Der tief in den Genen verankerte Seins-Auftrag des Appenzeller Bläss lautet: Mit Gekläffe und Beinarbeit, vor allem aber unter angemessener Verwendung des zu diesem Zweck konfigurierten Prachtgebisses dafür sorgen, dass jedes einzelne Viehtier spurt. Im Rahmen dieser klar definierten Mission zwickt der gutmeinende Hirte auch mal einen Menschen in die Wade, wenn der vor ihm vom rechten Weg abweichen will. Appenzell-Wanderer können ein schmerzliches Liedchen davon singen.
Bella, die Hündin meiner im Ausserrhodischen wohnenden Schwester, ist so ein Bläss. Wobei es bei Bella atypischerweise nur die ersten fünf, zehn Minuten der Bekanntschaft sind, in denen man die eigenen Bewegungen vorsichtig gestalten sollte. Danach ist das Gröbste überstanden und beginnen konstruktivere Eigenschaften zu wirken. Will heissen, Bella wird einen bald in Ruhe lassen, wenn man nur in der Kennenlernphase darauf geachtet hat, nicht die Arme unkontrolliert baumeln zu lassen: Sie könnte einen Kuhschwanz vermuten und reflexartig zuschnappen. Man sagt ja auch, dass Hunde nicht besonders gut sehen.
Bella und ich haben den heiklen Anfang problemlos hinter uns gebracht, sind gute Freunde geworden, ziehen immer wieder mal zusammen ins Gelände. Hier unsere schönste Route. Sie beginnt beim Bahnhof Altstätten im St. Galler Rheintal, wo ein Wegweiser Richtung Sommersberg zeigt. Bella und ich queren das schmucke Städtchen und das Einfamilienhausviertel am Hang. Nun geht es am linken Rand des Brendenbachs via Fideren zur Alp Chlosmeren. Schliesslich, nach gut drei Stunden aufwärts laufen, erreichen wir den aussichtsreichen Rücken des Sommersberges und sind also wieder im Appenzellerland. In der rustikalen Kleinwirtschaft ist Gelegenheit, zu essen und zu trinken. Hernach führt der Weg steil, doch nicht abschüssig hinab nach Gais.
In Gais besteigen wir die Appenzellerbahn. Bella schaut mich müd und glücklich an, könnte sie reden, würde sie mir sagen: Du, das war ein schöner Tag! – Finde ich auch. Nur ein Sörgelchen habe ich noch. Denn jetzt erblicke ich den Kondukteur und hoffe, dass er nicht zu schnell näher kommt. Und dass er die Hand nicht zu abrupt nach unseren Billetten ausstreckt. Wer weiss, was Bella sonst tut.
Höhendifferenz: 700 Meter auf-, 200 abwärts
«Sommersberg»: Montag und Dienstag Ruhetage
Karte: Wanderkarte als PDF