Crieff, Perthshire

Seinen eigentlichen Anfang nimmt das Abenteuer an der Bar, als der Bartender mit sanfter Hand den Korken von der kristallenen Flasche dreht. Ganz langsam, so wie alles hier ganz langsam passiert.

Bereits vor dem Eingang wurde man entschleunigt durch das Rauschen des Flüsschens Turret, welches das Seelenkostüm sanft glättet und auf das Reich von Glenturret – «Land des rauschenden Baches» – einstimmt. In einem Akt von mystischer Andacht hat man die riesigen Gärbottiche im «Tun Room» bewundert, man hat die messingene Brennblase bestaunt, die sich ausnimmt wie überdimensionales, blitzblank poliertes Druidengeschirr. Doch all das war bloss das Präludium zu dem, was dann kommt.

Im bauchigen Glas wird der honigbraune «Triple Wood 2022 Single Malt» kredenzt. Da Whiskyaroma zu beschreiben reifer Erfahrung bedarf – erst recht, wenn es sich «um den besten Single Malt der Welt»* handelt –, lassen wir die Jury sprechen: «Ein türkischer Sommergenuss mit Aromen von süssen Rosinen, Marmelade und Orangenblüten und einem reichhaltigen Fruchtbouqet am Gaumen, mit einem Hauch von braunem Zucker und Honig und einer cremigen Toffeetextur im Abgang.»

Dem ist nichts beizufügen. Nichts, ausser dem Bonmot von George Bernard Shaw, der konstatierte, ein edler Whisky sei «wie flüssiges Sonnenlicht». Und die Sonne scheint jetzt gerade besonders warm, hier, in der ältesten aktiven Brennerei Schottlands.

Whisky und Schottland. Das fügt sich gemäss Klischee zusammen wie die Schweiz und Uhren oder Schokolade. Daher erstaunt es wenig, dass es ein Schotte war, der als Erfinder des Whiskys in die Annalen einging. John Cor, Mönch im Kloster Lindores, bekommt 1494 Gerstenmalz und macht daraus Malzwhisky. So ist es verbrieft in den «Exchequer Rolls of Scotland».

George Bernard Shaw konstatierte, ein edler Whisky sei «wie flüssiges Sonnenlicht».Allerdings waren bereits die Kelten eifrige Brauer und Konsumenten von uisge beatha, oder «Lebenswasser», wie sie den feurigen, bernsteinfarbenen Nektar nannten, den wir heute als Scotch Whisky bezeichnen. Sie behaupteten, dass Whisky medizinische Kräfte besitze, die Koliken, Pocken und viele andere häufige Krankheiten und Beschwerden kurierten. Der Glaube an die heilenden Kräfte des Whiskys hat sich hartnäckig gehalten. Churchill, der sich seinen ersten Whisky vor dem Aufstehen im Bett kredenzte, war mit Leib und Seele davon überzeugt und liess sich vom Leibarzt attestieren, er «müsse» Whisky trinken – dem leiblichen Wohlbefinden zuliebe.

War Whisky bis ins 18. Jahrhundert noch das Lieblingsgetränk der unteren Klassen gewesen, fand allmählich auch die gehobene Gesellschaft Gefallen am braunen Lebenswasser. Dass ihr Land allerdings zur Whisky-Hochburg wurde, die den Weltmarkt dominiert, verdanken die Schotten einem Schädling: 1863 vernichtet die Reblaus die Weinberge auf dem europäischen Kontinent. Schottische Whiskyhändler wittern das dicke Geschäft. Grossproduzenten wie die Walkers aus Kilmarnock oder die Dewars (White Label) und John Buchanan (Black & White) erschaffen bis heute bekannte Whiskymarken. Der Blended Scotch wird zum begehrtesten Getränk der Welt.

Letzter handbetriebener Maischbottich

Heute ist der Glenturret substanzieller Bestandteil von Schottlands beliebtestem Blended Scotch: dem «Famous Grouse». Es ist indessen der Single Malt (hergestellt in einer einzigen Brennerei), mit dem Glenturret nach der Krone greift. Die Brennerei ist seit 1763 in Betrieb. «Mit der Hand und mit dem Herzen» lautet das Ethos von Glenturret, das so hell leuchtet wie sein Whisky selbst. Für den Produktionsprozess – vom Mälzen der Gerste über das Maischen, das Brennen bis zur Abfüllung in Fässer – kombiniere man «das Beste aus der Vergangenheit mit dem Neuen», erklärt Geschäftsführer John Laurie. «Das Team der Brennerei verwendet nach wie vor unsere 120 Jahre alte Porteus-Mühle und kontrolliert das Mahlen der Gerste mit blossem Auge.»

In der Glenturret-Destillerie ist der letzte noch von Hand betriebene Maischbottich Schottlands in Betrieb, in dem das Maischen mit einem hölzernen Rührwerk erfolgt. Auf diese Weise lässt sich die Maische besser kontrollieren, was wiederum zu mehr Zucker und damit zu mehr Alkohol führt.

Überall in Glenturret steht der Mensch, nicht die Maschine, im Zentrum. Ob bei den hölzernen washback tanks – wo die Hefe ihre Magie entfaltet – oder bei den Destillierapparaten: Man arbeitet mit sorgfältiger, manueller Kontrolle. «Aufgrund unserer generationenalten Erfahrung wissen wir, wann die Spirituose ihr optimales Stadium erreicht hat und bereit ist, Single Malt zu werden», so Laurie.

Ritterschlag durch William und Kate

Seit März 2019 ist Glenturret im Besitz des Schweizer Unternehmers Hansjörg Wyss und der Lalique-Gruppe mit dem Schweizer Präsidenten und Mehrheitsaktionär Silvio Denz. Laurie spricht von «grossem Glück». Von Anfang an seien die beiden Schweizer felsenfest überzeugt gewesen, «dass die schottischen Traditionen und das Erbe respektiert werden sollten. Und sie haben klug in den Standort investiert, indem sie unser Feinschmeckerrestaurant hinzugefügt haben, das jetzt einen Michelin-Stern ausweist.»

Der Glaube an die heilenden Kräfte des Whiskys hat sich hartnäckig gehalten.

Das Restaurant mit dreissig Plätzen befindet sich im Herzen der Destillerie – der ersten in Schottland mit Gourmetküche. Und gleich nebenan lässt sich in der Lalique-Boutique ausgewählte Handwerkskunst der von René Lalique 1888 gegründeten Luxusmarke erstehen. Wem das nötige Kleingeld dazu fehlt, kauft sich einfach einen Glenturret – egal, welchen Alters, sie sind alle in Lalique-Flaschen abgefüllt.

Den Ritterschlag, sozusagen, erhielt Glenturret vor ein paar Jahren, als Prinz William und Kate der Destillerie einen Besuch abstatteten – und eigenhändig eine Flasche Whisky abfüllten. Ein begehrtes Stück gewiss, um das Liebhaber um die Wette bieten? Sie stehe «leider nicht zum Verkauf», winkt Laurie ab. «Sie haben sie selber mit nach Hause genommen.»

* Der «Glenturret Triple Wood» wurde bei der International Wine & Spirit Competition (IWSC) 2023 zum weltweit besten Single Malt Scotch Whisky gekürt und erhielt eine Gold-Outstanding-Medaille.