mehr schwarze Schauspieler als weisse. Der Täter in «Verborgen» allerdings war, wenig überraschend, kein Schwarzer, sondern ein deutscher Unternehmer.

Eine subtilere Herangehensweise, bei der einem nicht mit dem Vorschlaghammer Diversität und Inklusion eingehämmert werden, hätte eine bessere Wirkung, glaube ich. Lasst die handelnden Personen doch einfach spannende Fälle lösen und mischt meinetwegen auch Schwarze, Schwule oder Transvestiten darunter, aber bitte nicht nur unter die «Guten», sondern auch unter die «Bösen». Alles andere verzerrt die Realität.

Sichtbarkeit für Randgruppen mag wichtig sein, aber es sind nun mal Randgruppen – und wenn man die im «Tatort» überstrapaziert, goutiert das die Volksseele nicht. Menschen, die wegen ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität Diskriminierung erfahren, sollen gehört und repräsentiert werden – aber nicht überrepräsentiert und nur auf der einen, der «guten» Seite.

Wobei – es gibt sie noch, die «Tatorte», bei denen nicht Inklusion, Diversität und Gendergerechtigkeit im Vordergrund stehen, sondern spannende Fälle und unterhaltsame Dialoge. Hier seien etwa diejenigen aus München (zwei ältere Kommissare, wie sie früher normal waren), Münster (ein prolliger Kommissar und ein versnobter Gerichtsmediziner, der sich an keine PC-Regeln hält) oder Wien (zwei Majore des Landeskriminalamtes, die in schöner Regelmässigkeit in Kuhdörfer geschickt werden, um dem Landvolk zu zeigen, wo der Bartl den Most herholt) erwähnt.

Minderheiten sollen gehört und repräsentiert werden – aber nicht nur auf der einen, der «guten» Seite.

Die Schweizer «Tatorte» hingegen, mit, natürlich, zwei Ermittlerinnen, mag ich nicht dazuzählen, obwohl Tessa Ott (Zürcherin aus gutem Hause, die sich vom «Zürichberg-Milieu» selbstverständlich abgewendet hat, da zu geldgierig, machtbesessen, verlogen) und Isabelle Grandjean (Welsche aus der Arbeiterklasse, die es bis zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag geschafft hat) schon ein Quantensprung gegenüber ihren Vorgängern Reto Flückiger und Liz Ritschard sind. Einen weinerlicheren Kommissar als Flückiger gab’s beim «Tatort» nie, langweiligere Fälle auch nicht. Das Duo Ott/Grandjean löst wenigstens spannendere Fälle, schreit aber förmlich nach Gender-Vorgaben.

Apropos weinerlich: «Normale» Figuren findet man unter den aktuellen «Ermittelnden» wenige. Wer nicht mindestens an einer Depression leidet oder etwas gaga ist, gröbere private Probleme und/oder ein unappetitliches Äusseres hat, hat keine Chance. Politisch steht man links, sieht den Rechtsextremismus als grösste Bedrohung und ist jedem «Business» gegenüber misstrauisch. Wie schön wäre es doch, einmal einen Kommissar erleben zu dürfen, der AfD wählt!

Dr. Stephan Ziegler ist Publizist. Er schaut den «Tatort» seit den 1980er Jahren.