Wir Frauen wurden belogen. Von der westlichen Gesellschaft, die uns weismachen will, wir könnten alles sein, was wir wollen, und von der Filmindustrie. Vor allem von der. Nun ist das Leben kein Disney-Film, aber wir wachsen mit den Versprechungen dieser Filme auf. Und versprochen wurde uns vor allem, dass Männer auf aussergewöhnlich tolle Frauen stehen.

Aber die Herren der Schöpfung funktionieren nicht wie Frauen. Frauen wollen, wenn sie die Wahl haben, meist den tollsten Typen. Wenn sie sich auf einer Dating-App zwischen dem gutaussehenden Spitzenverdiener und dem bodenständigen, mittelmässig attraktiven Handwerker entscheiden müssten, würden die allermeisten von ihnen den Spitzenverdiener mit guter Optik nehmen. Der Grossteil der Frauen ist hypergam. Heisst, sie orientieren sich nach oben. Männer sind es nicht. Und da fängt das Dilemma auch schon an.

Denn, was einen Mann in der Regel attraktiv für Frauen macht, macht Frauen nicht automatisch auch attraktiv für Männer. Eine erfolgreiche, hübsche Frau wirkt nicht im selben Masse anziehend wie ein erfolgreicher, hübscher Mann. Es gilt die Regel: immer nur so viel Frau, wie das zerbrechliche männliche Ego verträgt. Sie darf überdurchschnittlich hübsch sein, aber bitte nicht zu intelligent. Sie darf intelligent sein, aber nicht zu hübsch. Und wenn sie beides ist, dann darf sie zumindest nicht mehr verdienen. Wichtig ist, dass sich der Mann auf irgendeiner dieser Ebenen insgeheim erhaben fühlt, sonst geht die Rechnung für eine dauerhafte Beziehung in der Regel nicht auf.

Ja, wir Frauen können heute alles sein, was wir wollen, aber über die Konsequenzen spricht niemand.

Nahezu mein gesamtes Erwachsenenleben höre ich nun schon die Frage, warum denn eine Frau wie ich single sei. Die Männer müssten doch Schlange stehen. Und tatsächlich habe ich mich auch lange gefragt, was eigentlich das Problem ist. Warum ich zum Beispiel so gut wie nie von Männern angesprochen werde oder warum meine Beziehungen nie lange hielten. Weshalb andere Frauen, die ich für weitaus gewöhnlicher hielt, und die ihre Partner nicht selten rumkommandierten oder sogar betrogen, immer die besten Männer abbekamen.

Heute weiss ich, dass es nicht darum geht, ob Melanie ihren Andreas herumkommandiert und er wie ein devoter Schosshund hinter ihr herdackelt. Am Ende geht es immer nur darum, dass Andreas sich trotz dieser Dinge immer noch männlich genug fühlt, weil er entweder mehr verdient, den höheren Bildungsabschluss hat oder sich auf einer anderen Ebene Melanie überlegen fühlen kann. Entscheidend ist nicht, welches Machtgefälle in der Beziehung tatsächlich vorherrscht, oder wer «die Hosen anhat». Es geht um die wahrgenommene Überlegenheit. Darum, dass Melanie nicht am Ego von Andreas kratzt.

In Deutschland, so scheint mir das oft, ist das noch viel stärker ausgeprägt als in anderen Ländern. Deshalb darf man sich hier als erfolgreiche, attraktive Frau auch ständig blöde Sprüche von Männern anhören, die es nicht ertragen, wenn sie sich einer Frau nicht gewachsen fühlen, und sie so auf ihr Niveau ziehen wollen.

 

Ja, wir Frauen können heute alles sein, was wir wollen, aber über die Konsequenzen spricht niemand. Die erfolgreichsten, attraktivsten Frauen in meinem Umfeld sind allesamt single. Nicht wenige schaffen sich irgendwann Katzen und Hunde statt Kinder an. Wir sind stolz auf das, was wir erreicht haben, aber wir fühlen uns vom Leben betrogen. Ständig haben wir das Gefühl, wir müssten uns zwischen unserem Anspruch an uns selbst, Karriere und Selbständigkeit und einem glücklichen Privatleben entscheiden. Heutige Männer ätzen viel über sogenannte gold digger, also Frauen, die sich aushalten lassen, aber die Wahrheit ist, dass die meisten von ihnen eine wirklich selbständige und finanziell unabhängige Frau auch nicht wollen, weil sie sich dann nicht «gebraucht» und ihrer Rolle des Ernährers beraubt fühlen.

Aber Männlichkeit definiert sich nicht durch einen Job und guten Verdienst. Männlichkeit definiert sich durch maskuline Handlungen. Durch Beschützereigenschaften, Loyalität und respektvollen Umgang. Charmantes Auftreten, gutes Benehmen – all das kostet kein Geld und strahlt hundert Mal mehr Männlichkeit aus als ein dickes Portemonnaie.

Meine Handtasche kaufe ich mir selbst. Das heisst nicht, dass ich am Ende des Tages nicht von meinem Partner in den Arm genommen werden will. Es wäre schön, wenn Männer realisierten, was wahre Männlichkeit ist. Denn je maskuliner (im positiven Sinne) der Mann, desto femininer die Frau.