Angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, ist diese Angelegenheit eher das Gegenteil von lustig, quasi das erste Zeichen des Zusammenbruchsder Vereinigten Staaten als globale Supermacht. In zwanzig Jahren, wenn wir alle wie prähistorische Menschenaffen leben und Ratten mit Stöcken jagen, werden wir wahrscheinlich auf diesen Moment zurückblicken als den Anfang vom Ende.

Matt Taibbi, «Insane Clown President», 2017

 

I. Mit Carl Schmitt zu Patriot Act und Cancel-Culture

Spätabends in meinem New Yorker Hotelzimmer mit Blick auf den Hudson River: Sturm, Regen, Sintflut. Ich lese «Insane Clown President», einen «Bericht aus dem amerikanischen Zirkus», von Matt Taibbi von 2017, als um Mitternacht ein Newsletter des New York Magazine in meiner Mailbox aufpoppt: «Linke Anhänger von Trump sind weiterhin zutiefst verwirrt: Matt Taibbi hält die Republikaner für machtlos.»

Und das ist für diese Geschichte, die Sie heute in den Händen halten, liebe Leserinnen und Leser, natürlich wunderbar, schliesslich hatte ich erst vor einigen Stunden bei der Greenwich-Village-Filiale von Avis für 150 Dollar einen Jeep Avenger gemietet, um am nächsten Morgen durch den Holland-Tunnel nach New Jersey zu brettern, um dort ebendiesen Matt Taibbi zu treffen, um von ihm zu hören, wie er auf die Vereinigten Staaten und die bevorstehenden Wahlen blickt. Taibbi galt während zweier Dekaden als einer der schärfsten und gnadenlosesten Beobachter des US-Politzirkus – «einer der wenigen Journalisten in Amerika, die sich getrauen, der Macht die Wahrheit zu sagen», wie US-Senator Bernie Sanders ihn einst beschrieb.

Nur ein paar Stunden nachdem der Newsletter des New York Magazine in meine Mailbox geflattert war, wo Taibbi scharf dafür kritisiert wird, dass er offenbar einen Präsidenten Trump für weniger schlimm halte als einen Präsidenten Biden, saust das Ortsschild von Mountain Lakes an mir vorbei, «eine Stadt ohne Stigmatisierung», wie es dort heisst. Ein paar Minuten später setzt der Jeep in der Einfahrt zu einem spektakulären Holzhaus auf, einem Haus, das auf meterhohen Stelzen steht, mitten in einer abgeschiedenen Einfamilienhaus-Paradieswelt mit winzigen Bergseen und Wäldern. Und obwohl es in Strömen regnet, ist das Paradies auch durch den Regenschauer und die Nebelschwaden unschwer erkennbar.

Matt Taibbi kehrte vor vier Jahren dem etablierten Journalismus den Rücken. Er war wegen seiner journalistischen Haltung hinsichtlich der Rolle der US-Geheimdienste bezüglich «Russiagate» von seinem eigenen Milieu heftig angefeindet worden und ziemlich zeitgleich wegen Sexismusvorwürfen gecancelt worden. Statt unterzugehen, erfand sich Taibbi neu, verzehnfachte sein Journalistenhonorar und lebt heute als freier Schreiber mit seiner Frau und drei Kindern in New Jersey wie ein König.

Als der Fotograf und ich aus dem Wagen steigen und uns der Haustür nähern, fiept ein Alarmsystem.

 

Baseball in Usbekistan

Wir setzen uns an einen grossen Tisch im Wohnzimmer, Taibbi serviert Wasser in PET-Flaschen, und zuerst muss Coco sofort nochmals raus in den strömenden Regen, die alte Jagdhündin, die seit einem halben Jahr an einer Krankheit leide, die unter anderem zu ständigem Durchfall führe, und kaum wieder drinnen, kriegt Coco Wasser, damit sie nicht austrockne.

Im April 2020 verkündete Matt Taibbi, dass er das Magazin Rolling Stone verlasse, das er fünfzehn Jahre mit seinen Reportagen geprägt hatte, und er wechselte als freier Journalist auf Substack, eine Website, wo Autoren eigene Newsletter innerhalb eines Abonnements anbieten können. Und dort, als freier Journalist, mitten in der grössten Medienkrise, erschreibt sich der Mann seither ein Jahresgehalt von mehreren Millionen Dollar.

«Insgesamt habe ich 450 000 Abonnenten», sagt Taibbi. «Die meisten davon nutzen den kleineren Gratisteil des Angebots. 50 000 Abonnenten aber bezahlen monatlich fünf Dollar für den regelmässigen Newsletter. Rechnen können Sie selber.»

Aufgewachsen in Boston, startet Matt Taibbi seine abenteuerliche Journalismuskarriere in Usbekistan. Er ist dort Mitglied der Baseball-Nationalmannschaft, bis er 1992 abgeschoben wird – dem Präsidenten Islom Karimow passen die Texte nicht, die Taibbi für Associated Press schreibt. Er reist weiter nach Moskau und wird Reporter der Moscow Times, einer englischsprachigen Gratiszeitung, die in den Räumlichkeiten der Tageszeitung Prawda untergebracht war, dem ehemaligen Zentralorgan der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, und die heute in Russland als «feindlicher Agent» eingestuft ist. Schliesslich, um die Jahrtausendwende, arbeitet Taibbi in Moskau für die englischsprachige Satirezeitschrift The Exile.

