Die Ukraine muss nach Meinung eines hohen Nato-Vertreters Gebiete an Russland abtreten, um in das Bündnis aufgenommen zu werden. «Ich glaube, dass eine Lösung darin bestehen könnte, dass die Ukraine Territorium abgibt und im Gegenzug eine Nato-Mitgliedschaft erhält», erklärte Stian Jenssen, der Stabschef von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, bei einer Podiumsdiskussion in Norwegen. Dies berichten Lokalzeitungen.

Bisher hat die Regierung in Kiew jede dauerhafte Aufgabe russisch besetzter Gebiete kategorisch ausgeschlossen.

Jenssen, einer der engsten Mitarbeiter Stoltenbergs, betonte indes, dass es wichtig sei, «darüber zu diskutieren». Man müsse sich Gedanken machen, wie die Sicherheitslage für die Ukraine nach dem Ende des Krieges aussehen werde. «In der Frage der künftigen Nato-Mitgliedschaft der Ukraine gibt es erhebliche Bewegung. Es ist in unser aller Interesse, dass sich der Krieg nicht wiederholt.» Die Entscheidung müsse jedoch der Ukraine überlassen bleiben.

Es ist unklar, ob Jenssen nur seine eigene Meinung oder auch die des Generalsekretärs wiedergab. Beobachter wiesen jedoch darauf hin, dass bislang kein Dementi der Nato-Spitze vorlag. Anders als etwa die Europäische Union habe die Nato auch nie gesagt, dass die Ukraine den Konflikt gewinnen müsse. Dies würde eine vollständige Rückeroberung aller Gebiete voraussetzen, wie sie Kiew wiederholt als Kriegsziel formuliert hat.

Jenssens Bemerkungen lösten denn auch in Kiew Empörung aus: Das ukrainische Aussenministerium nannte sie «absolut inakzeptabel» und betonte, Territorien sollten nicht für politische Deals genutzt werden. Oleg Nikolenko, der Sprecher des Ministeriums, warnte vor einem Narrativ über mögliche Gebietsabtretungen, das Russland in die Hände spiele. Auch Präsidentenberater Mychajlo Podoljak kritisierte den Vorschlag vehement. Er warnte vor einer Ermutigung des russischen Regimes und einer möglichen Wiederkehr des Krieges, falls Putin nicht zur Verantwortung gezogen werde. Podoljak betonte, eine Abtretung von Territorien wäre eine bewusste Entscheidung gegen die Demokratie und für das Fortbestehen des russischen Regimes.

Stian Jenssen hat seine Bemerkungen inzwischen relativiert. Man müsse zwar über alle Möglichkeiten reden, aber dies habe er nicht sagen dürfen. Ein klares Dementi klingt anders.