Gegendarstellung. Nancy Faeser (52, SPD), Bundesministerin des Innern, wird mit folgendem Satz zitiert: «Natürlich besteht die Gefahr, dass diejenigen, die schon in der Corona-Zeit ihre Verachtung gegen die Demokratie herausgebrüllt haben und dabei oftmals Seite an Seite mit Rechtsextremisten unterwegs waren, die stark steigenden Preise als neues Mobilisierungsthema zu missbrauchen versuchen.»

Richtig hingegen ist: Die freie Meinungsäusserung ist und war auch während der Corona-Zeit ein Grundrecht und ist in Artikel 5 GG festgeschrieben.

Menschen, die ihre Meinung sagen, schreien, brüllen oder sonst wie kundtun, verachten Demokratie nicht, sondern nutzen sie.

Mit wem Menschen bei der Ausübung ihres Grundrechts «Seite an Seite» laufen, mag je nach Standpunkt unappetitlich sein, ist aber unerheblich.

Da wir alle auch sonst im Netz oder in der Gesellschaft überhaupt mit Volldeppen und Gesinnungsdödeln zu tun haben, erwächst auch aus gemeinsamer Demonstration mit mentalen Zwielichtern keine Kollektivschuld.

Anstatt den Anschein zu erwecken, dass dramatisch steigende, für viele Menschen ruinöse Energie-Preise ein irgendwie illegitimes Mobilisierungsthema wären, ist es der Job von Ministern und Regierung, darüber nachzudenken, warum eigentlich immer neue Themen vom Aussenhandels-Abkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) über Migration, Corona oder Inflation so viele Leute auf die Strassen bringen, die der Demokratie insgesamt die Lösungskompetenz nicht mehr zutrauen.

Warnungen und Beschimpfungen helfen da nicht weiter.

Und: Wer demonstriert, zeigt immerhin Interesse am Gemeinwesen.

Sorgen machen sollten uns jene, die mit allem abgeschlossen haben.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.