Europa will ein Ende des Kriegs in der Ukraine, aber aus einer «Position der Stärke».

Das bedeutet Kriegsfortsetzung, welche perspektivisch den Einsatz europäischer Truppen erforderlich machen könnte. Ein Sieg der europäischen Verbündeten über Russland ist unwahrscheinlich. Ein europäischer Krieg um die Ukraine könnte auch Westeuropa zerstören.

Drei Jahre lang hat Europa keinen Vorschlag für Verhandlungen eingebracht. Die Frage, unter welchen Bedingungen Frieden erreicht werden kann und wie er aussehen soll, erzeugt Spaltungen und beeinträchtigt die transatlantischen Beziehungen.

Eine Alternative ist Diplomatie. Sie sollte bei der Anerkennung der aktuellen militärischen Lage beginnen und starke gemeinsame Interessen für den Aufbau einer Kompromissbereitschaft und als Sicherheitsgarantie nutzen. Dafür müsste aber Westeuropa über seinen Schatten springen und der Realität ins Gesicht sehen, ohne einseitige Positionierung für eine Kriegspartei und ohne ideologische und moralisierende Verkleidung. Europa müsste bereit sein, gleichberechtigt mit den ukrainischen auch russische Perspektiven und Handlungsoptionen einzubeziehen. Diese Option wird bisher geächtet.

Wo bleibt eine Koalition der Diplomatie?

Ziel des US-UKR-Deals

Der Eklat im Oval Office am 28. Februar spaltet die Gemüter. Was aber ist eigentlich das Ziel des angestrebten Deals?

Diese Fassung des Deals soll durch vorteilhafte ökonomische Perspektiven die Kompromissbereitschaft der Ukraine wecken – und eine verträgliche Form der Rückzahlung von Kriegshilfen an die USA ermöglichen. Parallel versucht US-Präsident Trump auch in Russland eine Kompromissbereitschaft anzuregen, ebenfalls durch attraktive Perspektiven wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Wirtschaftliche Verflechtungen, die Vorteile mit Abhängigkeiten verknüpfen, sollen nach Friedensschluss eine zivile Sicherheitsgarantie bilden, gestärkt durch eine Präsenz amerikanischer Unternehmen in der Ukraine und auch in der Russischen Föderation.

Die Ukraine, vertreten durch Präsident Selenskyj, ist bisher nicht kompromissbereit, da dies die Anerkennung ihrer militärischen Niederlage bedeuten würde, welche die zumindest teilweise Aufgabe von Gebieten sowie den Verzicht auf eine Nato-Mitgliedschaft und Weiteres nach sich ziehen könnte. Am Tag vor dem Gespräch im Oval Office hatte Chris Murphy, Senator der Demokraten in Connecticut, Selenskyj abgeraten, den Deal mit Trump zu unterzeichnen.

Mit dieser Agenda ging Selenskyj ins Gespräch und formulierte direkt, was ihn am Deal stört: die im Vertrag ausgesparten militärischen Sicherheitsgarantien. Und er verdeutlichte, dass er die Voraussetzung für den Deal nicht akzeptiert, nämlich mit dem «Killer» und notorischen Vertragsbrecher Putin auf diplomatischem Wege zu verhandeln. Trump zog daraus die Konsequenz, dass der Deal ausgesetzt wird, bis Selenskyj für Friedensverhandlungen bereit sei.

Selenskyjs Position im Gespräch war nicht so schlecht, wie es immer wieder dargestellt wird. Er ist nicht nur ein Opfer des sich als Hegemon aufspielenden US-Präsidenten. Denn er hat bestimmte Sicherheitsgarantien bereits durch den «100 Jahre Partnerschafts-Vertrag» mit Grossbritannien vom 17. Januar in der Tasche. Dieser Deal enthält neben drei Milliarden Britischer Pfund pro Jahr bis mindestens 2030/1 u.a. auch wirtschaftliche Abmachungen, darunter auch über den Abbau seltener Erden. Darüber hinaus hat Präsident Selenskyj Aussicht auf die Unterstützung der westlichen Partner, welche eine «Koalition der Willigen» aufbauen und bereits eine «Gruppe der Fünf» gebildet haben, sowie auf die – am 6. März bestätigte – Zusage der Unterstützung durch die EU.

Allerdings braucht die Ukraine auch die USA im Boot. Denn ohne die militärischen Aufklärungsinformationen und die Lieferung von Patriot-Luftverteidigungssystemen zum Schutz der ukrainischen Infrastruktur, wie sie aktuell nur die USA bereitstellen können, nützt der Ukraine keine noch so grosse Zusage für Waffen und Personal der europäischen Partner.

