Das mit dem Wähler wird zunehmend zum Ärgernis. Man kann ihm vor der Wahl dutzendfach erklären, wie er abstimmen muss, und er hält sich einfach nicht dran. CDU-Chef Friedrich Merz zum Beispiel mühte sich im Sommerinterview des ZDF am Sonntagabend redlich, den Leuten im Osten klarzumachen, wo sie ihr Kreuz setzen müssten.

«Mein Appell ist eindeutig und klar: Die Wählerinnen und Wähler in Sachsen und in Thüringen, die am 1. September vor der Entscheidung stehen, wen sie wählen sollen, die aber erwägen, die SPD, die FDP oder die Grünen zu wählen, die allesamt einstellig sind und möglicherweise alle drei unter 5 Prozent, kann ich nur bitten, jetzt in dieser Situation die CDU zu wählen.»

Nun ist es weder neu noch verwerflich, dass Parteichefs für ihre eigene Truppe werben. Dass Merz allerdings ausgerechnet die Ampel-Wähler für sich akquirieren will, ist dann doch etwas bemerkenswert. Man könnte sagen: Freunde der Grünen sind mir willkommen, wenn sie die Union wählen. Stimme ist Stimme. Mit der gleichen Begründung hätte allerdings FDP-Mann Thomas Kemmerich auch Ministerpräsident von Thüringen bleiben können, denn die Stimmen der AfD waren ja durch ihr Votum gewissermassen geläutert und für die gute, liberale Sache abgegeben worden.

Wenn man «klare Verhältnisse» und «stabile Regierungen» haben wolle, dürfe man aber eben bei den bevorstehenden Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg nicht den Extremisten von der AfD die Stimme geben. Eine Feststellung, der ein massives Missverständnis zugrunde liegt: Nicht die Politik beauftragt die Wähler mit einem bestimmten Votum, sondern genau umgekehrt. Der Wähler erteilt der Politik ein Mandat, das diese umzusetzen und nicht daran herumzumäkeln hat.

Merz, der ursprünglich auch eine harte Abgrenzung gegen über dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) verkündet hatte, räumt inzwischen den jeweiligen Landesverbänden eigene Entscheidungsspielräume ein. Allerdings seien die BSW-Positionen oft noch unklar und die ganze Truppe lediglich eine «Ein-Personen-Partei».

Das hat bei der Europawahl offenbar 6 Prozent der deutschen Wähler nicht gestört, und es klingt immer etwas herablassend, wenn man mündigen Bürgern gewissermassen bescheinigt, politische Ramschware bevorzugt zu haben, während man selbst doch als Markenprodukt zur Verfügung stehe.

Es ist ja wahr: Friedrich Merz ist am Erbe von sechzehn Jahren Merkel-CDU nicht schuld. Als Nachlassverwalter sollte er Zweifel und Argwohn, die der Union an vielen Stellen noch immer entgegenschlagen, nicht ganz aus dem Blick verlieren.

Am Ende gilt der alte Halspastillenspruch: «Sind sie zu stark, bist du zu schwach!»

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.