Dolores Miller ist die einzige Schwarze in vier Jahren Los Angeles, die mit mir redet. Unbefangen redet, als sei Hautfarbe kein Thema, das beim Smalltalk eine Rolle spielt, als sei Sympathie nur eine Frage von Sympathie. Wir reden über Smog und Schwarzenegger, den sie nicht wählen wird, obwohl er sie als Schauspieler amüsiert. Wir kennen uns nur vom Sehen, aber wenn wir uns sehen, reden wir ein wenig mehr, als höflich ist für Zufallsbekannte. Dolores ist gebildet und immer beneidenswert raffiniert gekleidet. Sie ist vielleicht fünfundfünfzig und fährt einen schwarzen Mercedes.
Ihr Sohn ist mein Vermieter, er wohnt mit seiner Familie im Stock unter mir. Es ist eines der wenigen gemischtrassigen Viertel der Stadt. Bis vor zwei Jahrzehnten wohnten nur Schwarze hier. Inzwischen sind die Mieten im benachbarten Beverly Hills so horrend geworden, dass immer mehr Weisse kommen. Bevor mein Vermieter meinen Vertrag unterzeichnete, unterhielt er sich mit meiner Schweizer Bankfrau am Telefon länger als mit mir in den folgenden vier Jahren zusammen. Er ist ein schüchterner Mann, aber das ist nicht der Punkt.
Der Punkt ist, dass Schwarze und Weisse hier nicht mehr miteinander zu tun haben wollen, als unbedingt erforderlich ist. Und dass sie einander, wenn ein Satzwechsel nicht unumgänglich ist, wie Luft behandeln. Bei den Kindergeburtstagen hinten im Garten, zu denen mich die Vermieter einladen, sind jeweils noch drei oder vier andere Weisse anwesend. Sie bedanken sich bei den Gastgebern, legen ihre Geschenke hin und unterhalten sich dann mit den anderen Weissen. Nicht aus Rassismus, sondern aus Befangenheit. Man kann nicht miteinander umgehen. Man traut sich nicht. Nur Dolores plaudert unbekümmert mit den Weissen.
Obwohl die Rassentrennung offiziell vor vierzig Jahren aufgehoben wurde, ist sie im Alltag nahezu komplett. Weisse und Schwarze essen in verschiedenen Lokalen, feiern getrennte Partys. Sie gehen höchstens gelegentlich zu den gleichen Konzerten und Sportveranstaltungen. Gemischte Paare sind seltener als Regen, die abschätzigen Blicke der Umwelt unverhohlen. Die Schranke, die der schwarze Autor Bruce Jacobs die Me-lanin-Mauer nennt, ist mit Händen zu greifen. Was sie eineinhalb Jahrhunderte nach Abschaffung der Sklaverei hochhält, ist eine irrationale Angst vor dem schwarzen Mann. Zwar ist es richtig, dass Schwarze proportional häufiger kriminell werden als Weisse. Dennoch ist die Chance, Opfer eines weissen Kriminellen zu werden, rein mengenmäsig ungleich höher. Aber es gibt keine instinktive Angst vor dem weissen Mann.
In seinem Buch «Race Manners» schildert Harvard-Absolvent Jacobs, ein schmaler Mann mit Brille, wie oft der Sitz neben ihm in der vollen U-Bahn, im Bus oder Zug leer bleibt. Er erzählt, wie jede weisse Frau im Lift die Handtasche fester unter den Ellbogen klemmt, sobald sie bemerkt, dass ein schwarzer Mann neben ihr steht. Er hört an Ampeln die Zentralverriegelungen der Autos klicken, weil er mit einem Freund am Strassenrand wartet, und das Klicken trifft ihn wie eine Ohrfeige. Das Buch ist für Weisse eine unangenehme Lektüre. Es befreit einen definitiv von der Illusion, kein Rassist zu sein. Nicht das mit dem Sitz in der U-Bahn. Aber der Reflex mit der Zentralverriegelung ist mir absolut geläufig. Ich hatte mir nicht einen einzigen Gedanken darüber gemacht.
Das Härteste, sagt Bruce Jacobs, sei der Versuch, als Schwarzer in Manhattan ein Taxi zu bekommen. «Es ist brutal demütigend. Ein leeres Taxi nach dem andern fährt vorbei. Links und rechts von dir halten sie und lassen Leute einsteigen. Bei dir machen sie einen Schwenker. Du bist korrekt gekleidet, aber unsichtbar. Der Versuch, als Schwarzer ein Taxi zu bekommen, ist ein Klassiker. Jeder hat dazu eine Geschichte zu erzählen.»