Nahezu die gesamte öffentliche Diskussion um den Krieg in der Ukraine ist in den deutschen Medien moralisch aufgeladen.

Bemerkenswerterweise hört der moralische Blick dann auf, wenn es etwa darum geht, anzuprangern, dass ukrainischen Männern im wehrfähigen Alter die Ausreise aus dem Land verwehrt wird. Dies zeigt ein aktuelles Beispiel aus den ARD-«Tagesthemen».

Der Ukraine-Korrespondent des Senders, Vassili Golod, ist live aus Kiew zugeschaltet und erklärt, was es mit der Entscheidung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf sich hat, die Leiter der für die Rekrutierung von Soldaten zuständigen Regionalbüros zu entlassen.

«Männer», so führt Golod aus, hätten sich von der Einberufung für Beträge von etwa 10.000 US-Dollar «freikaufen» können, wie auch die Weltwoche unter Berufung auf die Financial Times berichtet.

Golod bezeichnet die Entscheidung Selenskyjs in einem Tweet als «konsequent» und «überfällig». Bemerkenswert: In dem Beitrag prangern weder Golod noch die Moderatorin Caren Miosga an, dass vor den Augen der Weltöffentlichkeit durch das Ausreiseverbot und die sich anschliessenden Rekrutierungen letztlich Ukrainer, die das nicht möchten, dazu getrieben werden, die Waffe in die Hand zu nehmen und an der Front auf russische Soldaten zu schiessen oder ihr eigenes Leben im Krieg zu riskieren und gegebenenfalls zu sterben.

Gewiss lässt sich einwenden, dass es schlimm ist, wenn arme Ukrainer, die sich durch Bestechung nicht «freikaufen» können, an die Front müssen, während Ukrainer mit Geld die Möglichkeit haben, den Krieg zu umgehen. Doch diese Argumentation kommt einem moralischen Bankrott gleich, wenn sie nur darauf hinausläuft, sich mit dem Stopfen der Schlupflöcher zufriedenzugeben.

Ob arm oder reich: Es ist ein grausamer Akt des Staates, Bürgern die Ausreise zu verbieten, um sie gegen ihren Willen in den Krieg schicken zu können. Kein Mensch, ob arm oder reich, soll direkt oder indirekt dazu gezwungen werden, andere, und sei es ein «Feind», zu töten oder das Risiko eingehen zu müssen, selbst getötet zu werden.

Wo ist hier also die «Moral»?

Marcus Klöckner ist Journalist und Autor. Zuletzt von ihm erschienen: «Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen. Das Corona-Unrecht und seine Täter», Rubikon.