Kaum in den USA, wird er 2004 nationaler Reporter für den Rolling Stone und schnell zu einem der bekanntesten Reporter Amerikas. Er schreibt über die Präsidentschaftswahlen und die Finanzkrise, wird mit dem National Magazine Award ausgezeichnet und mit seinen Artikeln über Goldman Sachs, die er als «Vampir-Tintenfisch» bezeichnet, zu einer prägenden Figur der New Yorker Bewegung «Occupy Wall Street».

«Die Leute wollen in Wirklichkeit gar keine Entschuldigung hören. Sie wollen Unterwerfung.»Taibbis Expertise ist im Land gefragt. Man sieht ihn jetzt regelmässig nicht nur auf dem linken Nachrichtensender Democracy Now!, sondern auch in den grossen TV-Talkshows von Bill Maher und Rachel Maddow. Er wird Stammgast beim Nachrichtensender MSNBC und 2016 einer der ersten Gäste von «Chapo Trap House», einem Podcast-Hype. Seine Bücher sind Bestseller, seine Reportagen sprachliche Achterbahnen, es entsteht ein Kult um den Mann, und zwar auch deshalb, weil er manchmal die Fassung verliert. Einem Reporter des Vanity Fair schüttet er während eines Interviews seinen Kaffee ins Gesicht, verfolgt ihn zwei Häuserblocks lang, schreit: «Ich habe noch nicht entschieden, was ich mit dir machen werde!»

 

«Tod eines Trottels»

In den Texten passiert ihm das ständig: dass er über das Ziel hinausschiesst. Und dafür auch mit dem Tod bedroht wird. Etwa, als Andrew Breitbart, Gründer der Rechtsaussen-News-Website Breitbart News, mit 43 Jahren auf der Strasse zusammenbricht und stirbt und Taibbi nur ein paar Stunden später einen Nachruf publiziert mit dem Titel: «Tod eines Trottels». Er gilt als Nachfolger des Kultjournalisten Hunter S. Thompson und erhält Preise. Dann holt ihn die Vergangenheit ein.

Der Vorwurf 2017 lautet: Sexismus, sexuelle Belästigung oder das Ermöglichen sexueller Belästigung – und zwar damals, als er in Moskau arbeitete. Taibbi gerät in einen Shitstorm und verliert seinen Buchvertrag mit Random House.

«Jemand grub Dinge aus, die ich zwanzig Jahre zuvor in Moskau geschrieben hatte für die Satire-Zeitschrift Exile, und man warf mir vor, ich sei damals ein frauenfeindliches Arschloch gewesen und hätte sexuelle Belästigung ermöglicht», sagt Taibbi. «Ich schrieb daraufhin einen langen Facebook-Post, in dem ich mich für die frauenfeindliche Sprache in einem meiner Texte entschuldigte und versuchte, mich zu erklären. Dass der Text und das dort beschriebene Verhalten Satire gewesen seien, und zwar über das tatsächliche Verhalten amerikanischer Auswanderer im damaligen Russland. Rückblickend muss ich sagen: Die öffentliche Entschuldigung war ein grosser Fehler.»

«Warum?», frage ich.

«Weil die Entschuldigung alles nur schlimmer machte. Erst war ich erstaunt, heute muss ich sagen: Entschuldige dich nicht. Man sieht heute im Wochentakt, wie Leute vom Mob im Netz zermalmt werden. Ein Freund von mir, der Journalist Lee Fang, verlor beinahe seinen Job, bloss weil er eine Person interviewte, die Dinge sagte, die den Leuten nicht passten. Während der Unruhen nach der Ermordung von George Floyd interviewte er einen schwarzen Mann, der zu ihm sagte: ‹Jetzt, wo ein weisser Cop einen Schwarzen umgebracht hat, da kommt ihr alle. Ansonsten sehe ich euch hier nicht, bei den Alltagsmorden.› Das löste einen Shitstorm aus gegen den Journalisten. Obwohl Lee Fang kein Rassist ist und das Interview echt war, eine Momentaufnahme des Lebens, musste Lee sich öffentlich entschuldigen und versprechen, an sensibilisierenden Trainings teilzunehmen. Das nützte ihm aber auch nichts: Sein Kopf wurde trotzdem gefordert.»

«Und trotzdem: Wenn man nun einen Fehler gemacht hat – was ist falsch daran, sich öffentlich zu entschuldigen?»

