Der US-Politikwissenschaftler John Mearsheimer sieht mit einer zweiten Amtszeit von Donald Trump das Ende der transatlantischen Partnerschaft gekommen. «Die Trump-Regierung ist entschlossen, die Beziehungen zu den europäischen Verbündeten grundlegend zu verändern und die Rolle der USA in der Nato drastisch zu reduzieren, wenn nicht sogar ganz auszutreten», sagte er im Interview mit dem Spiegel.

Besonders deutlich werde das durch den Umgang von Trump und Vizepräsident J.D. Vance mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: «Diese Konfrontation zeigt, dass die transatlantische Allianz in tiefen Schwierigkeiten steckt.» Während Europa und die Ukraine Russland weiterhin bekämpfen wollten, strebe Trump eine Annäherung an: «Er wird jetzt tun, was ihm in seiner ersten Amtszeit nicht gelungen ist.»

Mearsheimer hält es für wahrscheinlich, dass die USA in fünf Jahren keine verlässliche Sicherheitsgarantie für Europa mehr bieten: «Die Verpflichtung aus Artikel 5 der Nato bröckelt schnell.» Sollte es zu einem Angriff Russlands auf Estland oder Finnland kommen, sei eine US-Militärintervention ungewiss.

Deutschland und Europa müssten sich laut Mearsheimer auf eine Zukunft ohne amerikanischen Schutz einstellen. Trump wolle, dass europäische Staaten ihre eigene Sicherheit übernehmen. «Seine Haltung ist klar: Ich mache einen Deal mit Putin, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Wenn den Europäern das nicht passt, sollen sie selbst eine Lösung mit Russland finden.»

In diesem Kontext hält Mearsheimer eine europäische Atommacht nicht für ausgeschlossen. Falls Deutschland sich bedroht fühle, könnte es Atomwaffen entwickeln: «Nukleare Abschreckung ist der ultimative Schutz.» Allerdings sieht er aktuell keine ernsthafte Bedrohung durch Russland: «Wer die Fakten kühl analysiert, erkennt, dass von Russland keine ernste Gefahr für Deutschland ausgeht.»