Viele sehen im Klimawandel das grösste Problem der Menschheit und wollen die Erderwärmung auf 1,5 oder höchstens 2 Grad begrenzen. Dafür müsste die ganze Welt bis 2050 klimaneutral und dekarbonisiert werden, was einen präzedenzlosen politischen und wirtschaftlichen Kraftakt bedingte. Die dafür geplante Klimapolitik vernachlässigt das Konzept der Nachhaltigkeit sowie das reale menschliche Verhalten in Wirtschaft und Politik und ist insofern «klimanaiv».

Temperatur um 1850

Nachhaltigkeit zielt auf eine anhaltende und ausgewogene Entwicklung in den Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt. Die Entwicklung in einem Bereich soll keine unverhältnismässigen Kosten für andere Bereiche sowie zukünftige Entwicklungschancen bringen. Die anvisierte Klimapolitik trifft andere Bereiche stark, etwa die staatlichen Finanzen, die Wirtschaft, das soziale Zusammenleben, die Ernährung, die persönlichen Freiheiten oder den Landschaftsschutz. Dies alles, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen – das unrealistisch ist. Denn das Referenzniveau ist die Temperatur um 1850 bis 1900, und seither hat sich die Erde schon um 1,1 Grad erwärmt. 1,5 Grad bedingen also praktisch einen Vollstopp der weltweiten Emissionen, und selbst dann wäre dieses Ziel aufgrund der Eigendynamik des Klimasystems kaum erreichbar.

Die Effekte der Erwärmung erscheinen im Vergleich zu anderen Veränderungen klein.Die Schweiz hat sich seit 1850 mit 2,1 Grad besonders stark erwärmt. Trotzdem meinen nur wenige, die hiesige Lebensqualität wäre bedeutend höher, wenn die Temperatur seit 1850 konstant geblieben wäre. Und wenige möchten heute so wie 1850 leben. Die Effekte der Erwärmung erscheinen im Vergleich zu all den anderen Veränderungen in der gleichen Zeitspanne klein. Das entspricht auch den Ergebnissen der Weltklimaberichte, auf die sich die Regierungen oft berufen. Diese zeigen wie die einschlägige wissenschaftliche Literatur, dass die Kosten des Klimawandels verglichen mit anderen Veränderungen nicht besonders relevant sind.

Die umfassend geschätzten und in Geld bewerteten Schäden an Mensch, Material, Umwelt et cetera sind zwar in absoluten Zahlen riesig – erst recht, wenn sie über Jahrzehnte summiert werden, wie in einer 2022 publizierten Auftragsstudie des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Doch relativ zur Wirtschaftsleistung betragen sie global betrachtet gemäss den allermeisten Studien ohne besonders scharfe Klimapolitik im Jahr 2100 «nur» 2 bis 6 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Da die Modellierungen zumeist die bisherigen Auswirkungen von relativ kurzfristigen und lokalen Klima- und Wetterveränderungen erfassen und dann auf Klimaszenarien extrapolieren, unterschätzen sie tendenziell die Anpassung von Mensch und Technik an den langfristigen und globalen Klimawandel. Folglich dürften sie die zukünftigen Schäden eher überschätzen.

Wer Klimaschäden zum grössten Problem der Menschheit macht, verletzt die Regeln der Vernunft.Auch deshalb ist die erwähnte Auftragsstudie des deutschen Bundesministeriums interessant: Laut ihr betragen die Klimaschäden für Deutschland im extremsten Erwärmungsszenario ohne jegliche Anpassung rund 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 2030 und rund 1,5 Prozent im Jahr 2050. Mit den in der Studie diskutierten, zumeist wenig aufwendigen Anpassungsmassnahmen fallen die Schäden auf unter 0,6 Prozent, und bei schwachem Klimawandel werden die Auswirkungen für Deutschland sogar positiv. Für die Schweiz berechnete 2017 eine ähnlich angelegte Studie von Forschern der ETH Lausanne im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) die Klimaschäden im Jahr 2060 auf 0,43 Prozent des Gesamtkonsums – kein Grund zur Panik.

Wo die grössten Reformerträge liegen

Die relative Bedeutung des Klimawandels zeigt sich auch in den amtlichen Daten zu den externen, also nicht von den Verursachern selbst getragenen Kosten des für viele schlimmsten Klimasünders, des motorisierten Privatverkehrs. Gemäss den akribischen Berechnungen des Amts für Raumentwicklung (ARE) belaufen sich die vom Schweizer Strassenverkehr jährlich verursachten externen Kosten durch die weltweiten, heutigen und zukünftigen Klimaschäden auf 1637 Millionen Franken, diejenigen je durch Lärm, Unfälle und lokale Umweltschäden aber auf höhere 2217, 2620 und 3421 Millionen Franken.