«Weil es bei diesen öffentlich ausgetragenen Shitstorms nicht darum geht, dass jemand aus seinen Fehlern lernen kann. Die Leute wollen in Wirklichkeit gar keine Entschuldigung hören. Sie wollen Unterwerfung. Es gibt in diesem Prozess auch keine Vergebung. Es geht nur darum, die Person zu demütigen. Man will sie durch das Es-tut-mir-leid-Ritual kriechen sehen. Und danach hat sich die Person mit dem Urteil des Mobs abzufinden, wie auch immer dieses willkürliche Urteil lauten mag. Das Einzige, was klar ist: Vergeben wird man dir nicht. Keiner einzigen Person, die jemals mit einem Shitstorm gecancelt wurde, wurde vergeben. Was auch immer du getan hast oder angeblich getan hast, was auch immer man dir vorwirft: Du wirst für immer angeprangert bleiben. Diesen Leuten geht es um Macht und um den Missbrauch dieser Macht. Damals wachte ich irgendwann auf und dachte: Ich stehe jetzt einfach auf und mache weiter.»

 

Grundlegend menschlich

Wir sitzen am Tisch, der Fotograf schiesst ein paar erste Bilder, und Taibbi, der in seinen Texten hart austeilt, klingt plötzlich sanft und nachdenklich. Es sei ein grundlegend menschlicher Gedanke, dass man vergebe, sagt er. Einerseits, um als Gesellschaft voranzukommen. Andererseits, um den Betroffenen eine persönliche Entwicklung zu ermöglichen. «Früher hat man die freie Rede in den USA reguliert, indem jemand zu einer Strafe verurteilt wurde, wenn er jemand anderen verleumdete», sagt der Journalist. «Die Strafe beinhaltete bereits die Idee, dass der Mensch irgendwann wieder ein gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft werden konnte. Niemand kam auf die Idee, zu sagen: ‹Du bist gecancelt. Du verlierst alles. Deinen Job. Dein Umfeld. Deine Würde.› Niemand kam auf die Idee, zu sagen: ‹Und du darfst auch nie wieder in den Medien arbeiten. Deine Strafe kennt kein Ende. Du bist ein schlechter Mensch. Wir wollen dich hier nicht mehr. Nicht in der Gesellschaft, nicht auf der Plattform. Du bist raus und kommst nie wieder zurück.› Das ist die neue Logik. Die Rechtsstaatlichkeit, und was mit ihr verbunden ist, verschwindet. Und das ist eine völlig neue Art, zu denken.»

«Trump ist kein Stalin, kein Hitler. Er ist ein Showman, der schreckliche Dinge sagt.»«Wann ist das passiert?», frage ich.

«Das, was heute in den USA passiert oder von der Regierung legitimiert wird, die systematische Aushebelung der Rechtsstaatlichkeit – von staatlichen Drohnenmorden über Massenüberwachung bis hin zu Zensur und Cancel-Culture im Netz –, diese Freund-Feind-Logiken, dieses Entweder-für-uns-oder-gegen-uns, das alles begann am 11. September 2001.»

Damals seien wir in eine Welt eingetreten, wo der Glaube vorherrschte, «dass uns das Recht im Weg steht».

«Kennen Sie Carl Schmitt?», fragt Taibbi dann, als wir in seinem Wohnzimmer sitzen und Mineralwasser nippen. Natürlich bin ich ein wenig überrascht, dass er den Namen des wirkmächtigen deutschen Juristen ins Spiel bringt, der sich vor fast hundert Jahren als Staatsrechtler für den Nationalsozialismus eingesetzt hatte, von politischen Gegnern auch als «Kronjurist des Dritten Reiches» bezeichnet.

Aber bald ist das alles dann auch gar nicht mehr so überraschend, dass wir hier in New Jersey über Carl Schmitt nachdenken, der 1934 beispielsweise die Ermordung politischer Rivalen durch Hitler mit den Worten rechtfertigte: «Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Missbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft.»

Carl Schmitt sei nach 9/11 in den USA sowohl unter Republikanern wie auch unter Demokraten populär geworden, sagt Taibbi. Schmitts Denken habe unmittelbar den Grundstein gelegt für den Patriot Act, das permanente Notstandsgesetz, das im Oktober 2001 verabschiedet wurde, bloss ein paar Wochen nach den Anschlägen. «In der Vorstellung von Carl Schmitt gehört die Macht im Staat dem, der sie im Notfall an sich reissen kann. Dieses Denken hat die Bush-Administration nach 9/11 übernommen und umgesetzt, und Obama und seine Leute haben es fortgeführt.»

«Welches Denken konkret?»

