Sie ist nicht zu sehen, doch sie ist wieder da: Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) hatte einen «Politikwechsel» versprochen, einen Neustart oder Aufbruch für Deutschland gar, doch jetzt lächelt still das Vorbild Angela Merkel um alle Ecken des politischen Berlins.

Während die Kanzlerin a. D. dieser Tage auf der Leipziger Buchmesse ihre Erinnerungen («Freiheit») signierte und sich ansonsten auch in den wenigen Pressebegegnungen im Hintergrund nicht zu Merz und dessen Koalitionsgesprächen äussert, wird mit zunehmender Zeit immer deutlicher, dass ausgerechnet der vermeintliche Hoffnungsträger Merz eher Stillstand statt Aufbruch liefern wird.

Das beginnt schon damit, dass die meisten markigen «Abschaffungen» (Heizungsgesetz, Selbstbestimmungsgesetz, Cannabis-Legalisierung, Staatsbürgerschaftsgesetz, Wahlrechtsreform der Ampel) aus dem Wahlkampf inzwischen zu Prüfaufträgen geschrumpft sind, bei denen man sehen muss, was sich ändern lässt.

Kleine Prognose: mit der SPD nicht viel.

Und es endet noch lange nicht beim Personal, wo Merz sich zwar vordergründig der zeitgeistigen Quotenlogik zu entziehen droht, ihr aber am Ende nicht entkommen wird. Schliesslich war er es selbst, der als erste Amtshandlung eine Frauenquote in der CDU eingeführt hat. Da kann er kaum erklären, warum Kreisvorstände für alle relevanten Posten Frauen finden müssen, er als Kanzler aber im Kabinett sich eine Ausnahme gönnen sollte.

So wird etwa in den kursierenden Ministerlisten die bisherige Parteivizevorsitzende Silvia Breher als Familien- oder Agrarministerin gehandelt, obwohl sie bislang kaum in Erscheinung getreten ist. Als möglicher Umweltminister ist Andreas Jung (CDU) aus Baden-Württemberg im Gespräch, der intern gern als Grüner mit schwarzem Parteibuch bespöttelt wird.

Auch die SPD wird, so denn die Koalition zustande kommt, auf ihre bewährten Frauen wie Innenministerin Faeser oder Entwicklungsministerin Schulze nicht verzichten können und wollen, so dass auch hier das «Weiter so» personell zementiert wird.

Interessant ist allerdings, dass CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann zum einzigen und letzten wirklichen Hoffnungsträger der Union geworden ist. Er gilt als ehrliche Haut, hat sich im Wahlkampf nahezu rund um die Uhr mit den wahlkämpfenden Parteifreunden ganz unten an der Basis kurzgeschlossen und leidet erkennbar unter dem Merz-Kurs der gecancelten Wahlversprechen. Linnemann könnte Wirtschaftsminister werden.

Eine Schwalbe macht noch keinen Frühling, und ein Linnemann noch keinen Aufbruch. Es ist aber bezeichnend, wenn man sich in der deutschen Bundespolitik inzwischen schon darüber freut, wenn wenigstens eine ehrliche Haut mit an Bord ist. Man wird ja bescheiden …

Ralf Schuler war mehr als zehn Jahre Leiter der Parlamentsredaktion von Bild und ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS. Er betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein neues Buch „Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens“ ist im Fontis Verlag, Basel erschienen.