Mit seinem Urteil zur Beschwerde des Vereins der Klimaseniorinnen Schweiz hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als neue Weltversteher-, Weltlenker- und -retterinstanz ins Scheinwerferlicht geschoben.

Die Richter sind mit sechzehn gegen eine Stimme zum Schluss gekommen, dass die Schweizer Behörden in der Klimapolitik nicht genug Massnahmen ergreifen, um die Auswirkungen des Klimawandels so abzumildern, wie es mit Blick auf die Menschenrechtskonvention zur Achtung des Privat- und Familienlebens ihre Pflicht wäre.

Die Beschwerden der vier einzelnen Frauen, die im Verfahren ausführlich ihre Leiden in der Schweizer Hitze darlegten, wurden zwar nicht gutgeheissen, jene des Vereins als Kollektiv hingegen schon, aus irgendeinem Grund. Der Verein hatte zur Verteidigung auch viele andere Kollektive wie NGOs an seiner Seite.

Der Gerichtshof muss über sehr viel Wissen verfügen, er zitiert in seinem Urteil ausgiebig aus Schriften der Klimawissenschaften, aus dem Fundus des Uno-Weltklimarats IPCC. Man muss vermuten, dass er sich neben der juristischen Fachkompetenz auch enorme naturwissenschaftliche Expertenkenntnisse erarbeitet hat, die ihn befähigen, die Befunde so zu bewerten, dass sich für ihn der Schluss ergibt: Die Zusammenhänge in der ganzen komplexen globalen Klimasituation sind tatsächlich so, dass die Schweiz, die für 0,18 Prozent der globalen CO2-Emissionen steht und Spitzenwerte in der Energieeffizienz erreicht, zu wenig getan hat, um zur Milderung des Klimawandels beizutragen und Gruppen wie die älteren Frauen und deren Gesundheit zu schützen.

Für die Fachleute des Gerichtshofs ist es offensichtlich zentral, sich am Pariser-Klimaabkommen zu orientieren, gemäss dem die Erderwärmung auf höchstens 2 Grad Celsius begrenzt werden soll. Diese seinerzeit politisch ausgehandelte, nicht wissenschaftlich bestimmte Marke, deren Einhaltung selbst nach Unterzeichnung international nicht durchsetzbar ist, ist eine Art Fixstern für den Gerichtshof. «Paris» sagen ist gut.

Ähnliches gilt für das damit zusammenhängende Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf netto null zu reduzieren, verbunden mit der Vorstellung, es gebe für die Erde nur noch ein bestimmtes CO2-Emissions-Budget.

In der Beurteilung des Gerichts scheinen Kosten-Nutzen-Überlegungen keine grosse Rolle zu spielen, die Argumente zielen vor allem auf die Reduktion von Treibhausgas-Emissionen, nicht auf die Belastungen, die in vielfacher Hinsicht damit verbunden sein können.

Das Urteil des Gerichtshofs ist aufsehenerregend, weil er sich erstmals auf eine solche Massregelung umfassender politischer Prozesse einlässt, im Fall der Schweiz einer direkten Demokratie in einem dreistufigen föderalen Staat.