«Dass Rechtsstaatlichkeit Augenwischerei ist. Dass wahre Macht in einem Staat nicht funktioniert, wenn sie auf verschiedene Strukturen verteilt ist, so wie wir das kennen. Umgehend nach 9/11 tönte es aus der Bush-Administration, dass wir extreme Massnahmen bräuchten, um Terrorismus zu bekämpfen. Dass wir uns Rechtsstaatlichkeit nicht mehr leisten könnten. Der Patriot Act ermöglichte zum Beispiel grossflächige Überwachung. Das Gesetz ermöglichte es – das erste Mal seit dem Bürgerkrieg –, Menschen ohne Gerichtsverfahren zu verhaften und einzusperren. Dann sagte man, es müsse möglich sein, Verdächtige zu foltern. Und sie gegebenenfalls ohne Gerichtsverfahren umzubringen. Es war Obama, der dann zum ersten Mal auch einen US-Staatsbürger ohne Gerichtsverfahren ermorden liess. Mit einer Reihe von Regierungsleuten traf er sich einmal pro Woche zum ‹Terror Tuesday›. So nannten sie das. Sie gingen geheime Tötungslisten durch von Verdächtigen, von denen sie entschieden hatten, dass sie zu sterben hatten. Obama musste als Präsident entscheiden. Er sagte: ‹Ja. Nein, ja. Nein, ja. Nein.› Bald traf sein Ja auch den US-Staatsbürger Anwar al-Awlaki, der im Jemen gemeinsam mit seinem sechzehn Jahre alten Sohn von einer US-Drohne getötet wurde.»

 

Ein Staat, der mächtig sein will

Der fünfte Verfassungszusatz in den USA lautet: Jeder Mensch hat ein Recht auf ein faires Verfahren. «Man darf dich nicht einfach löschen, sperren, ausschalten, verhaften, was auch immer», sagt Taibbi. «Aber das ist das Amerika, in dem wir heute leben, und es ist das Amerika, das George W. Bush mit dem Patriot Act geschaffen hat: Wenn es die Richtigen trifft, sind alle Mittel erlaubt.»

Dabei habe sich die Bush-Administration einer zweiten Idee von Carl Schmitt bedient, die zwanzig Jahre später die amerikanische Gesellschaft zersetzte. «Diese zweite Idee lautet: Ein Staat, der mächtig sein will, ist davon abhängig, dass die Gesellschaft gespalten ist in Freunde und in Feinde. Diese binäre Denkweise Carl Schmitts über das Funktionieren einer Gesellschaft ist der Schlüssel zum Verständnis des modernen Amerika.»

«Der grösste Umbruch in der jüngeren Geschichte war Clintons Freihandelsabkommen Nafta.»

II. Warum Joe Biden gefährlicher sei als der «Insane Clown President»

«Was ist bloss mit Matt Taibbi passiert?» betitelte das New York Magazine 2021 ein Porträt. Der einstige Darling der linksliberalen Medien sei heute einer ihrer schärfsten Kritiker, hiess es. Taibbi gehört dabei zu einer Fraktion Journalisten, die sich, vereinfacht gesagt, aus Grünen und anderen Linken und Libertären zusammensetzt, die der Meinung sind, dass in den USA die geballte institutionelle Macht heute bei den Demokraten liege, inklusive der Medien, inklusive des FBI, der Geheimdienste und des Heimatschutzministeriums, und dass, so Taibbis Kritik, die Medien in ihrer Fokussierung auf Trump die Biden-Administration nicht mehr kritisch begleiteten. «Das Motto bei vielen US-Medien lautet: ‹Wir berichten nicht, wenn es Trump nützt›», sagt Taibbi. Und provoziert selbst mit Sätzen wie diesen, kürzlich in seinem Newsletter: «Die Ambitionen der Demokraten sind wesentlich gefährlicher als die der Republikaner. Von der digitalen Überwachung über die Zensur bis dahin, dass die Geheimdienste und die Strafverfolgungsbehörden zu zentralen Akteuren in der Innenpolitik werden – alles Pläne, die sowohl global als auch in unserem Land umgesetzt werden und die von den Demokraten in einem viel grösseren und gefährlicheren Massstab gedacht werden als von den Republikanern.»

Für solche Zeilen nennt ihn das New York Magazine einen «Trump-Anhänger», seine Analyse sei «bizarr».

«Der Tenor in den Medien lautet heute, dass es bezüglich Trump nicht möglich ist, anderer Meinung zu sein, und dass man stattdessen dem Gegenüber das Schlimmste unterstellt.» Das habe er erstmals bei der Debatte um Russiagate erlebt, jener Affäre, die über ein Jahr lang die Schlagzeilen in den USA dominierte und wo behauptet wurde, die Trump-Leute hätten mit der russischen Regierung zusammengearbeitet, um die Wahlen 2016 zu manipulieren.

«Die meisten Medien waren sich einig: Die Story musste einfach stimmen, weil Trump das Ziel war», sagt Taibbi. «Ich wurde um meine Meinung gefragt und sagte anfangs relativ zurückhaltend: Das ist uns Medien schon einmal passiert, dass wir uns einzig auf anonyme Geheimdienstquellen verlassen haben. Und zwar 2003, als die CIA mit gefälschten Beweisen über Massenvernichtungswaffen den Angriffskrieg gegen den Irak legitimierte. Ich sagte, wir sollten vorsichtig sein und diesen Fehler nicht wiederholen. Die Anfeindungen waren massiv. Aber ich bin nach wie vor der Meinung, bei den Fakten, die auf dem Tisch liegen, dass man Donald Trump gefährlicher macht, als der Mann wirklich ist. Ich halte Joe Biden für gefährlicher.»