Diese Gesprächsvoraussetzungen erklären vielleicht, weshalb die Verhandlungen zwischen Trump und Selenskyj ungewöhnlicher Weise als öffentliches Pressegespräch live durchgeführt wurden. Beiden Seiten musste schon vorher klar gewesen sein, dass es keine Einigung geben würde. Sie haben das Gespräch als eine Art Talk Show durchgeführt und beiderseits in einen Eklat münden lassen. Nicht nur Trump und sein Team haben ihren Auftritt inszeniert, sondern genauso Selenskyj. Beide Seiten verfolgten das Ziel, wechselseitig Druck auszuüben und die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen.

Selenskyjs Erfolg ist die verstärkte Mobilisierung seiner Partner in den USA, der Demokraten, und vor allem seiner Partner in Europa. Zur Folge hatte der Eklat die Vergrösserung der politischen und gesellschaftlichen Spaltung der Gesellschaft in den USA und in Europa: Wer sich für Trump ausspricht, bekommt die Moralkeule.

Aber auch Trump hat einen Erfolg erzielt: Er stärkte das Bewusstsein für die Gefahr einer Ausweitung des Kriegs bis hin zu einem Dritten Weltkrieg. Und Trumps Trumpf in der Hand wurde deutlicher: die Unverzichtbarkeit der militärischen Macht der USA, zu der auch die nukleare Zweitschlagfähigkeit gehört, die Europa nicht besitzt und die am Ende aber kriegsentscheidend ist.

Aktuell erhöht Trump seinen Druck auf die Ukraine mit der Pausierung militärischer sowie geheimdienstlicher Unterstützung. Sollte er Aufklärungsinformationen und das Patriot-System auch künftig nicht mehr zur Verfügung stellen und Musk die Unterstützung durch den Satellitendienst Starlink einstellen, könnten die europäischen Partner keinen Ersatz bieten und die Ukraine müsste kapitulieren.

Starmers Vier-Punkte-Plan und der EU-Gipfel bedeuten Krieg

Trumps wirtschaftlicher Deal ist mit einem anderen Deal gekoppelt, dem Friedensdeal.

Zeitpunkt und Form dieses Deals sind zwischen USA und der Ukraine mit ihren Unterstützern umstritten: Trump möchte ihn auf der Basis wechselseitiger Kompromissbereitschaft von Ukraine und Russland aushandeln, und zwar möglichst sofort. Die Ukraine und ihre europäischen Partner wollen genau dies nicht, da die Voraussetzung wäre, die militärische Niederlage der Ukraine anzuerkennen, wodurch Russland – in der stärkeren Position – möglicherweise einen «Diktatfrieden» mit Durchsetzung seiner Forderungen erreicht.

Starmers «4-Punkte-Plan» vom 2. März wurde am 6. März durch den EU-Gipfel bestätigt. 26 Mitgliedstaaten, mit Ausnahme von Ungarn, einigten sich «auf die fortgesetzte Unterstützung der Ukraine» . Von der Leyen sprach von einem «Wendepunkt» für Europa und die Ukraine. Dies ist ein Gegenvorschlag zu Trumps Vorhaben.

Im Unterschied zu Trump, der Neutralität für sich in Anspruch nimmt, ergreifen die Europäer entschieden Partei für die Ukraine mit dem Ziel, «den Krieg zu beenden und das Land vor Russland zu schützen». Das Kriegsende wird an eine «Position der Stärke» der Ukraine gekoppelt. Darunter kann aber wohl nur der Sieg der Ukraine verstanden werden.

Die Zusage neuer Militärhilfen wird entsprechend als Provokation Russlands formuliert. Sie sollen aus den Gewinnen eingefrorener russischer Gelder – oder sogar aus den gesamten eingefrorenen russischen Geldern in der Höhe von 200 bis 300 Milliarden – finanziert werden. Ausserdem solle der wirtschaftliche Druck auf Russland erhöht werden. Starmer sagt: Es ist keine Zeit mehr «für weitere Gespräche», also für Diplomatie, sondern «es ist Zeit zu handeln». Dies ist das Gegenteil dessen, worauf Trump abzielt.

Im Kreml wird die Strategie der Stärke als Ankündigung einer «Fortführung der Kampfhandlungen», so Pressesprecher Dmitrij Peskov, wahrgenommen. Die Verwendung der eingefrorenen russischen Gelder für die Ukraine werde «schwerwiegende rechtliche Folgen» haben.

