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Hildegard E. Keller, Professorin und Multimedia-Autorin

Leonard Cohen: So long. Ein Leben in Gesprächen. Hrsg.: Cornelia Künne und Daniel Kampa. Kampa-Verlag. 192 S., Fr. 33.90

«Ich liebe Interviews, ganz besonders, wenn die Befragten auf kluge, poetische Weise brüskieren und sich nie ganz fassen lassen. Selbst wenn sie nur Ausflüchte suchen, erfrischen ihre Antworten mein eigenes Denken. Leonard Cohen, Dichter und Songwriter von Gottes Gnaden, zählt zu den Menschen, deren Sätze und Songs ich nicht missen möchte. Als man ihn 1992 fragte, warum er vom Schreiben von Romanen und Gedichten zum Songwriting übergegangen sei, sagte er: ‹Ich habe nie den Unterschied gesehen.› Sechs Interviews zwischen 1988 und 2009 bietet der grossartige Band, den ich als Orakelbuch verwende. Wie jeden Morgen schlug ich das Buch auch heute irgendwo auf und las den Satz: ‹Man muss hartnäckig sein, um wahrgenommen zu werden. Und das will jeder, der etwas veröffentlicht [. . .] ich war nicht darauf aus, mir Feinde zu machen. Ich fand, dass das, was ich schrieb, schön war und dass man mit Schönheit die Menschen erreichte.›»

 

Bruno S. Frey, Wirtschaftswissenschaftler

Conradin Cramer: In die Politik gehen. Tipps für den Nachwuchs. NZZ Libro. 172 S., Fr. 24.–

«Endlich einmal sinnvolle und zugleich witzige Ratschläge eines Politikers für Leute, die in die Politik einsteigen wollen: Welche Partei ist für eine Karriere am günstigsten? Wie baut man Kontakte auf und macht sie fruchtbar? Wie sieht ein erfolgreicher öffentlicher Auftritt aus? Wie soll mit der E-Mail-Flut umgegangen werden? Diese und viele andere Ratschläge sind ebenso nützlich für Leute, die in eine Firma eintreten oder eine akademische Karriere verfolgen wollen. Auch dort sind diese nicht moralisierenden, sondern praktisch orientierten und ironischen Ratschläge wichtig. Conradin Cramer spricht aus eigener Erfahrung; er ist ein junger Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt.»

 

Judith Vitale, Privatdozentin für Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich

Alice Zeniter: Die Kunst, zu verlieren. Übersetzt von Hainer Kober. Piper. 560 S., Fr. 18.90

«Mein Buch des Jahres handelt von der Frage nach kultureller Identität, von Entwurzelung und generationeller Kluft vor der Kulisse algerisch-französischer Geschichte. Bisweilen wirkt gerade diese Kulisse etwas gekünstelt: der Napoleon-Feldzug, die kabylische Bergidylle, vorgestellt im Stil französischer Feldforschung, und die Augenzeugenschaft des Terrors 1956 in Algier. Man fragt sich, ob die Autorin als Nachfahrin oder als studierte normalienne schreibt.

Dennoch ist die Familiensaga über drei Generationen fesselnd, tragisch und zugleich humorvoll. Der Grossvater, stolz auf seinen Einsatz an der Front für Frankreich im Zweiten Weltkrieg, wird von heute auf morgen zum harki (Kollaborateur) erklärt. Es folgt die Flucht aus Algerien über das Meer nach Frankreich, das Leben in den Auffanglagern und den Betonwüsten der Sozialwohnungen sowie der Ausbruch des Sohns aus dem engen Migrantenumfeld. Die Erzählung endet mit dem allmählichen Verstehen der dritten Generation. Die Kunst, zu verlieren, erscheint als Grundlage des Glücks.»

«Erledige die Dinge, vor denen du dich am meisten fürchtest, zuerst. Du wirst dich wie ein Rockstar fühlen.»

Silvia Blocher

Daniel Mendelsohn: Eine Odyssee: Mein Vater, ein Epos und ich. Siedler. 352 S., Fr. 41.90

«Odyssee! Schon etliche Male hatte ich vergeblich versucht, das seit Jahrhunderten berühmte Werk von Homer wertzuschätzen, zuletzt gar auf Berndeutsch. So kam meine Begeisterung für das amerikanische Buch völlig überraschend. Der Altphilologe Daniel Mendelsohn hält ein Seminar am College. Unerwartet nimmt daran auch sein Vater, ein emeritierter Professor für Mathematik, teil. Es eröffnen sich ganz neue Blickwinkel: die Teenager-Studenten, der alte Mann, die Hinweise des Professors auf gegenwärtige Geschehnisse. Die Reisen und Erlebnisse von Odysseus werden lebendig! Eine Ahnung von der Poesie des Urtextes vermitteln einzelne vom Autor übersetzte Texte. Schliesslich unternimmt Mendelsohn mit seinem neu erkannten Vater eine Seereise auf Odysseus’ Spuren, wobei Vorträge, Gespräche mit Mitreisenden, die geografische Wirklichkeit das Epos im Epos nochmals neu beleuchten. Ein faszinierendes Erlebnis!»

