Seit der russischen Invasion der Ukraine am vergangenen Donnerstag sind bereits mehr als 300.000 ukrainische Flüchtlinge in Polen eingetroffen. In den allermeisten Fällen handelt es sich dabei um Frauen, Kinder und ältere Menschen – ein wichtiger Unterschied zur Migrationskrise des Jahres 2015, als hauptsächlich junge Männer nach Europa kamen.

Derweilen überrollt Polen eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft, die ihresgleichen sucht. Die Solidarität mit den Flüchtlingen ist beeindruckend. Schon am Morgen nach Invasionsbeginn taten sich etliche Polen zusammen und sammelten Sachspenden, um die Flüchtlinge an der Grenze mit dem Nötigsten zu versorgen. So gelangten innerhalb von nur wenigen Stunden Hygienemittel, Decken, Kleidung, Windeln, Kindersitze oder aber einfach nur Bargeld direkt zu den Bedürftigen. An den zahlreichen Grenzübergängen wurden Stände aufgebaut, wo den Geflüchteten – natürlich kostenlos! – eine warme Mahlzeit angeboten wird. Tausende Polen fahren mit ihren privaten PKW an die Grenze, um den Ukrainern den Transport ins Landesinnere zu ermöglichen. Das Stadion des Fussballklubs Wisła Kraków, das 30.000 Zuschauer fasst, ist als Sammelpunkt mit Hilfsgütern gefüllt.

Bereits vor Kriegsbeginn lebten mehr als eine Million Ukrainer in Polen, sodass jetzt viele Flüchtlinge die Möglichkeit haben, bei Verwandten oder Freunden unterzukommen. Für diejenigen, die alleine kommen, zeigen die Polen ein besonders offenes Herz und laden sie zu sich nach Hause ein. Eine wichtige Rolle spielt auch die katholische Kirche. Am Sonntag wurden in allen polnischen Pfarreien (das sind mehr als 11.000!) Geldspenden für Ukrainer gesammelt, und auch die polnischen Bischöfe überwiesen Millionenbeträge an verschiedene Hilfsorganisationen. Federführend ist die Caritas, ebenfalls eine kirchliche Organisation.

Auch der polnische Staat ist bestens auf die Flüchtlingswelle vorbereitet. Polizei und Grenzschutz koordinieren das Geschehen vor Ort, die Beamten sprechen fliessend Englisch oder Ukrainisch, sodass es kaum Sprachbarrieren gibt. Schon am Donnerstag waren neun Checkpoints eingerichtet worden, wo die Flüchtlinge alle nötigen Informationen bekommen und weitergeleitet werden. «Die russischen Invasoren zwangen viele Ukrainer dazu, ihre Heimat zu verlassen, und da war es für uns als Staat selbstverständlich, sofort zu helfen», heisst es auf einer Homepage des polnischen Innenministeriums.

Auch staatliche Unternehmen waren prompt zur Unterstützung bereit und organisieren Medikamente, Nahrungsmittel oder Wohnungen «für unsere ukrainischen Freunde», sagt der Vizeminister für Staatsvermögen, Andrzej Śliwka im Gespräch mit «Weltwoche daily».

In der Tat wurden bürokratische Hürden beseitigt. Auch Personen mit abgelaufenem Reisepass werden durchgelassen, wenngleich die polnischen Behörden die Lage genau kontrollieren, da mit russischen Sabotageakten gerechnet wird. In Polen kamen sogar schon die ersten Flüchtlingsbabys zur Welt, da teilweise hochschwangere Frauen plötzlich ihre Häuser verlassen mussten und nach Polen kamen.

Für Polen ist die Lage nicht neu, dauert der Krieg doch eigentlich schon seit 2014, als Putin völkerrechtswidrig die Krim annektierte. In Polen versteht man diese Hilfsbereitschaft denn auch als Ausdruck einer normalen Gastfreundschaft und christlicher Solidarität. Eine junge Frau dankt zum Beispiel der polnischen Bahn auf Twitter dafür, dass Ukrainer gratis durch Polen fahren können. Und eine der geflüchteten Frauen sagte in der polnischen Grenzstadt Przemyśl: «Polen tut für die Ukraine das, was 1939 niemand für Polen getan hat.»