Smiley wusste nicht, wann sie damit angefangen hatten, im eigenen Haus Daten über ihn und gegen ihn zu sammeln. Die Sache war ans Licht gekommen, als sein Name in Abhörprotokollen eines vermeintlichen Rechtsextremisten und Reichsbürgers auftauchte, mit dem er telefoniert hatte. Der hatte ihn angerufen. Nicht umgekehrt.

Was derzeit rund um den früheren Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maassen abläuft, ist leider keine Roman-Intrige, die sich John le Carré (†2020) rund um seinen Agenten George Smiley ausgedacht hat. Es ist die bittere Realität zu Beginn des Jahres 2024 in einem Deutschland, in dem ein langjähriger Spitzenbeamter und konservativer Querkopf den Argwohn ausgerechnet jenes Inlandsgeheimdienstes auf sich zieht, den er jahrelang selbst geleitet hat.

In der zwanzigseitigen (!) Auflistung finden sich sowohl interne Erwähnungen Maassens durch Dritte, etwa im Schriftwechsel der mutmasslichen «Reichsbürger»-Verschwörung um Prinz Reuss, als auch eine minutiöse Dokumentation von Beiträgen Maassens, etwa in der Weltwoche, in der Zeitschrift Cato, oder die Nennung seines Namens in Bild. Maassen soll bereits seit zwei Monaten beobachtet werden.

Das Dokument des Verfassungsschutzes listet Verbindungen von Maassen zu anderen politischen Akteuren, aber auch Medien auf. Ausserdem werden zahlreiche Äusserungen und Verbindungen aufbereitet, die Maassens Aktivitäten auf sozialen Netzwerken und im Internet dokumentieren, etwa Interviews, aber auch Meinungsbeiträge bei X oder Telegram.

Nach einer langen Liste von Onlinebeiträgen in der Weltwoche mit Erscheinungsdatum werden ausgewählte Überschriften und Sätze aus den Beiträgen zitiert. In der Dokumentation von «in Bild und/oder Ton veröffentlichten Interviews und Gesprächen» wird neben vielen anderen Auftritten Maassens auch «‹Ich bin nicht rechtsradikal, ich bin normal› – Hans-Georg Maassen über den Streit mit der CDU», das Interview mit dem Autor dieser Zeilen für «Schuler! Fragen, was ist», erwähnt. Erwähnungen Maassens durch Influencer, Aktivisten oder «den Neonazi Tommy Frenck» sind ebenfalls detailliert mit Quelle und Datum zusammengetragen.

Ein zitierter Onlineartikel von Hans-Georg Maassen auf Weltwoche.ch

Ostdeutschen müssen Detailtiefe und Sammelwut dieses Dossiers verstörend bekannt vorkommen: Nichts von all dem, was hier zusammengetragen ist, ist strafbar, dubios oder in irgendeiner Weise ausserhalb des Verfassungsbogens. Wer seine eigene Stasi-Akte gelesen hat, kommt nicht umhin, sich an die gerade in ihrer Kleingeistigkeit so bedrohliche Dokumentation der einstigen Häscher erinnert zu fühlen. Stets nach dem Motto: Man kann nie wissen, wozu man es noch gebrauchen kann.

Wenn schon die dokumentierten Aktivitäten «des M.», wie es Stasi-Minister Mielkes Leute ausgedrückt hätten, nichts Verwerfliches oder gar Strafbares hergeben, so stellt sich die Frage, wer auf welcher Grundlage überhaupt das Sammeln der Akte Maassen in einem freiheitlichen Rechtsstaat veranlasst hat. Waren es übereifrige, karriereorientierte Ex-Konkurrenten? Wusste die Bundesinnenministerin davon? Und wie dick ist die vollständige Sammlung über den ehemaligen BfV-Chef?

In einem Land, in dem es nicht möglich war, den behördenbekannten Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, rechtzeitig zu stoppen oder den «Nationalsozialistischen Untergrund» (NSU) einige Mordopfer früher auffliegen zu lassen, gerät ausgerechnet ein politisch missliebiger Ex-Geheimdienstchef ins Visier der Ermittler. Und von politischem Aufschrei ist bislang nichts zu vernehmen. Ein beklemmender Vorgang.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.