 

Anton Beck, Kulturredaktor Weltwoche

Simon Strauss: Sieben Nächte. Blumenbar. 144 S., Fr. 23.90

«Ich hatte Simon Strauss’ Roman ‹Sieben Nächte› schon vor Jahren einmal gelesen, doch ich verstand ihn erst, als ich ihn dieses Jahr erneut las. Womöglich, weil ich mich mittlerweile in einer ähnlichen Situation befinde. Der Erzähler, beängstigt von den Verpflichtungen und der Gefühlskälte des Erwachsenwerdens und dem Leben, das dies mit sich bringt, bricht noch einmal aus, erlebt in sieben Nächte die sieben Todsünden, ehe er sich der systematischen Arbeitsweltfrömmigkeit des 21. Jahrhunderts hingibt. Wer das liest, wer die langsamen, monotonen Abende im Pendlerzug und die unzähligen Schreckensszenarien, die so hoffentlich nie eintreten werden, auf sich zukommen sieht, versteht irgendwann, dass nicht alles auf der anderen, auf der erwachsenen Seite schlecht ist. Aber auch, dass es nie mehr so sein wird wie davor. Darin liegt eine gewisse Traurigkeit, wie in jeder Schwellenüberschreitung. Wer lange genug wandert, findet jedoch auch hier Trost, Akzeptanz, vielleicht, wer könnte es schon mit Gewissheit bestreiten, sogar Geborgenheit.»

 

Walter Thurnherr, Bundeskanzler der Schweizerischen Eidgenossenschaft

Harry Cliff: How to Make an Apple Pie from Scratch. In Search of the Recipe for Our Universe. Picador. 400 S., Fr. 13.80

«Das CERN ist nicht nur Standort einer der weltweit grössten, teuersten, präzisesten und raffiniertesten Maschinen überhaupt, sondern auch eine regelrechte Brutstätte für kreative Ideen und internationale Zusammenarbeit. Kaum erstaunlich, dass der junge britische Physiker Harry Cliff, Forscher am Large Hadron Collider, Genf, und in Cambridge, ein wunderbares Buch über Teilchenphysik und Kosmologie geschrieben hat. Es erklärt auf einfache und oft witzige Weise, wie man die Elementarteilchen entdeckt hat, wo und wie die Atome entstanden sind (wer weiss schon, dass das Gold vom Ehering aus der Kollision zweier Neutronensterne stammt), was es mit den Neutrinos, den Quarks und dem Higgs-Boson tatsächlich auf sich hat und was das alles mit dem Big Bang und einem Apfelkuchen zu tun hat. Unbedingt lesen oder verschenken. Passt unter jeden Christbaum.»

 

Steffi Buchli, Chefredaktorin Sport, Blick-Gruppe

Rachel Hoffman: Unf*ck your Habitat. You’re better than your Mess. Pan Macmillan. 256 S., Fr. 13.50

«Ich wäre ja schon lange gerne Minimalistin. Uns steht ein Umzug bevor. Da befasst man sich mit dem Fakt, dass man zu viele Dinge besitzt. Ich habe es schon mit der japanischen Falt- und Aufräumkönigin Marie Kondo versucht. Nicht mein Ding. Rachel Hoffman mit ihrem Buch, dessen Titel sich frei mit ‹Kümmere dich um dein Zuhause› übersetzt werden kann, trifft meinen Nerv schon eher. So brachial wie der Buchtitel ist auch dessen Inhalt. Man erhält Handlungsempfehlungen mit direkter Ansprache: ‹Hab dich nicht so, mach einfach, gopferteckel!› Das Grundkonzept ist simpel: 20/10. Heisst: zwanzig Minuten aufräumen, zehn Minuten Pause. Als Gegenentwurf zum üblichen Verhalten: der grosse Aufräummarathon, wenn’s richtig schlimm ist. Danach wird wieder nichts gemacht, bis es erneut so richtig schlimm ist. Dranneblibe ist, einfach gesagt, das Rezept von Rachel Hoffman in ‹Unf*ck your Habitat›. Und übrigens, die Tipps, die aufs Aufräumen bezogen sind, lassen sich locker aufs Leben umlegen: ‹Erledige die Dinge, vor denen du dich am meisten fürchtest, zuerst. Du wirst dich wie ein Rockstar fühlen.› Wann stimmt das schon nicht? In dem Sinn: Packen wir’s an!»

 

Benjamin Bögli, Redaktor Kultur und Gesellschaft, Weltwoche

Irwin Winkler: A Life in Movies. Abrams & Chronicle Books. 304 S., Fr. 36.90

«Kurz vor seinem 90. Geburtstag, den der legendäre Filmproduzent Irwin Winkler im Mai feierte, veröffentlichte er seine Memoiren. In seinem ‹Life in Movies› prägte er als Produzent die Entstehungsgeschichte von ein paar der interessantesten Filme der letzten Jahrzehnte. Allein schon, wie er ‹Rocky› auf die Leinwand brachte, wäre ein ganzes Buch wert. Sein Fazit: ‹Wenn aus einer Million Filme einer wie ,Rocky‘ fast eine Milliarde Dollar einspielen kann, dann ist alles möglich – und genau eine solche Geschichte erzählt auch ,Rocky‘.› Winkler trat Mitte der sechziger Jahre ins Geschäft ein. Der leichtfüssige Hollywood-Geist mit all seinem Glamour wich in dieser Zeit immer mehr dem subjektiveren und politischeren Betroffenheitskino, genannt New Hollywood. Winkler befand sich irgendwo dazwischen, was das Buch lebendig macht. Hin und wieder kann er es aber nicht lassen, sich klar zu positionieren. Beispielsweise hätte er die Möglichkeit gehabt, ‹Basic Instinct› zu verfilmen. Nachdem er den Rohschnitt gesehen hatte, ging er duschen, weil er sich ‹schmutzig fühlte›. Er lehnte eine Zusammenarbeit ab und war später froh, dass sein Name nicht im Abspann auftauchte.» ›››