In der Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums kommen zwei Gestalten vor, die aus historischen Quellen bekannt sind: der römische Kaiser Augustus und der Statthalter Quirinius. Augustus hatte nach der Ermordung seines Adoptivvaters Cäsar und einem Bürgerkrieg die Alleinherrschaft an sich gerissen. Er war weniger genial als Cäsar, aber politisch klüger. Er machte den Aristokraten Komplimente und fütterte die Proletarier mit höheren Brotrationen. Rom wurde zur sozialstaatlichen Versorgungs- und Vergnügungsanstalt, und die Proletarier liessen sich für ihre politische Entmündigung mit Alterspensionen und Pfründen abspeisen.

Augustus steht für den Trick, eine Republik vorzutäuschen und eine Monarchie auszuüben. Immerhin folgte eine 200-jährige Friedenszeit, doch der Preis, den das römische Volk bezahlte, war die Freiheit. Das ist die Versuchung aller Staatenlenker: dem Volk Sicherheit zu versprechen und ihm dafür die Freiheit wegzunehmen. Darauf fallen die Bürger gerne herein und werden zu Untertanen.

Gewaltherrscher Herodes

Quirinius vertrat den Kaiser als Statthalter in Syrien. Er gliederte Judäa seiner Provinz ein und erhob eine Bestandesaufnahme der Bevölkerung und ihres Eigentums, um sie zu besteuern. Die jüdische Partei der Zeloten wehrte sich dagegen mit Aufständen und Anschlägen. Im Rahmen dieser Volkszählung musste sich Josef mit seiner Braut Maria in den Heimatort Bethlehem begeben, wo dann Jesus unter unbequemen Umständen geboren wurde.

Quirinius stammte aus einfachen Verhältnissen und war aufgrund militärischer Verdienste in hohe Staatsämter gelangt. Er trägt im biblischen Urtext die Bezeichnung Hegemon, was eine grosse Machtfülle verrät. Ihm standen Zöllner und Truppen zur Verfügung. Quirinius steht für die staatliche Bürokratie mit ihren Aufstiegsmöglichkeiten für Leute, die nach Macht und Geld streben. Das Matthäusevangelium erwähnt weder Augustus noch Quirinius, wohl aber König Herodes. Seine Dynastie regierte von Roms Gnaden in Palästina. Zur Geburtszeit Jesu herrschte Herodes der Grosse. Er tat sich durch imposante Bauten hervor und war religiös tolerant. Gegen politisch missliebige Leute ging er brutal vor und liess auch Söhne umbringen.

Der Kindermord in Bethlehem ist nicht belegt, würde jedoch zu Herodes passen. Er heiratete eine hasmonäische Prinzessin und eroberte in einem Blutbad Jerusalem. Als ein paar vornehme Damen einen anderen Hohepriester durchsetzten, gelang es Herodes, ihn in Jericho zu ertränken. Als Octavian den Machtkampf gegen Antonius gewann, lief Herodes zum Sieger über und erhielt zum Dank zusätzliche Landesteile. Seine hasmonäische Frau passte nun nicht mehr ins Gesamtbild, so dass er sie hinrichten liess. Herodes steht für Gewalt und deren Missbrauch durch den Staat. «Gewalt ist keine Lösung», hört man oft. Wahr ist, dass Gewalt oft die Patentlösung für Autokraten ist. Sie funktioniert am besten, wenn niemand weiss, wer als Nächster drankommt. Drei Milliarden Menschen leben heute unter Gewaltregimes.

Jedes Gemeinwesen braucht Autorität und Administration. Auch das Gewaltmonopol ist unverzichtbar, um das Recht durchzusetzen. Augustus, Quirinius und Herodes zeigen, dass die drei Bereiche vom Missbrauch bedroht sind. Die Weihnachtsgeschichte lässt erkennen, dass alle Strukturen sekundär sind und in der Gemeinschaft etwas anderes im Zentrum steht, nämlich die unmittelbare Beziehung zwischen Mensch und Mensch. Maria und Josef reisten als Paar ohne offiziellen Trauschein. Die Geburt erfolgte ohne öffentlichen Beistand in einem Stall. Die Fürsorge der Eltern – primär der Mutter – ist der Prototyp der Nächstenliebe und der Gemeinschaft.

Abhängigkeiten und Beziehungen durchziehen in Abstufungen und Varianten das Leben. Josef war wegen der Jungfrauengeburt nicht der Vater von Jesus, übernahm jedoch die Verantwortung für ihn. Wahre zwischenmenschliche Verantwortung gibt’s nur im privaten Milieu. Und wahre Gottesbeziehung erfordert nicht zwingend Institutionen, mögen diese auch nützlich sein. Gott übergeht den Tempel und offenbart sich unmittelbar in diesem Kind, im Menschen Jesus.

Du sollst dich nicht fürchten

Die Botschaft an die Hirten lautet, sie sollten sich nicht fürchten. Sie steht im Gegensatz zu manchen Regierungen und Amtsstellen, die ihren Bürgern Ängste – Krankheiten, Klima, Armut – einflössen und sich dann als Retter in Szene setzen. Die Ängste sind unnötig, weil Gott für die Menschen sorgt. Das kommt deutlicher zur Geltung, wenn man die Überbeine des Sozial-, Bürokraten- und Polizeistaates abbaut oder links liegenlässt. Dann wird mehr Raum frei für die Liebe und die Zuwendung, für die Fürsorge und das Gottvertrauen.

Dieser Text erschien erstmals in der Ausgabe vom 21. Dezember 2022.