Das Problem Deutschlands ist der Macht-Opportunismus, die Dekadenz der Politik. Was im Unternehmensleben unmöglich, der sichere Weg in den Untergang wäre, ist in der deutschen Politik Normalfall: Parteien ohne Programm, Politiker ohne klare Linie. Man weiss nicht, was man wählt. Man bekommt etwas anderes als das, was man gewählt hat.
Gehe ich in den Supermarkt und kaufe Seife, bekomme ich Seife, Jogurt, was auch immer. Was aber bekomme ich, wenn ich in Deutschland CDU wähle oder SPD? Das variiert je nach Stimmung, je nach Mode, je nach Laune. Für die Politiker ist es natürlich bequem und angenehm, ohne klare Linie zu kutschieren. Man hält sich alle Fluchtwege offen, alle Chancen.
Für den Wähler ist es ein Elend. Er weiss nicht, was er wählt. Parteien, die kein scharfes Programm haben, sind nicht greifbar. Sie stehen für nichts und alles. Sie übernehmen auch keine Verantwortung gegenüber ihrer Wählerschaft. Parteien ohne Programm oder klaren Kurs sind Karrieremaschinen, Vehikel des Aufstiegs für Politiker, die nicht für, sondern von der Politik leben wollen.
Man wird einwenden, die deutschen -Parteien unterscheiden sich ja doch, die Grünen, die Roten, die Schwarzen. Das stimmt, aber eben nur begrenzt. Nehmen wir nur die Migrationsdebatte: Auf einmal haben sich alle einer AfD angenähert, obwohl sie doch angeblich jede -Zusammenarbeit und Nähe zu dieser Partei verbindlich ausgeschlossen hatten.
Was war eigentlich die wichtigste Botschaft des hauchdünnen Wahlgewinners Friedrich Merz? Mal so, mal anders, hüst und hott. Der CDU-Chef erzielte angesichts seiner Ausgangslage ein schwaches Resultat. Zuerst fiel er als entschlossener Ostkrieger gegen Russland auf und versprach, unter ihm werde man -deutsche Taurus-Raketen nach Kiew schicken, um von dort aus Ziele im russischen Gelände -anzugreifen.
Kurz vor dem Wahltag allerdings, wohl unter dem Eindruck des Regierungswechsels in Washington, ruderte Merz zurück, forderte einen sofortigen Waffenstillstand, von dem er sich dann ein paar Tage später auch schon wieder zu distanzieren schien. Neuerdings ist er gewillt, mit den Grünen und Linken noch in dieser Legislatur die Schuldenbremse aufzuweichen, was er zuvor noch kategorisch ausgeschlossen hatte.
Seine einzige durchgehende Ansage war die Brandmauer. Merz gelobte, es werde mit ihm keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD geben. Abgesehen davon, dass Brandmauern in Demokratien nichts zu suchen haben, hielt er auch dies nicht durch. Merz kopierte die Zuwanderungsanträge der AfD und wollte sie mit den Stimmen dieser Partei im Bundestag auch durchbringen, was ihm allerdings misslang.
Die Bundesrepublik ist ein Parteienstaat. Nach dem Zweiten Weltkrieg von den Siegermächten von oben nach unten aufgebaut auf einem gewissen Misstrauen gegenüber dem Wähler, dem man nur sehr beschränkte Mitbestimmungsrechte bewilligte. Die Parteien führen ein ziemlich freies, ungehindertes Regime. Deutschland hat ein Demokratiedefizit.
Früher haben es die Deutschen fügsamer ertragen. Solange die etablierten Parteien erfolgreich waren, gab es dafür gute -Gründe. In den letzten Jahren allerdings mehrte sich das Unbehagen im Volk. Unter Kanzlerin -Angela Merkel zeigte sich die hässliche Fratze des Obrigkeitsstaates ziemlich ungeschminkt. Es ist kein Wunder, dass aus Protest dagegen die AfD entstand.
Merkel bezeichnete ihre Politik als «alternativlos». Dabei ist die Demokratie die Staatsform der Alternativen. Es muss immer eine Auswahl geben. Die aber gab es zuletzt nicht mehr, eben weil die an der Macht versteinernden Parteien, allen voran die SPD und die CDU, sich bis zur Ununterscheidbarkeit anglichen. Was immer man wählte, man bekam immer die ungefähr gleiche, «sozialdemokratische» Politik.
Das ist der tiefere Grund für den Aufstieg der Rechten. Unter den deutschen Parteien hat die AfD das klarste Programm. Es ist nicht rechtsextrem, wie die auch sprachlich links gewickelte deutsche Öffentlichkeit dauernd behauptet. Die AfD hat eine liberalkonservative Agenda, die, das ist von aussen schwer zu beurteilen, einigen sehr rechten Parteisektionen und Jugendverbänden nicht rechts genug sein mag.
Daraus aber den Vorwurf abzuleiten, die AfD sei eine Gefahr für die Demokratie, scheint uns falsch, stellt die Wirklichkeit auf den Kopf. Immer mehr Deutsche scheinen es ebenfalls anders zu sehen. Sie wählen diese Partei, obwohl sie von allen Seiten gewarnt werden. Das zeigt den dramatischen Verlust an Ansehen und Vertrauen seitens des etablierten Meinungsbetriebs.
Ob Merz im Amt zu dem Politiker reift, der er im Wahlkampf vorgab zu sein, bleibt abzuwarten. Er scheint nicht über das -stärkste Rückgrat zu verfügen. Wie soll jemand, der schon im Wahlkampf bei Gegenwind ins Schlingern kam, mit einem linken Koalitionspartner die grossen Reformprobleme lösen, die massiven Anfeindungen überstehen, die zwangsläufig kommen werden?
Auch da punktet die AfD. Man hat gesehen, dass es diese Politiker ernst meinen. Sie haben sich nicht nach dem Wind gedreht, sondern ihre Grundsätze auch gegen Widerstand, regel-rechte Diskriminierung und sogar juristische Verfolgung durchgehalten. Das gibt Glaubwürdigkeit. An Erfahrung und Schlagfertigkeit in den Talkshows mögen ihnen die anderen voraus sein, punkto Standfestigkeit liegt die AfD vorn.
Zuletzt war der Fokus auf die brillante Bundestagsrednerin und Kanzlerkandidatin Alice Weidel gerichtet. Etwas unterschätzt wird ihr Co-Vorsitzender Tino Chrupalla. Der frühere Gewerbler und Unternehmer überzeugt durch Authentizität, Bodenständigkeit und die Fähigkeit, selbst unter Bedrängnis keinen Unsinn zu erzählen. Heftige Angriffe kontert er schmunzelnd, souverän, eine Rarität im -deutschen Politikbetrieb.
Krisenzeiten bringen gute Politiker und gute Wirtschaftsführer nach vorne. Die Zeit der Geländegängigen, Anschmiegsamen, Angepassten und Beweglichen geht vorbei. Merz hätte sich diese Stimmungswende zunutze machen können, doch er hat es nicht getan, was Zweifel an seiner Witterung und Geschicklichkeit aufkommen lässt. Wir wünschen Deutschland, den Deutschen für die kommenden Monate und Jahre viel Glück und alles Gute.
Friedrich Merz ist die personifizierte Unfähigkeit. Ihm geht es ausschließlich um sich selbst, es geht ihm nicht um Deutschland. Man kann nur hoffen, dass es sich bei ihm um einen weniger als ein Jahr Kanzler handelt.