Da sitzen wir nun also im Wohnzimmer, der Regen prasselt gegen die Scheiben, ich nippe an meiner Flasche Poland Spring und denke an die Ermordung Qasem Soleimanis, des Chefs der iranischen Revolutionsgarden, mit dessen völkerrechtswidriger Ermordung Donald Trump quasi vor dem Frühstück mal schnell einen dritten Weltkrieg riskiert hatte. Oder an seine Aussage, man müsse wie auf den Philippinen Drogendealer umbringen. Oder die Pressefreiheit aufheben. Oder ich erinnere mich an seine «Beide Seiten»-Aussage, nachdem Neonazis in Charlottesville aufmarschiert waren, «Juden werden uns nicht ersetzen» skandiert und eine linke Demonstrantin ermordet hatten.

 

Kann man sich sicher sein?

Ein Bekannter von Taibbi sagt bei einem Hintergrundgespräch, diese Aussage, der berechenbare Systemmann Biden sei gefährlicher als Trump, sei womöglich einer jener Momente, wo Taibbi über das Ziel hinausschiesse. «Ich glaube zwar, dass weder Biden noch Trump etwas so katastrophal Kriminelles tun werden, wie in den Irak einzumarschieren und eine Million Menschen zu töten. Aber das ist das Problem mit Trump: Kann man sich sicher sein? Der Mann ist nicht Anführer einer kohärenten ideologischen Bewegung und völlig sprunghaft. Die USA haben nach wie vor ein erhebliches Atomarsenal, und ich denke nicht, dass dieses Arsenal bei Trump gut aufgehoben wäre.»

Dann sagt der Bekannte Folgendes: Man werfe Matt Taibbi heute vor, dass solche Trump-Sätze ein Hinweis darauf seien, dass der Substack-Millionär zum Gefangenen seiner vornehmlich entweder sehr linken oder gleichzeitig rechten Leserschaft geworden sei, die solche Sätze hören wolle. «250 000 Dollar im Monat ist eine Menge Geld», sagt der Bekannte. «Irgendwann wird es schwierig, sich mit der eigenen Klientel anzulegen. Bei Ein-Mann-Newslettern ist das noch schwieriger als bei grossen Medienhäusern.»

Gleichzeitig aber ist es ein unbestrittener Fakt: Matt Taibbi hat ein paar der präzisesten politischen Reportagen der letzten zwanzig Jahre geschrieben. Macht man es sich zu einfach, ihn jetzt einfach als «Trump-Anhänger» zu verunglimpfen, weil er Dinge sagt und schreibt, die schmerzhaft sind? Und immerhin hatte die nichtdemokratische Linke 2016 exakt so argumentiert: Lieber einen Chaoten wie Trump im Weissen Haus als eine neoliberale Hillary Clinton, die mit hoher Professionalität ihre Politik durch den Kongress peitschen würde.

 

«Dreissig Millionen Jobs verschwunden»

«Biden schlimmer als Trump – meinen Sie das wirklich ernst?», frage ich Taibbi nochmals.

«Biden und seine Leute sind gut darin, demokratische Prozesse auszuschalten.»

Der Autor Les Leopold habe in seinem jüngsten Buch «Der Krieg der Wall Street gegen die Arbeiter» aufgeschlüsselt, dass in den USA seit den Neunzigern dreissig Millionen Jobs verlorengegangen seien. «Das sind eine ganze Menge Leute, die sie entlassen müssen», sagt Taibbi. «Je mehr wir über Trump reden, desto weniger müssen wir darüber reden, wer das verbrochen hat. Eines ist sicher: Trump war es nicht. Er ist das Symptom dieser Entwicklung.»

«Und trotzdem: Macht ihn das weniger schlimm?»

«Ich habe 2016 intensiv über Trumps Wahlkampf berichtet. Dass ich kein grosser Fan von ihm bin, verrät womöglich der Titel des Buchs: ‹Insane Clown President›. Gleichzeitig glaube ich verstanden zu haben, warum er so erfolgreich war. Trump ist kein Stalin, kein Hitler. Er ist ein opportunistischer Showman, der schreckliche Dinge sagt. Die Ungleichheit in den USA ist enorm. Vor allem in ländlichen Regionen leiden die Menschen massiv. Die Infrastruktur liegt am Boden. Man muss 200 Meilen fahren, um ein Spital zu finden, wo man ein Baby zur Welt bringen kann. Die Wahl von Trump war eine Protestwahl, hauptsächlich unter armen, entrechteten, ungebildeten Menschen. Und das zu sagen, macht mich nicht zum Trump-Anhänger.»

Trump sage grauenhafte Dinge, aber er setze letztlich wenig davon um. «Was ist mit dem zentralen Versprechen, Hillary Clinton einsperren zu lassen? Nicht mal ansatzweise hat er daran gedacht, als er im Amt war. In meinen Augen ist Trump eine klassische amerikanische Figur wie aus einer Geschichte von Mark Twain, einer, der ständig abstruse Geschichten erfindet, ein kreativer Lügner, der einem alles verkaufen kann. Lügt er die Hälfte der Zeit? Ja. Kann er bösartig sein? Ja. Und trotzdem glaube ich nicht, dass man ihn vergleichen kann mit der Kontinuität, für die Biden steht, mit der Weiterführung der Idee von George W. Bush, demokratische Prozesse auszuschalten und die Macht der Exekutive zu konzentrieren. Diese Leute sind gut darin. Im Gegensatz zu Trump, der keine Ahnung hat, was er da tut.»