Erst recht verblassen die Klimaschäden im Vergleich mit all den anderen zukünftigen Entwicklungen. So dürfte der Wohlstand gemessen am Bruttoinlandprodukt pro Kopf in den reichen Ländern bis 2060 und 2100 um wenigstens 30 und 70 Prozent wachsen und in Entwicklungsländern bei guten politischen Rahmenbedingungen sogar um mehr als 400 und 2000 Prozent. Das weitere Wachstum wird in den Weltklimaberichten nicht in Frage gestellt, sondern liegt vielmehr den Schadenschätzungen zugrunde.

So besehen, sind die Schäden des Klimawandels also relativ klein. Wer sie zum grössten Problem der Menschheit macht, verletzt die grundsätzlichsten Regeln von Nachhaltigkeit, Verhältnismässigkeit und vernünftigem Abwägen von Nutzen und Kosten beziehungsweise Vor- und Nachteilen. Und er ignoriert unzählige, weit ertragreichere Reformen für Umwelt, Wirtschaft und Politik, die billiger, einfacher und sicherer umgesetzt werden könnten als die heutigen Regierungspläne zur schnellen Dekarbonisierung der Weltwirtschaft. Bei der Politik selbst lägen die grössten Reformerträge. So erleiden heute die Einwohner vieler Länder infolge schlechter Politik beziehungsweise schlechter politischer Institutionen einen Wohlstandsverlust von über 95 Prozent gegenüber Ländern mit guten Institutionen.

Gleichwohl ist der Klimawandel ein ernstes Problem – mit einer Besonderheit. Seine Bekämpfung ist ein globales Gemeingut, das nur unter speziellen Bedingungen bereitgestellt werden kann. Wer seine Emissionen mindert, hat Kosten, aber der Nutzen fällt verteilt über die ganze Welt und so grösstenteils bei anderen an. Daraus erwächst die typische Tragik der Gemeingüter: Es ist wünschenswert, die Emissionen weltweit zu reduzieren – aber für die einzelnen Bürger und Länder ist es rational, nicht zum Klimaschutz beizutragen, weil ihre Kosten höher sind als ihre Vorteile aus dem dadurch bewirkten Klimaschutz.

Kollektives Handeln könnte Einzelinteressen überwinden. Darauf zielen die vielen globalen Klima-Grosskonferenzen und -verträge, wie man sie seit Jahrzehnten kennt. An ihnen wollen sich die Regierungen gegenseitig verpflichten, in ihren Ländern Klimaschutz zu betreiben. Das droht zu scheitern:

– Erstens ist die Tragik des Gemeingutes beim Klimawandel besonders stark ausgeprägt. Die Kosten wirksamer Klimapolitik fallen schnell und gut sichtbar an, die Nutzen aber wegen der Eigendynamik des Klimas infolge der schon bestehenden CO2-Konzentration erst Jahrzehnte später.

– Zweitens unterläuft sich aktiver Klimaschutz selbst. Wenn einzelne Länder ihre Wirtschaften dekarbonisieren, senkt das die Anreize der anderen zu Klimaschutz, weil es die Weltmarktpreise für fossile Energieträger sinken und die Strompreise sowie die Stromspeicherkosten steigen lässt. Denn bei Dekarbonisierung müssen die meisten Länder mehr Strom importieren oder können weniger exportieren, und die internationalen Speicherkapazitäten (etwa in Speicherseen) sind beschränkt.

– Drittens hat der Klimawandel neben Nachteilen auch Vorteile. Nun wird immer klarer, wer viel und wer wenig verliert oder sogar gewinnt. Zugleich können öffentliche Anpassungsmassnahmen wie die Schaffung von Grün- und Wasserflächen in Städten oder der Bau von Deichen und Talsperren die Bürger vor Hitze, dem steigenden Meeresspiegel, Starkregen und Stürmen gut schützen, was auch Studien zur Anpassung betonen. Doch dadurch wird die Kooperationsbereitschaft zum Klimaschutz vieler Länder abnehmen.

