Sportreporter sind die Überbringer von Neuigkeiten, Nachrichten und Resultaten. Sie sind zwar Teil des Sports, aber nur «dabei». Bei Walter Scheibli war dies anders – ganz anders. Wenn er im Hallenstadion auf der Pressetribüne von den Spielen seines «Zette-Äss-Cee» berichtete, brandete den Zuhörern an den Empfängern Leidenschaft und Enthusiasmus in höchsten Dosen entgegen – und über die Lautsprecher hörte man das ZSC-Herz förmlich pochen.
Kent Ruhnke, ZSC-Meistertrainer von 2000 und Hauptfigur so mancher geschichtsträchtiger Nacht in Oerlikon, sagte über Walter Scheibli einst: «Wenn man an den ZSC denkt, denkt man an Walter Scheibli – und umgekehrt. Er ist der einzige Reporter, der einen grösseren Namen hat als alle Spieler.» Dies spiegelte sich auch in den Huldigungen der Fans. Deckten diese das eigene Team am Ende eines tristen Abends mit Pfiffen und Buhrufen ein, war der Radio-24-Reporter immer ein Publikumsliebling: «Waaalter Scheibli! Waaalter Scheibli! Waaalter Scheibli!»
Der oberste ZSC-Fan
Scheibli lebte seine Passion stets in einer Doppelfunktion aus – er war immer auch oberster Fan seines Klubs. «Dazu stehe ich, aber ich behandle die Gegner immer mit Anstand und Respekt», sagte er. Beim Staatsradio genügte dieses Bekenntnis allerdings nicht. Nach ein paar Reportagen wurde Scheibli dort in den 1970er Jahren des Feldes verwiesen: «zu reisserisch», beschied ihm die gebührenfinanzierte Obrigkeit.
Es war eine eidgenössische Fehleinschätzung im Sinne der politischen Korrektheit. Aber trotzdem fand der frühere Torhüter des FC Young Fellows (drei Nationalliga-A-Spiele) seinen Platz in der Schweizer Medienlandschaft – zunächst als rasender Reporter für den Blick, ab den frühen 1980er Jahren als Stimme des Zürcher Sports für Roger Schawinskis Piratensender Radio 24. Sein damaliger Mitstreiter Frank Baumann beförderte Scheibli schon zu Lebzeiten in den Adelstand für Radioreporter: «Waltis parteiisch-unparteiische Kommentare waren dermassen ansteckend, dass es sogar für einen Kloten-Fan schwierig wurde, nicht zum ZSC zu wechseln.»
Schawinski machte ihn zum Star
Derweil erkannte Radio-24-Gründer Schawinski das Potenzial von Scheibli schon nach wenigen Arbeitstagen: «Aus dir mache ich den bekanntesten Reporter der Deutschschweiz. Du kannst ein Star werden.» Schawinski sollte recht behalten. Scheibli wurde zum Star – und begleitete das Zürcher Eishockey durch alle Höhen und Tiefen – von der epochalen Enttäuschung und dem verpassten Aufstieg gegen Ajoie 1988 bis zur meisterlichen Renaissance im Play-off-Final gegen Lugano 2000.
Scheibli stand auch für den Wandel der Medienlandschaft und das Konsumverhalten der Fans. Als er 1983 das erste ZSC-Spiel kommentierte, gab es noch keinen Teletext, und DRS 1 vermeldete die Eishockey-Resultate erst ab 22.15 Uhr. Er erinnerte sich: «Wir schalteten uns bei jedem Tor live ein und waren die Ersten, die Eishockey-Zwischenresultate brachten.» Heute fällt die lokale Sportberichterstattung immer mehr dem Sparhammer und dem Liveticker der Internetportale zum Opfer. Scheibli nahm’s gelassen. Er pflegte zu sagen: «Ich bin bei der mechanischen Schreibmaschine stehengeblieben. Mein Handy benutze ich nicht, und im Internet war ich noch nie.»
Es waren exakt diese Ehrlichkeit und Bodenhaftung, die Walter Scheibli auch für jüngere Kollegen zum grossen Vorbild machten. Der Mann, der an den ZSC-Spielen stets seinen gelben Glückspullover trug, war immer freundlich und zuvorkommend – und er besass einen wunderbaren Humor. Dieser endete aber bei seiner topseriösen Berufsauffassung. Während viele Journalisten erst auf die Medienkonferenz eine halbe Stunde vor dem ersten Bully ins Stadion kamen, sass Walti in der Regel schon zwei Stunden vor Spielbeginn an seinem Platz und bereitete sich minutiös vor.
Gelernter Bäcker, liebender Ehemann
Walter Scheibli vergass nie, woher er kam. Gelernt hatte er den Beruf des Bäckers. Nach einem Sprachaufenthalt in der Westschweiz heuerte er beim Konsumverein an. Bald wurde ihm der Posten des Filialleiters am Milchbuck angeboten. Doch Walti zögerte – mit der Bemerkung, dass er kein Zahlenmensch sei. Der Chef aber wischte diese Bedenken vom Tisch; mit dem Hinweis, dass in der Filiale ein «Fräulein Eisenhut» arbeite, das sich in administrativer Hinsicht perfekt auskenne. Es sollte eine wunderbare Konstellation sein. Walter Scheibli wurde mit 23 Jahren Chef der Filiale – und eroberte das Herz von Margrit Eisenhut aus dem appenzellischen Gais. 1957 heirateten die beiden. 1959 wurde Sohn Walter J. geboren.
Das Glück war perfekt. Und die Scheiblis funktionierten als eingeschworenes Team. Margrit begleitete ihren Ehemann noch im hohen Alter in die Stadien. Der Sohn besuchte seine Eltern fast täglich. Neben dem ZSC war der FC Unterstrass ein anderer sportlicher Fixpunkt im Leben der Scheiblis.
2017 verdüsterte sich der Himmel über der Familie allerdings. Margrit musste ins Pflegeheim. An Weihnachten 2018 verabschiedete sie sich in die Ewigkeit. Es war ein Ereignis, das ihren Männern den Boden unter den Füssen wegzuziehen schien. Walter J. verlor seinen Lebensgeist. Am 10. Mai 2022 – mit nur 63 Jahren – trat er seinen letzten Gang an.
Die Tragik dieses Ereignisses liess Vater Scheibli nie mehr los. Zwar konnte er auf ein grandioses Umfeld zählen. Seine Freunde vom ZSC kümmerten sich rührend um ihn – und hielten ihn im Leben. Und trotzdem wurde es immer deutlicher: Walti war müde, Walti war allein, Walti war traurig. Nach einer Blutvergiftung im vergangenen Sommer verbrachte er die letzten Monate im Pflegeheim Bethanien. In der Säuglingsabteilung dieser Zürcher Institution hatte er am 14. Oktober 1932 das Licht der Welt erblickt. Am 19. Dezember 2023 schloss sich sein Lebenskreis. Walter Scheibli hinterlässt seinen vier Jahre jüngeren Bruder Peter – und ganz viele trauernde Freunde und Fans.
Ich hoffe du bekommst im Himmel ein Gelbes Bänkli und ein Mikrofon, dass wir dich weiterhin hören können. Bis später
Die Live-Schaltungen während der Eishockeyspiele ins Hallenstadion zu Walter Scheibli waren immer sehr unterhaltsam anzuhören.Ein toller Sportreporter.
Gute Reise , Walter Scheibli. Ich werde Dich und deine Stimme nie vergessen 😥