Taibbi sagt, die Medien würden heute noch nicht einmal mehr merken, welchen Vorgängen sie applaudierten, solange es die richtigen Leute treffe.

«Geben Sie ein Beispiel», sage ich.

«Der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 eignet sich gut dafür. Damals wurden von den Behörden viele Menschen identifiziert, die sich vor dem Kapitol versammelt hatten, und einige wurden wegen Straftaten angeklagt. In den USA haben wir nun mal diese Sache, wissen Sie, man ist unschuldig, bis die Schuld bewiesen ist. Was auch immer jemand getan haben soll. Angeschuldigte begannen nun also, sich auf der Spendensammelplattform Gofundme.com zu organisieren, um sich eine Verteidigung leisten zu können. Oder auf der Zahlungsseite Venmo. Als die Regierung das bemerkte, übte sie Druck auf diese Plattformen aus, alle Angeklagten vom 6. Januar umgehend zu sperren. So dass sich die Leute nicht anständig verteidigen können. Den Medien gefällt das. Das ist pure Bush-Doktrin: der Glaube, dass es den Rechtsstaat nicht mehr braucht, dass die Dinge anders geregelt werden müssen. Dazu braucht man offensichtlich gar keinen Trump.»

 

III. Wie aus den Ruinen des Freihandels Donald Trump hervorgrinste

Coco, die alte Hündin, muss nochmals raus in den Regen, und unten im Haus, wo normalerweise ein Garten steht, gibt es einen kleinen Basketballplatz, und das wirkt stimmig, denn Taibbi sieht mit seinen fast zwei Metern aus wie sein eigener Bodyguard. Das Haus ist vollgestopft mit Büchern und Preisen für exzellenten Journalismus und mit einer Spielhallenmaschine von «Mortal Kombat».

Wir loben Taibbis Haus, diese lustigen Stelzen, und können gar nicht glauben, dass hinter dem Gebäude «bloss» ein lokaler Architekt steht und nicht Frank Lloyd Wright. Wir loben die schöne Gegend, die Seen und «Paul’s Diner» mit endlos refill-Filterkaffee für drei Dollar, und Taibbi sagt, anhand des Bezirks Mountain Lakes, wo laut Forbes die Hälfte der Einwohner mehr als 200 000 Dollar im Jahr verdiene, lasse sich die «dramatische Verschiebung der letzten zwanzig Jahre in der Politlandschaft des Landes» ziemlich gut beschreiben, der ganze lange Weg eines Landes, das in den letzten dreissig Jahren von verschiedenen Handlungen und Ereignissen derart erschüttert wurde, dass am Ende nicht Heil und Glückseligkeit standen, sondern ein Mann an der Spitze des Landes, der im Wahlkampf Dinge sagt wie: «Ich könnte mitten auf der 5th Avenue stehen und jemanden erschiessen und würde keinen einzigen Wähler verlieren.»

Und ich sage, ganz hibbelig vom refill-Kaffee, mit dem der Fotograf und ich uns nach einer Fahrt durch einen New Yorker Regensturm aufgewärmt hatten, dann solle er doch bitte mal beschreiben, was denn das Land so empfänglich für Donald Trump gemacht habe, der seinen Wählern versprach, eine riesige Mauer um die USA zu errichten.

«Ich meine, what the fuck?», versuche ich eine Frage zu stellen.

«Die massiven Verschiebungen betreffen vor allem demografische Veränderungen innerhalb der Parteien», sagt Taibbi. «In den Neunzigern wäre ein gehobener New Yorker Vorort wie dieser mehrheitlich republikanisch gewesen, im besten Fall halb-halb. Heute sind diese Orte mit Top-Einkommen hundertprozentig demokratisch. Die siebzig reichsten Wahlkreise des Landes sind demokratisch, und der Grossteil der republikanischen Basis befindet sich im armen, ländlichen Amerika. Die wichtigsten Indikatoren dafür, ob jemand heute Republikaner oder Demokraten wählt, sind Bildung und Einkommen, was früher nicht der Fall war.»

Die Linke in den USA vertrete heute einen «Oberschichten-Marxismus», sagt Taibbi. «In erster Linie sind es wohlhabende Menschen an Universitäten, die diese Ideen propagieren. Und das spiegelt sich in einer deutlichen Betonung von kleinen, kulturellen Fragen anstelle der grossen, offensichtlichen Klassenfragen.»