– Viertens nimmt die individuelle Anpassung durch bauliche und technische Massnahmen – Stichwort Klimaanlage – zu. Da Anpassung denen nützt, die sich anpassen, wird sie schnell und stark sein. Menschen aus Ländern, in denen die Anpassung eher einfach und billig ist, verlieren die Lust an teurer Emissionsreduktion. Menschen aus Ländern, in denen die Anpassung schwierig und teuer ist, verlieren die Lust an teurer Klimapolitik ebenfalls, weil sie die knappen Ressourcen für die Anpassung sparen wollen.

Bei Klimaverträgen sind die meisten Teilnehmerländer keine Demokratien im westlichen Sinn.Versteckte Agenden

Viele Bürger wollen Klimaschutz. Deshalb versprechen ihn Regierungen. Das heisst aber nicht, dass sie ihn auch liefern werden.

Bei internationalen Klimaverträgen sind die Mehrheit der beteiligten Länder keine funktionierenden Demokratien im westlichen Sinn. Ihre Vertragstreue ist mit Blick auf andere Verträge und Konventionen, etwa im Bereich Menschenrechte, zumindest fraglich. Und ein bisschen «klimanaiv» ist es schon, zu hoffen, dass sich solche Regierungen ausgerechnet im Klimabereich für das Wohl aller zukünftigen Weltbewohner einsetzen.

Selbst demokratische Regierungen sind nicht voll verlässlich. Auch sie verfolgen neben dem Klimaschutz viele andere Ziele. Sollte ihnen der Klimaschutz dereinst zu teuer erscheinen, könnten auch demokratische Länder ihre Klimaschutzversprechen entweder einfach nicht einhalten oder aus den Verträgen austreten, wie einst die USA aus dem Pariser Klimaabkommen. Entsprechend sind die bisherigen Erfolge der Klimapolitik wenig eindrücklich. Die weltweiten Emissionen steigen trotz Regierungsversprechen und Aktionismus, auch weil selbst die Politik funktionierender Demokratien klimanaiv erscheint. So ist das Ergebnis der deutschen Klimapolitik ernüchternd. Die Subventionen sogenannter erneuerbarer Energien und die Kosten für die Energiekonsumenten sind besonders hoch, die Reduktion der Gesamtemissionen ist aber nicht grösser als anderswo.

Neue Märkte, höhere Margen

Mit ernsthaften Klimaschutzabsichten lässt sich all das nicht erklären. Vielmehr scheinen manche Regierungen Klimapolitik dazu zu nutzen, ihre Besteuerungs- und Regulierungsmacht unter internationaler Anerkennung auszubauen und gutorganisierte Interessengruppen mit Subventionen zu bedienen. Andere freuen sich, dass ihre «grünen» Produkte wie Solarpanels, Batterien oder die «Übergangstechnologie» Erdgas und bald auch «grüner Wasserstoff» stärker nachgefragt werden.

Für manche autokratische Regierung ist es ein Vorteil, dass gewisse Länder des Westens durch Verzicht auf Fracking, Kernenergie und den Aufbau einer alternativen Versorgungsinfrastruktur noch abhängiger von ihren Energielieferungen werden. Und auch viele Firmen und ganze Branchen springen gerne auf den Klimaschutzzug auf, weil die neuen Märkte höhere Margen und Gewinne als die alten reifen Märkte versprechen.

Naive Klimapolitik bringt hohe Kosten, senkt die Erderwärmung nur wenig und ist zum Scheitern verurteilt. Wer das heutige Klima möglichst bewahren will, muss dringend eine andere Strategie wählen. Sie muss zugleich die klimawirksamen Emissionen schnell reduzieren und günstig sein. Dafür aber bedarf es grösster technologischer Innovationen. Nur eine solche Strategie hat Chancen, von den ärmeren Ländern ernsthaft umgesetzt zu werden.

Das Problem von Kostenwahrheit ist, dass sie die meisten Regierungen und Parlamente nicht wollen.Das Zauberwort dafür heisst: Kostenwahrheit. Die zukünftigen Schäden müssen wissenschaftlich geschätzt und den heutigen Verursachern über CO2-Abgaben in Rechnung gestellt werden. Das eingenommene Geld muss möglichst wohlfahrtsfördernd wieder zurück an die Bürger fliessen, insbesondere über die Senkung anderer, leistungsfeindlicher Steuern. Zugleich soll die Grundlagenforschung ausgebaut werden. Kostenwahrheit gibt den Konsumenten und Produzenten die richtigen Anreize, Emissionen zu mindern und klimafreundliche Technologien zu entwickeln. Damit erübrigen sich die meisten Regulierungen und Subventionen zum Klimaschutz. Dank den Minderausgaben können die Bürger noch zusätzlich entlastet werden. Eine optimale CO2-Abgabe sollte international möglichst einheitlich sein, ausnahmslos alle Emissionen erfassen und gemäss den nobelpreisgekrönten Arbeiten von William Nordhaus sowie den Empfehlungen des Climate Leadership Council, die von über 3600 amerikanischen Ökonomen und 28 Nobelpreisträgern unterstützt werden, heute rund 50 bis 55 Franken pro Tonne CO2 betragen. Bis 2030 sollte sie auf 75 Franken (ohne Berücksichtigung der Inflation) steigen.

