In dieser Ausgabe fordert der frühere Bundespräsident und Finanzminister Ueli Maurer eine ehrliche Aufarbeitung und Analyse der Corona-Zeit, der politischen Massnahmen und der Verfahren und Diskussionen, die ihnen vorausgingen. Zweck der Übung wäre nicht Abrechnung oder rückwirkende Besserwisserei. Es brauche Aufklärung, damit wir Lehren daraus ziehen, um für die Zukunft besser gerüstet zu sein.

Mir scheint wichtig, einem Thema besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Bei Corona ging es letztlich um Wahrheit und Demokratie. Die Behörden behaupteten, ihre Entscheidungen auf ein felsenfestes Fundament der Wissenschaft zu stützen. Mit diesem Argument untermauerten sie nicht nur massive Eingriffe in die Grundrechte. Sie brachten es auch in Anschlag, um Kritiker in Misskredit, zum Schweigen zu bringen.

Schon damals brachte es Bundesrat Ueli Maurer mutig aufs Tapet. In Erinnerung bleibt sein Auftritt an jener SVP-Delegiertenversammlung in Bern, die während des Lockdowns unter strengsten Hygieneauflagen ohne Publikum vor Kameras durchgeführt werden musste. Maurer sprach vielen aus der Seele, als er sagte, manche Schweizer trauten sich nicht mehr, ihre Meinung zu sagen, zu intolerant seien inzwischen Medien und Behörden.

Nun sind in Deutschland Dokumente erschienen, die deutlich machen, was gerade die Skeptiker der Corona-Massnahmen stets betont haben: dass nämlich die politischen Entscheidungen weit willkürlicher und unwissenschaftlicher getroffen worden seien, als die Behörden glauben machten. Nicht die Wahrheit, sondern der politische Wille der Regierenden gab den Ausschlag. Das war in der Schweiz kaum anders.

Wir würden es gerne herausfinden. Jetzt gratulieren sich Behörden und Politiker dafür, es so schlecht nicht gemacht zu haben, sicher besser als andere. Das mag sein – oder auch nicht. Jedenfalls wird die Frage brisant, ob die Schweiz den Pandemievertrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterzeichnen sollte – der nationale Sonderwege wenn nicht unterbinden, so doch einschränken, international harmonisieren will.

Demokratien sind Diktaturen überlegen, weil sie offene Gesellschaften und den freien Fluss der Informationen begünstigen. Die Demokratie ist ein ergebnisoffener Prozess von Diskussionen und Entscheidungen. Nicht die Intelligenz und Entschlusskraft eines Einzelnen, so brillant er auch immer sein mag, steht im Zentrum. Die Demokratie setzt auf die Schwarmintelligenz der vielen, auf die anarchische Vielfalt der Bevölkerung.

Demokratien werden zu Despotien, wenn die Behörden anfangen, ihre Beschlüsse auf angebliche «Wahrheiten» zu stützen, auf «unhinterfragbare» Gewissheiten. Die Neigung auch unserer Politiker, sich mit der Beschwörung «unbezweifelbarer», «wissenschaftlicher» Wahrheiten aus dem demokratischen Prozess von Rede und Gegenrede zu verabschieden, ist gefährlich. Und sie ist eindeutig diktatorisch.

In der Demokratie gilt: Mehrheit vor Wahrheit. Niemand, auch kein Nobelpreisträger, soll durchregieren dürfen. Die Demokratie ist die Staatsform des Misstrauens der Bürger gegenüber den Regierenden. Sie ist die Staatsform des Widerspruchs. Die Bürger sind der Chef und niemals die Politiker. Oder die Professoren. Oder die Richter. Machen die Behörden dem Volk das Neinsagen schwer, ist die Demokratie in Gefahr.

Die neue Allianz zwischen Wissenschaft und Macht ersetzt das alte Bündnis zwischen Krone und Kirche. Früher hiess es «Gotteslästerung», wenn die Untertanen die Weisheit der Monarchen hinterfragten. Heute ist man ein «Leugner» oder «Feind der Wissenschaft», also ein Gesinnungsverbrecher oder Dummkopf, wenn man es wagt, sein demokratisches Grundrecht auf Einspruch auszuüben.

Verschärft hat sich der Machtmissbrauch von oben durch den Klima-Alarmismus der Universitäten. Prominente Professoren treten seither wie Propheten auf, herrisch, die absolute Wahrheit verkündend. Corona brachte dann den seuchengetriebenen Ausnahmezustand, die weitgehende Ausserkraftsetzung unserer Demokratie im Zeichen von täglichen Todeszahltabellen, die jeden Widerspruch im Ansatz betäuben sollten.

Mehrheit vor Wahrheit heisst mit anderen Worten: Wer die Wahrheit zu besitzen behauptet, betrügt. Denn die Wahrheit ist nie endgültiges Resultat, sie ist eine ewige Suche, ein niemals endender Prozess von Versuch und Irrtum, und die Demokratie ist die bis heute einzige bekannte Staatsform, die diesen Prozess der ständigen Wahrheitsfindung institutionell garantiert. Leidet der Prozess, leidet die Wahrheit, leidet die Demokratie.

Das giftige Erbe der Corona-Zeit ist alles andere als bewältigt. Es ist noch nicht einmal verstanden. Die Politik allerdings ist auf den Geschmack gekommen – und die Professoren sind es auch, ebenso die mit der Obrigkeit synchron schwimmenden Medien. Nach Corona ist es jetzt der Krieg in der Ukraine. Abweichende Meinungen geraten unter Verdacht. Es wird so getan, als gebe es nur eine legitime Sicht. Meinungseinfalt plättet Meinungsvielfalt.

Das ist natürlich Unsinn, Lug und Betrug. Erneut sind es Professoren und Dozenten, die sich als besonders eifrige Einpeitscher betätigen. Ihre private Meinung sei ihnen unbenommen, doch längst treten sie, aufmerksamkeitstrunken, wie Apostel auf, Schamanen der Wahrheit, die sich dann die Politik – jetzt wird es gefährlich – auch noch zu eigen macht in ihrer ganzen pompösen Einseitigkeit. Auf Kosten der Neutralität und damit der Sicherheit der Schweiz.

Sie alle haben zu viel gekostet vom Zaubertrank der Macht. Die Durchgreifer- und Alleswisser-Allüre aus Corona-Zeiten ist noch unter uns. Mehr denn je. Auch deshalb wäre eine kritische Aufarbeitung heilsam – und notwendig. Sie würde den Behörden und den regierungsnahen Kreisen, den Universitäten und den Journalisten, wieder vor Augen führen, wer hier der Chef ist. Eine Aufarbeitung brächte mehr Demut, mehr Vielfalt, mehr Demokratie zurück.