«Die Leute regen sich unheimlich über eine Person im Fernsehen auf, die ein falsches Pronomen benutzt. Aber wenn die Eisenbahner streiken, hört man von denselben Leuten kein Wort», sagt Taibbi. «Die Linke interessiert sich für derartige Dinge nicht mehr wirklich, und sie haben eine seltsame Vorstellung von der Arbeiterschaft entwickelt. Man hält die Leute für zurückgebliebene Rassisten. Dabei handelt es sich vor allem um Menschen, die nicht sonderlich privilegiert und auch nicht sonderlich gebildet sind und die vor allem Angst um ihre Zukunft haben.»

Den Boden für diese demografische Verschiebung innerhalb der Parteien habe in den Neunzigern Bill Clinton gelegt. Trump sei dabei nicht Ursache des Schlamassels, sondern das Symptom von dreissig Jahren Freihandel, Krieg gegen den Terror und identitärem Kulturkampf.

 

Geisterstadt um Geisterstadt

«Der grösste Umbruch in der jüngeren amerikanischen Geschichte war die Verabschiedung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta) in den frühen Neunzigern», sagt Taibbi. «Nafta war eine Idee der Republikaner. Das Abkommen wäre nie durchgekommen, wenn die Demokraten unter Bill Clinton nicht eine Kehrtwende gemacht hätten bei der Frage, von wem sie Geld entgegennehmen.

Sie wandten sich von den Gewerkschaften ab und der Wall Street zu. Und Clinton unterzeichnete Nafta. Und behauptete in einer grossen Rede, das Abkommen sei zwar disruptiv, es werde zu grossen Erschütterungen kommen, aber man werde die Arbeiter umschulen, neue Jobs würden kommen. Es hat nicht funktioniert. Wenn Sie heute durch Amerika fahren, durchqueren Sie Geisterstadt um Geisterstadt. Die Fabriken sind verschwunden, nach Mexiko und nach China. Daran sind zum Teil die Republikaner schuld und zum Teil die Demokraten. Und was macht Trump 2016? Er geht in diese Städte und sagt, die Lage sei schrecklich, und er werde diese Fabriken aus China und aus Mexiko zurückholen. Womöglich lügt er, aber das spielt keine Rolle, denn zumindest spricht er das Problem an. Denn diese Leute, diese vermeintlichen Trumpisten, sind zu einem grossen Teil weder Demokraten noch Republikaner, es sind in erster Linie Menschen, die überarbeitet sind und panische Angst davor haben, krank zu werden, weil sie das in den Bankrott treiben würde.»

«Das Amerika, in dem wir heute leben, hat George W. Bush mit dem Patriot Act geschaffen.»Taibbi sagt, Trump habe kürzlich eine vielbeachtete Rede gehalten, in der er behauptete, wenn er nicht gewählt würde, werde es in diesem Land ein Blutbad geben – noch mehr Jobs würden nach Mexiko und China abwandern, er hingegen werde 100-Prozent-Zölle auf chinesische Autoimporte erheben.

«Diese Rede hielt er in Ohio, in einem Teil des Landes, wo die Menschen früher für dreissig Dollar pro Stunde Autos zusammenschraubten. All diese Jobs sind verschwunden. Sie wanderten nach Mexiko ab, wo die Leute für einen Dollar pro Stunde arbeiten. Wenn Trump nun da oben steht und böse Dinge über Mexikaner sagt, hat das einen Effekt. Und zwar vor allem deshalb, weil sich die Leute von der Regierung betrogen fühlen. Ihre Wut ist aus einer menschlichen Perspektive verständlich.»

 

IV.Die Twitter-Files. Und wie Matt Taibbi ins Visier der Behörden geriet

«Wir leben in sehr wirren Zeiten», sagt Taibbi.

Und dann: Der Druck steige. Deswegen auch die Alarmanlage am Haus.

«Wie meinen Sie das?», frage ich.

«Es begann mit den Twitter-Files», sagt er.

Eine Recherche, die Taibbi ab Dezember 2022 in Zusammenarbeit mit anderen Journalisten publizierte, eine Enthüllungsgeschichte letztlich darüber, wie die Regierung Einfluss auf die Plattform genommen hatte, um die Verbreitung unliebsamer Inhalte zu unterbinden. Sie entfachte eine Debatte über «Blacklisting» und beschäftigte schliesslich den US-Kongress.

«Das Thema ist immer dasselbe», sagt er, «der Angriff auf die Freiheit und die freie Rede.»

«Erklären Sie uns die Twitter-Files», sage ich.

«Nachdem Elon Musk Twitter gekauft hatte, begann er anzudeuten, dass er interne Informationen öffentlich machen wolle. Ich wusste, dass er meine Website liest, also schrieb ich in einem Text etwas von wegen, dass es wirklich toll wäre, würde er diese Dateien herausgeben. Musk kontaktierte mich und lud mich ein, die Dokumente zu sichten. Als ich mit ihm sprach, zeigte sich, dass sie sich nicht wirklich im Klaren darüber waren, warum sie die internen Unterlagen des Unternehmens der Welt zugänglich machen wollten. Offensichtlich wollten sie ein Signal senden, man würde von nun an transparenter sein. Es zeigte sich auch: Sie hatten keine Ahnung, was sich in den Unterlagen befand.»