Eine derartige effiziente Klimapolitik wäre für die Schweizer Wirtschaft im Vergleich mit der heutigen Politik problemlos tragbar, denn ihre Kosten sind verglichen mit der gesamten Steuerlast und den derzeitigen Regulierungen klein. So würde die CO2-Abgabe bei den heutigen Schweizer Emissionen von rund 43 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten etwa 2,2 Milliarden Franken und damit 0,7 Mehrwertsteuer-Prozenten entsprechen.

Die Stärke von Kostenwahrheit ist, dass sie nicht sofort harte Einschnitte im Gebrauch fossiler Energien erzwingt, sondern wirksame Anreize für den schonenden Ressourceneinsatz und die Entwicklung der für effektiven Klimaschutz notwendigen Technologie setzt. Kostenwahrheit mit einer moderaten CO2-Abgabe und damit verbundener Senkung anderer Steuern, Regulierungen und Subventionen belastet die Volkswirtschaft kaum, ja würde viele sogar entlasten. Anders formuliert: Heute haben wir hohe Steuern, viele Regulierungen und viele Subventionen. Das ist schrecklich teuer und ineffizient. Mit einer CO2-Abgabe lassen sich andere Steuern, Subventionen und Regulierungen reduzieren und zugleich das Klima effizient schützen.

Das Problem von Kostenwahrheit ist, dass sie die meisten Regierungen und Parlamente nicht wollen. Sie reden zwar gerne von Kostenwahrheit, liefern aber bloss Kostenscheinwahrheit. Sie wollen keine CO2-Abgabe, deren Erträge sie gleich an die Bürger zurückgeben müssen. Vielmehr wollen sie die Erträge für ihre eigenen Zwecke verwenden. Genauso wollen sie nicht, dass die bisherigen Subventionen, Regulierungen, Gebote und Verbote überflüssig werden. Denn diese dienen ja wichtigen Interessen- und Lobbygruppen. Deren Klagen, sie könnten eine allgemeine CO2-Abgabe nicht bezahlen, sind übertrieben, insbesondere wenn die Erträge zur Senkung anderer Abgaben genutzt werden. Die Behauptung vieler Politiker, die Bevölkerung wolle keine Kostenwahrheit, ist falsch. Was die Bevölkerung nicht will, sind neue Abgaben ohne kompensierende Senkung anderer Abgaben.

Schweiz als Vorbild

Die grosse Kunst wäre es, einige wenige Regierungen dazu zu bringen, Kostenwahrheit ernsthaft und ehrlich umzusetzen. Dann würde sich zeigen, dass dieser Ansatz wunderbar funktioniert, die Emissionen effektiv senkt, positive Nebenwirkungen durch die Reduktion lokaler Umweltprobleme hat, auch für grosse Emittenten tragbar ist, kaum volkswirtschaftliche Verwerfungen und keine starke Verlagerung der energieintensiven Produktion bringt – und so für einzelne Länder einseitig umsetzbar ist und ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöht.

Wenn einzelne Länder diesen Weg gingen, würden sie zum echten Klimavorbild. Denn sie zeigten für alle sichtbar, dass die Argumente gegen Kostenwahrheit nicht stimmen. Das würde den Druck auf die Regierungen der anderen Länder erhöhen, ebenfalls auf diese Art wirksamer Klimapolitik zu wechseln, die nicht klimanaiv, sondern rundum realistisch ist.

Die Schweiz hätte das Potenzial, ein solches Vorbild zu werden, denn wahrscheinlich geht es nicht ohne Volksinitiative.

Reiner Eichenberger ist Professor für Theorie der Wirtschafts- und Finanzpolitik an der Universität Freiburg i. Ü. und Forschungsdirektor des Center for Research in Economics, Management and the Arts, Zürich (Crema).

David Stadelmann ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Research Fellow von Crema und beim Ostrom Workshop (USA).

Dieser Text erschien erstmals am 3. Mai 2023.