Gestern traf sich in Berlin die Bundesversammlung, deren einzige Aufgabe darin besteht, den Bundespräsidenten zu wählen. Sie setzt sich zusammen aus allen Mitgliedern des Deutschen Bundestages und ebenso vielen von den Volksvertretungen der deutschen Länder gewählten Wahlleuten.

Zu Letzteren gehört neben einer Dragqueen auch Reyhan Şahin, die unter dem Namen Lady Bitch Ray einen gewissen Bekanntheitsgrad geniesst. Die FAZ beschrieb sie als «armes Provokationswürstchen im goldenen Glitzerdarm mit giftiger Engstirnigkeit».

Als ginge es ihr darum, ebendies zu bestätigen, foutierte sich Şahin um die Würde ihres Amtes. Sie nutzte die Gelegenheit für einen Auftritt, der die versammelte Qualitätsjournaille sowie den alten und neuen Präsidenten in Verzückung versetzte.

Hätte sie bloss zeigen wollen, dass das ganze Spektakel eine reine Farce war, weil die grösste Oppositionspartei auf eine eigene Kandidatur verzichtete und sich mit der Rolle des Claqueurs begnügte, wäre ihr Habitus perfekt gewesen. Doch die Kandidatin der Bremer Linken nutzte die Gunst der Stunde für eine politische Botschaft.

Unübersehbar zierte ihre Tasche der Slogan #noAfD. Damit verstiess sie nicht nur gegen eine demokratische Gepflogenheit, sie sprach einer legalen Bundestagspartei mit einem Wähleranteil von über zehn Prozent die Existenzberechtigung ab.

Konkret heisst das: Lady Bitch Ray, die ihre Schrillheit für Ausdruck von Toleranz hält, spricht einem Zehntel der Bevölkerung das Recht auf seine Meinung ab. Das ist totalitär.

Grossspurig verkündete der Präsident in der Rede zu seiner Wiederwahl: «Überparteilich werde ich sein, ja – aber ich bin nicht neutral, wenn es um die Sache der Demokratie geht. Wer für Demokratie streitet, der hat mich auf seiner Seite. Wer sie angreift, wird mich als Gegner haben.»

Nicht nur, dass er eine Chance verpasst hat, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Er liess sie gewähren und hiess damit ihre demokratiefeindliche Haltung gut.