«An Heiligabend, wo keine Behörde arbeitet, eröffnete die Steuerbehörde ein Verfahren gegen mich.»«Was haben Sie dort entdeckt?»

«Wir entdeckten Hunderte Mails, in denen Dinge standen wie: ‹Markiert vom FBI›. Oder: ‹Markiert vom Heimatschutzministerium›.»

«Und das bedeutet?»

«Dass Tweets oder ganze Twitter-Konten von den Behörden zur Löschung markiert wurden. Sie gingen damit direkt auf Twitter zu, schrieben: Wir glauben, dieses Konto verstösst gegen Ihre Nutzungsbedingungen. Ohne es wirklich zu sagen. Aber die Intension war klar: Wir möchten, dass ihr diese Konten oder Posts entfernt. Es offenbarte sich, dass die Behörden, das FBI und das Heimatschutzministerium über riesige Programme verfügen, mit denen sie die sozialen Medien überwachen und alles, was dort gepostet wird.»

 

Freie Rede, freie Presse

«Warum hat Twitter mitgemacht?»

«Im Jahr 2017 kamen die Behörden auf Twitter zu und sagten, sie würden gerne Einfluss nehmen auf das Unternehmen, welche publizierten Inhalte in Ordnung seien und welche nicht. Das Unternehmen weigerte sich zuerst. Die Regierung erhöhte den Druck, indem sie ziemlich umgehend Pläne für Steuererhöhungen oder die Streichung von Subventionen vorstellte. Daraufhin ging Twitter die Partnerschaft mit den Behörden ein, und die Kommunikationswege waren nun offen. Mit Blick auf die Wahlen 2020 und im Zuge der Covid-19-Pandemie kam es dann zu einem riesigen Strom von Löschungsbegehren, die von Twitter umgesetzt wurden.»

«Können Sie den Kern des Skandals erklären?»

«Die US-Regierung ist nicht dazu befugt, einem Unternehmen zu sagen, was es publizieren darf und was nicht. Die ganze Idee der freien Rede in den USA basiert darauf, dass sich die Regierung raushalten muss. Dass die Rede getrennt funktioniert, dass wir unsere eigenen Institutionen sind. Freie Rede, freie Presse. Das FBI kann nicht bei der New York Times anrufen und sagen: ‹Hey, könnt ihr diese Geschichte zurückhalten?›»

«Kann man das vergleichen, die New York Times und Twitter?»

«Ich würde sogar sagen, Twitter anrufen ist schlimmer.»

«Warum?»

«Die New York Times ist eine Redaktion, die Inhalte herstellt, Twitter vertreibt sie bloss. Im Gegensatz zur New York Times hat Twitter als reiner Vertrieb kein Interesse daran, seine Inhalte zu schützen. Die überwältigende Mehrheit der Amerikaner bezieht ihre Nachrichten von Twitter, Facebook, Instagram, Youtube und wahrscheinlich Tiktok. Wenn man nun diese Unternehmen dazu bringen kann, Vereinbarungen über Inhalte zu treffen, kann man letztlich diese Inhalte kontrollieren.»

Dann, am 24. Dezember 2022, publiziert Matt Taibbi eine nächste Folge der Twitter-Files, diesmal über die Rolle von «anderen Regierungsstellen», kurz: der CIA.

«An jenem Abend, dem Heiligen Abend, wo keine Behörde in den USA abends arbeitet, eröffnete die Steuerbehörde IRS ein Verfahren gegen mich», sagt Taibbi. «Wegen angeblichen Identitätsdiebstahls, der eines meiner Konten betreffe. Und drei Monate später, im März 2023, exakt zu jener Stunde, als ich vor dem US-Kongress zu den Twitter-Enthüllungen vorgeladen war und aussagte, klingelte die Steuerbehörde bei mir an der Haustür. Seltsam, nicht? Und seither haben wir dieses Alarmsystem.»

Als der Fotograf und ich das Stelzenhaus verlassen, können wir nicht behaupten, dass es mit unserer Laune zum Besten steht. Und das hat nicht nur mit dem Wetter zu tun.

Gehört das journalistische Ausnahmetalent Matt Taibbi zu denen, die trotz Trump-Präsidentschaft unbestechlich den Durchblick behalten haben? Die sich nicht blenden lassen von Glanz und noblen Worten, sondern die Abgründe dahinter beleuchten?

Oder ist er selbst, gekränkt von der eigenen Cancel-Geschichte und völlig unverhältnismässig harten Angriffen wegen seiner Haltung zu Russiagate, vom Kulturkampf erfasst worden, wo man sich bedingungslos auf eine Seite zu stellen hat und deswegen gefangen ist in einer Einseitigkeit?

Wir steigen in den Jeep, und Taibbi, mit hochgezogenen Schultern, den Kopf mit einer russischen Fellmütze bedeckt, schaut auf der anderen Strassenseite Coco beim erneuten Scheissen zu, dem armen, alten, kranken Hund, um den er sich kümmert, und es hört an diesem Morgen nicht auf, in Strömen zu regnen, in Mountain Lakes, Taibbis Paradiesland.