Starmers zweiter Punkt sieht vor, dass Friedensverhandlungen nicht über den Kopf der Ukraine hinweg, also nicht etwa zwischen Trump und Putin, stattfinden dürften. Ausserdem seien «die Souveränität und Sicherheit der Ukraine» für einen «dauerhaften Frieden zu gewährleisten». Diese Aussage entspricht der Forderung Selenskyjs, dass Russland alle umkämpften Gebiete zurückzugeben hat. Beide Länder haben sie in ihre Verfassung geschrieben und sind beide nicht bereit, sie aufzugeben. Trump spricht diesbezüglich vage von auszuhandelnden Kompromissen («We will certainly try and get as much as we can back»).

Ebenfalls strittig ist, wie die Sicherheit der Ukraine gewährleistet werden soll. Die Ukraine wünscht sich militärisch so gerüstet und geschützt zu sein, dass eine erneute Aggression Russlands möglichst ausgeschlossen ist, und strebt weiterhin eine Nato-Mitgliedschaft an.

Starmers dritter Punkt trägt diesem Wunsch Rechnung. Er will «die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine stärken, um künftige Invasionen abzuwehren». Praktisch bedeutet dies dauerhafte Aufrüstung, militärische Präsenz der Partnerländer und die auch von wichtigen europäischen Partnern unterstützte Nato-Mitgliedschaft. Die Ukraine soll, in Worten der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyens, die an Schopenhauers pessimistisches Bild der Gesellschaft erinnern, zu einem «stählernem Stachelschwein» werden.

Die USA lehnen diese Sicherheitsgarantien im Wissen darum ab, dass Russland die angestrebte Nato-Mitgliedschaft der Ukraine als Ursache des Kriegs betrachtet und ihre Behebung zur sine qua non-Bedingung für Friedensverhandlungen macht. Auch fordert Russland seinerseits Sicherheitsgarantien, wie sie Putin in seiner Rede vom 14. Juni 2024 benannt hat, darunter die Entmilitarisierung der Ukraine sowie einen neutralen und atomwaffenfreien Status.

Zur Frage von Friedenstruppen in der Ukraine hat der russische Aussenminister Lawrow am 6. März gesagt, dass «wir sie genauso ansehen werden, wie die potenzielle Präsenz der Nato».

Starmers zweiter und dritter Punkt sind also ohne deutliche Kompromisse wohl nur bei einer Kapitulation Russlands zu realisieren. Der Kreml kommentierte am 6. März, Russland werde sich nicht zu «Entscheidungen zwingen lassen, die der Westen will».

Starmers vierter Punkt beschreibt seinen Vorschlag, wie die drei Punkte umzusetzen sind, also wie zu einem Kriegsende bzw. Sieg der Ukraine und zu einem dauerhaften Frieden ohne Gebietsabgabe und mit militärischen Sicherheitsgarantien zu gelangen sein soll: durch die Bildung einer «Koalition der Willigen», «um ein Abkommen in der Ukraine zu verteidigen und anschliessend den Frieden zu sichern». Faktisch bedeuten seine Worte, aus dem Krieg in der Ukraine in einen Krieg um die Ukraine einzusteigen, welchen die Ukraine mit der Unterstützung ihrer europäischen Partner weiterführt. Perspektivisch wird dies nicht ohne aktive Beteiligung europäischer Truppen gehen.

Europa rüstet auf

Europa rüstet sich für den Krieg mit Russland, und sei es nur zur Abschreckung, die Macron auch in nuklearer Form sieht. Es soll angesichts der Ankündigung der USA, ihr Engagement auf dem europäischen Kontinent abzubauen, eine europäische Sicherheitsarchitektur errichtet werden.

Die Staats- und Regierungschefs haben soeben in Brüssel den Weg für die Aufrüstung Europas freigegeben: 800 Milliarden Euro sollen durch die Lockerung der Schuldenregeln aufgebracht werden. Der zukünftige deutsche Bundeskanzler Merz bzw. Union und SPD wollen, dass noch der alte Bundestag eine Änderung des Grundgesetzes beschliesst, nach welcher «nur Verteidigungsausgaben bis zu einem Prozent der Wirtschaftskraft den Regeln der Schuldenbremse unterliegen». So soll ein kreditfinanziertes «Sondervermögen» von 400 oder 500 Milliarden Euro für die Bundeswehr generiert werden, «um ein Signal an den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu senden».

