Anna Netrebko wurde längst in die Knie gezwungen. Die russische Starsopranistin verlor ihr deutsches Management, zig Auftritte wurden abgesagt.

Immenser medialer Druck nötigte sie dazu, sich gegen ihr Heimatland zu positionieren. Das Signal ist klar: Jedwede Nähe zu Russland, ob via Pass oder Affinität, wird gnadenlos geahndet.

Wird deshalb auch Till Lindemann zur Schlachtbank geführt? Und mit der auffallend massiven Vorverurteilungs-Kampagne möglicherweise politische Propaganda gemacht?

Der in der DDR sozialisierte und daher auch Russisch sprechende Rammstein-Frontmann nahm im Frühjahr 2021 das aus dem Jahr 1939 stammende sowjetische Heldenlied «Lubimiy Gorod» – «Geliebte Stadt» – neu auf; im Musikvideo sitzt er im Cockpit eines sowjetischen Kampffliegers. Wenige Monate später sang er bei einem Militärfestival auf dem Roten Platz in Moskau.

Kuscheln mit dem Kreml? Regierungskritische Fans waren empört, die Presse hakte nach. Lindemann erklärte, ihm liege daran, mit diesem Lied Brücken zwischen den Völkern zu bauen.

Rammstein und Russland. Die Band hat dort Kultcharakter und die wohl grösste Fangemeinde weltweit. Das Verhältnis zu Russland ist dennoch zwiespältig.

Vor einigen Jahren sagte Lindemann in einem Interview mit Komsomolskaja Prawda, er hätte nichts dagegen, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Auf Instagram postete er gerne Fotos aus unter anderem Sankt Petersburg. Andererseits brachte die Band Duma-Abgeordnete immer wieder gegen sich auf. Etwa, als sich die Rammstein-Gitarristen 2019 bei einem Auftritt in Moskau küssten, um so ihre Solidarität mit russischen Homosexuellen zu bekunden. Zuletzt verurteilten die Musiker den russischen Angriff auf die Ukraine.

Im politischen Kreuzfeuer dürften Rammstein schon länger stehen. Und das, obwohl sie sich eigentlich aus jedweder Politik raushalten wollten. In ihrem während des Irakkriegs entstandenen und 2004 veröffentlichten Song «Amerika» übten sie ironische und zugleich eindeutige Kritik an der übergriffigen Machtpolitik der USA.

Was an den sexuellen Missbrauchsvorwürfen dran ist, die Lindemann angelastet werden, darüber hat nicht das Volkstribunal zu urteilen, sondern die Gerichte. Die Frage, wem diese Hexenjagd dient, dürfte auf vielleicht erhellende Pfade führen.