Fotografen und Videofilmer aus aller Welt haben mehrfach Kriegsverbrechen russischer Soldaten an der ukrainischen Zivilbevölkerung dokumentiert. Nie zuvor in der Geschichte wurden so viele Fotos und Videos in Echtzeit aufgenommen und veröffentlicht.

Es stellt sich daher die Frage, ob dieses Material als Beweismittel verwendet werden könnte, wenn russische Soldaten und Politiker vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt werden sollten.

Die Antwort ist ein eingeschränktes Ja.

Viele Medien, die diese Bilder veröffentlicht haben, wiesen zu Recht darauf hin, dass sie nicht immer die Richtigkeit oder die Authentizität der Bilder bestätigen könnten. Einige wurden von gewöhnlichen Menschen mit ihren omnipräsenten Smartphones aufgenommen, andere von professionellen Journalisten.

Damit ein Bild vor Gericht als Beweismittel zugelassen werden kann, müssen dessen Quelle, der Ort der Aufnahme, sein Kontext und seine Vollständigkeit bestätigt werden. Dies erfordert in der Regel ergänzende Live-Aussagen von Augenzeugen, um eine angemessene Grundlage für eine belastbare Beweiskette zu ermöglichen.

Befolgt man diese Regeln, wird zwar nicht das gesamte Foto- und Filmmaterial, das über die sozialen Medien verbreitet wird, vor Gericht zulässig sein, aber immerhin ein grosser Teil.

Das dürfte genügend belastbare Beweise und Indizien liefern, auf deren Basis viele schwere Straftaten beurteilt und verurteilt werden können. Es wird zudem auch Aussagen von Opfern und von Überlebenden geben, die den Kontext der Dokumentation einordnen können.

Solche Beweis-Kombinationen wurden in der Vergangenheit mit Erfolg eingesetzt. Sie bildeten zum Beispiel die Basis für Verurteilungen von Nazi-Verbrechern in Nürnberg und in jüngerer Zeit bei Prozessen, in denen es um das ehemalige Jugoslawien ging.

Die grösste Schwierigkeit, mit der die Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofes wahrscheinlich konfrontiert sein werden, besteht allerdings nicht im Nachweis von Kriegsverbrechen. Dazu gibt es mehr als genügend Beweise.

Es wird vielmehr darum gehen, die Täter ausfindig zu machen und ihre Anwesenheit vor Gericht sicherzustellen, wenn es zum Prozess kommt. Dokumente aus offenen Quellen können zwar beim Aufspüren der Täter helfen, sind aber keine Unterstützung, wenn sich die Angeklagten weigern, sich den Richtern zu stellen.