Der türkische Nationalspieler Merih Demiral hat im Achtelfinale gegen Österreich mit seinem umstrittenen Jubel für Aufsehen gesorgt. Während der Nationalhymne und nach seinem Tor zeigte Demiral den sogenannten Wolfsgruss. Eine Geste, die laut deutscher Presse und der Uefa die Zugehörigkeit oder Sympathie für die türkische rechtsextreme Ülkücü-Bewegung ausdrückt. Demiral wurde von der Uefa für die nächsten zwei Spiele an der EM gesperrt.

Nach dem Ausscheiden der türkischen Mannschaft meldete sich der Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, zu Wort. Während eines Blitzbesuchs in Deutschland, um das Spiel der Türken gegen die Niederlande zu verfolgen, kritisierte Erdogan die Uefa scharf für ihre Entscheidung, Demiral für zwei Spiele zu sperren. «Ehrlich gesagt hat die Uefa-Sperre einen schweren Schatten auf die Meisterschaft geworfen. Das ist unerklärlich, es ist eine rein politische Entscheidung. Tatsächlich handelt es sich um eine Strafe für die Türkei als Nation», erklärte Erdogan.

Die Türkei unterlag den Niederlanden mit zwei zu eins. Vor seinem Rückflug besuchte das türkische Staatsoberhaupt aber die Spieler in der Kabine und lobte die Mannschaft für ihren Kampfgeist trotz erschwerter Umstände: «Unsere Nationalmannschaft hat auf das ihr angetane Unrecht mit spektakulärem Fussball auf dem Feld reagiert. Ich gratuliere euch allen», sagte Erdogan. Dabei schüttelte er auch die Hand des gesperrten Demiral, wie TV-Bilder zeigten.

Mit seiner Einschätzung, dass es sich um eine politische Entscheidung bei der Sperrung Demirals aufgrund des angeblich rechtsextremen Wolfsgrusses handelt, hat der türkische Staatspräsident recht. Denn die Interpretation des Grusses und damit Begründung für die Sperre durch die Uefa ist oberflächlich. Befasst man sich mit tiefgründiger damit, wird klar: Der Wolfsgruss ist ein zentrales Symbol aus der türkischen Mythologie, steht für eine Art Wegweiser, Leiter und Retter der türkischen Kultur und des Volkes. Diese symbolische Geste ist vergleichbar mit der römischen Wölfin, die Romulus und Remus, die Gründer Roms, aufzog. Die extreme Ülkücü-Bewegung hat dieses Symbol jedoch für ihre Zwecke vereinnahmt. Den Wolf mit den Rechtsextremisten gleichzusetzen, spielt ihnen in die Hände.

Die Entscheidung, Demiral zu bestrafen, weil er ein Symbol aus der türkischen Mythologie verwendet hat, ist deshalb absurd und unverhältnismässig. Aus mehreren Interviews mit Demiral geht auch hervor, dass dieser kein Nationalist ist, sich weltoffen zeigt, immer wieder völkerverständigende Aussagen gemacht hat. Deshalb kann ausgeschlossen werden, dass er mit seinem Jubel den Nationalisten huldigen wollte. Zudem wird von türkischer Seite der Gerechtigkeit halber darauf hingewiesen, dass 2018 die Schweizer Spieler albanischer Herkunft Shaqiri und Xhaka nach ihrer provokativen Doppeladler-Geste nur mit einer Geldstrafe davonkamen.

Die Debatte um Demirals Jubel zeigt wieder einmal, wie Fussball und Politik miteinander verflochten sind und welche symbolische Macht Gesten auf dem Spielfeld haben können. Diese können weit über den Sport hinausgehen. Die Frage bleibt, wie Sportverbände solche Situationen in Zukunft handhaben und ob sie fair und ausgewogen agieren können.

Bisher scheinen sie solche Vorfälle willkürlich mit zweierlei Mass zu behandeln.