Müssen wir bald Wolodymyr Selenskyj verehren, wie man dies im Mittelalter bei den Heiligen zu tun pflegte? Seit einem Jahr huldigen ihm gewissermassen die Regierungen der westlichen Industriestaaten.

Auch der neutrale Kleinstaat Schweiz macht mit: 2022 pilgerte eine Delegation unter Nationalratspräsidentin Irène Kälin (Grüne) nach Kiew. Auch Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) scharwenzelte in den letzten Monaten gerne um seinen Freund Wolodymyr.

Selten hat sich der Westen von einem Politiker blenden lassen wie von Selenskyj. Diese Heldenverehrung ist fast schon unheimlich.

Doch nun schreibt die Schweiz ein weiteres düsteres Kapitel dieser unsäglichen Geschichte: Der ukrainische Präsident wird am 15. Juni eine Rede vor der Bundesversammlung halten. Ein fremder Staatschef, der in einen Krieg verstrickt ist, wendet sich per Videoschaltung im Nationalratssaal an unser Parlament.

Oder anders: Ein neutraler Staat gibt einem Kriegsherrn das Wort im Ratssaal, der so Einfluss nehmen kann auf unsere Politiker.

Dies nennt man Parteinahme, die in scharfem Kontrast steht zu unserer Neutralität. Oder gibt man der Gegenseite etwa auch die Möglichkeit zu einem solchen Auftritt?

Wie ist es möglich, dass bloss die SVP die Neutralitäts-politische Brisanz dieser Selenskyj-Party erkennt und den Anlass boykottieren will?

Die Volkspartei wird auch versuchen, diese bedenkliche Veranstaltung im Nationalrat abtraktandieren zu lassen – auch wenn die Chance gering ist, dass sich dafür eine Mehrheit findet. Aber es ist gut, dass man es den Selenskyj-Anbetern trotzdem nicht zu leichtmacht.