Soll die Ukraine in eine «starke Position» gebracht und «Frieden durch Stärke» erzielt werden, kommt sie mit indirekter militärischer Unterstützung der Partner nicht mehr lange aus. Sie braucht zu den Waffen auch Soldaten. Wann werden die «Willigen», darunter Deutschland, aktiv in den Krieg eintreten und in welcher Form? Haben wir verstanden, was dies perspektivisch bedeutet? Wollen wir diesen Preis wirklich zahlen?

Weshalb spricht niemand darüber, dass die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten auch ein Militärbündnis darstellt, auf das Russland, neben anderen Partnern, zurückgreifen könnte?

Will Europa die Verantwortung für einen solchen gewaltigen Krieg tragen?

Und was bedeutet es, wenn sich für eine Seite die konventionellen Möglichkeiten erschöpfen? Wollen wir einen Atomkrieg riskieren?

Wo bleibt eine Koalition der Diplomatie?

Eine Strategie der Diplomatie haben die Europäer bisher nicht, vielmehr sogar weisen sie diese ausdrücklich zurück: Sie wird als Zugeständnis an Russland gewertet. Grossbritannien und die EU (mit Ausnahme Ungarns) halten ihre Strategie der Stärke, die aber zunächst kein Ende, sondern die Fortsetzung des Kriegs bedeutet, für alternativlos.

Trump versucht eine grundsätzliche Kompromissbereitschaft der Ukraine durch sukzessive Einstellung von Unterstützungsmassnahmen, d.h. die Gefährdung der Ukraine, zu erzwingen, und flankiert diese Peitsche mit dem Zuckerbrot eines Deals.

Marco Rubio, mit dem Aschermittwochs Kreuz auf der Stirn, einem Zeichen der Busse, bringt im Interview mit Fox News das Argument des «Stellvertreterkriegs zwischen den Atommächten – den Vereinigten Staaten, die der Ukraine helfen, und Russland» vor. Mit diesem Eingeständnis redet er weniger Putin das Wort, als dass er vielmehr das eigenständige Engagement der USA für Friedensverhandlungen stützt.

US-Sondergesandter Steve Witkoff gab am nächsten Tag bekannt, in Saudi-Arabien mit ukrainischen Delegationen «über einen Waffenstillstand mit Russland und einen ‘Rahmen’ für ein längeres Abkommen sprechen» zu wollen.

Die Agenda einer «starken Ukraine» bedeutet praktisch die Fortsetzung und möglicherweise mindestens europäische Eskalation des Kriegs. Trumps Ansatz eines Friedens als Geschäftsmodell könnte dies verhindern, aber reicht allein nicht aus. Es braucht zusätzlich eine Koalition der Diplomatie.

Grundlage einer Koalition der Diplomatie sollte ein Ansatz sein, der Wirtschaft, Politik und menschliche Werte gleichermassen einbezieht. Ausgangspunkt müsste eine Neutralität gegenüber allen Konfliktparteien sein, gepaart mit der Bereitschaft, die russische Perspektive genauso wahrzunehmen, wie die der Ukraine, ihrer europäischen Partner und der USA.

Auf dieser Basis sollten mit reiner Vernunft die Entstehungsgeschichte des Kriegs und die früheren gescheiterten Friedensbemühungen beschrieben werden. Die Ursachen und Triebkräfte des Kriegs sind ohne Moralisierung und taktische Verschleierung aufzudecken, damit sie behoben werden können.

Dieses Vorgehen nötigt zu einem Blick in den Spiegel, der für alle Beteiligten, seien es die USA, Europa, Ukraine oder Russland, schmerzhaft wird. Manches Argument zur eiligen Aufrüstung – etwa, dass es Russland nur um die Annexion weiterer Länder gehe – könnte sich als fadenscheinig erweisen. Ausserdem gilt es, ein Bewusstsein der Humanität und der ihr innewohnenden unveräusserlichen (Natur-)Rechte für die soziale Gemeinschaft stärker in Anschlag zu bringen als die Frage nach staatlicher Souveränität.

Es wurde in diesem Abnutzungskrieg genug gelitten und gestorben. Die Überlebensdauer an der Front beträgt vielleicht vier Stunden.

Angesichts der Tatsache, dass die politischen Vertreter Europas eine Strategie der Diplomatie zurückweisen und in den europäischen Gesellschaften keine starke Friedensbewegung in Sicht ist, bleibt zu fragen: Wer könnte Träger einer Koalition der Diplomatie werden?

Prof. Dr. phil. Henrieke Stahl lehrt an einer deutschen Universität slavische Literaturwissenschaft mit Schwerpunkten in der russischen Literatur, Philosophie und Kultur. Dieser Artikel gibt die private Meinung der Autorin wieder.