Meine alte Heimat – die Stadt Sumy, in der Nähe der russischen Grenze – steht in Flammen. Gestern telefonierte ich mit Tante Nadja. Sie wollte einkaufen gehen, aber stand vor weitgehend leeren Regalen. Salz gibt es keines mehr – Mehl auch nicht. Glücklicherweise kriegte sie noch eine kleine Packung Reis.

Eine Flucht kommt für sie nicht in Frage. Denn sie will ihr Haus nicht verlassen. Damit begibt sie sich in grosse Gefahr. Einen Schutzkeller hat sie nicht.

Da ist meine Cousine Anna in einer vergleichsweise besseren Situation. Zusammen mit ihren drei Kindern – den sechsjährigen Zwillingen und dem 10-jährigen Sohn – hat sie sich in den Keller ihres Wohnblocks zurückgezogen.

Eigentlich dient der Raum ihrem Mann, einem Schreiner, als Lager- und Ausstellungsfläche. Nun kann die Familie die Möbel, die eigentlich für den Verkauf bestimmt sind, selber nutzen.

Aber zurück zu meiner Tante Nadja. Sie telefonierte vorgestern mit ihrer Schwester Luba in Russland – und hörte Dinge, die sie sprachlos machten. Luba, offenbar von der russischen Propaganda manipuliert, erzählte ihr, dass es sich bei der russischen Intervention nicht um Krieg handle, sondern um eine Befreiung der Ukraine von einem faschistischen Regime.

Darüber verschlägt es mir beinahe die Sprache. Aber den russischen Menschen kann kein Vorwurf gemacht werden. Sie sind gewohnt zu glauben, was ihnen erzählt wird. Auch wenn es eine menschenverachtende Lüge ist.