Weltwoche: André Kirchhofer, die Transportbranche steht vor grossen Herausforderungen. Aber gehen wir der Reihe nach: Was beschäftigt Sie und Ihre Mitglieder zurzeit am meisten?
André Kirchhofer: Es gibt zwei Ebenen: Die eine ist, was unsere Mitglieder aus dem -Inneren heraus beschäftigt – dazu gehören die LSVA und der Fachkräftemangel. Die andere Ebene sind Herausforderungen, die von aussen an die Branche herangetragen werden.
Weltwoche: Fangen wir mit dem an, was von aussen kommt.
Kirchhofer: Wir müssen uns mit dem Thema «Green Logistics» beschäftigen. Mit der Annahme des Klima- und Innovationsgesetzes im Jahr 2023 hat das Volk entschieden, dass bei den CO2-Emissionen das Ziel netto null ist. Diesen Volksauftrag anerkennen und respektieren wir. Das heisst: Unsere Aufgabe ist es, die Verbandsmitglieder für den nötigen Wandel zu sensibilisieren und sie in ihren Anstrengungen zu unterstützen. Wir müssen als Branche fit bleiben. Wer das nicht tut, wird vom Markt verschwinden. Als Verband ist es uns ein Anliegen, diese heute sehr heterogene, von KMU und Familienunternehmen geprägte, systemrelevante Branche zu erhalten.
Weltwoche: Wie kommt das Thema «Green Logistics» an?
Kirchhofer: Die Branche ist seit Jahren sehr innovativ unterwegs. Die Flotten wurden mehrfach erneuert. Heute werden rund 98 Prozent aller Tonnenkilometer mit Fahrzeugen der neuesten Generation zurückgelegt. Das hat die Schadstoffemissionen auf fast null reduziert. Deshalb besteht jetzt eine gewisse, durchaus nachvollziehbare Skepsis, dass das Strassentransportgewerbe trotzdem noch immer in den Dreck gezogen wird. Insgesamt ist die Branche aber bereit und anerkennt auch die Notwendigkeit, die Transportdienstleistungen, die zugunsten der Wirtschaft und der Bevölkerung erfolgen, so nachhaltig wie möglich zu gestalten.
Weltwoche: Was folgt als Konsequenz aus diesen Vorgaben?
Kirchhofer: Letztlich geht es um betriebswirtschaftliche Logik. Ein voll ausgerüstetes Elektrofahrzeug kostet heute zweieinhalbmal so viel wie ein Dieselfahrzeug. Der Grossteil der Branche kann sich das kaum leisten. Die meisten unserer Mitglieder haben maximal zehn Fahrzeuge, das sind kleine, familiengeführte Unternehmen mit oft geringer Kapitaldecke. Es geht aber auch, zweitens, um nicht vorhandene Ladestationen oder nur schon Stromzuleitungen. Und drittens reden wir über die Verfügbarkeit von Energie. Ganz generell lässt sich sagen: Die Ökologie folgt der Ökonomie, es muss wirtschaftlich aufgehen!
Weltwoche: Was ist die Antriebsform der -Zukunft?
Kirchhofer: Es ist nicht klar, auf welche Energiequelle man setzen soll. Es reden zwar alle vom Elektroantrieb. Aber wenn die AKW wie geplant abgeschaltet werden und wir wieder in eine Strommangellage geraten, ist das keine gute Aussicht. Wasserstoff ist sehr teuer und kann noch nicht in grossen Mengen ökologisch hergestellt werden. Kurz: Das Risiko von Fehlinvestitionen ist hoch, weil es in Bezug auf Energie und Technologie kaum Planungssicherheit gibt. Wir setzen auf Technologieneutralität. Man kann heute nicht sagen, dass der Elektromobilität die Zukunft gehört. Biodiesel, synthetischer Biodiesel (HVO) oder Wasserstoff muss man im Hinterkopf behalten. Aber das Rennen ist nicht entschieden, und das macht es so schwierig, die Zukunft zu planen.
Weltwoche: Ist es ein Argument, dass man den Wandel rechtzeitig mitmachen sollte?
Kirchhofer: Je länger man wartet, desto grösser ist die Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Als Verband müssen wir aber vor allem die Rahmenbedingungen mitgestalten. Man könnte zum Beispiel die LSVA für elektrifizierte Fahrzeuge senken oder eine Anschubfinanzierung ermöglichen. Die LSVA wurde ursprünglich eingeführt, um die externen Kosten des Schwerverkehrs zu decken. Heute werden die Einnahmen von rund 1,6 Milliarden Franken jährlich für die Bahn – und zum grössten Teil nicht für den Gütertransport – verwendet, oder sie fliessen zu den Kantonen ab. Wenn man den Schwerverkehr grüner machen möchte, führt der direkteste Weg dazu über eine Finanzierungshilfe für CO2-freie Fahrzeuge, die man aus den LSVA-Einnahmen bestreiten könnte. Man kann nicht mit einem Fingerschnippen die Flotten einfach umstellen. Es braucht dazu schon die richtigen Massnahmen.
Weltwoche: Was ist gegen den eingangs erwähnten Fachkräftemangel zu tun?
Kirchhofer: Zunächst stellen wir fest, dass heute sehr viel mehr Chauffeure in Pension gehen, als junge Leute nachkommen. Das kann man anhand der Statistik der CZV-Ausweise sehen. Dieser Fachkräftemangel akzentuiert sich und bedeutet, dass mehr ausländisches Personal angestellt werden muss. Es gibt einzelne Unternehmen, die mit attraktiven Arbeitszeiten experimentieren. Aber die Kundenanforderungen und das Business sind knallhart, es verlangt -Effizienz und Einsatz. Wir stellen aber auch fest, dass das Lohnniveau in den letzten zehn Jahren gestiegen ist. Dafür hat der Markt gesorgt, es hat dafür nicht einmal einen Gesamtarbeitsvertrag gebraucht. Wahr ist aber auch, dass die Transportbranche immer noch zu Unrecht ein schlechtes Image hat. Dabei ist es ein Beruf mit Zukunft, die Nachfrage nach Transport-dienstleistungen nimmt zu, Lastwagen werden immer benötigt.
Weltwoche: Woher kommt das schlechte Image der Branche? Diese Dienstleistung wird ja immer mehr nachgefragt. Haben wir es mit kognitiver Dissonanz zu tun?
Kirchhofer: Diese Frage ist nur abstrakt zu beantworten. Niemand macht sich Gedanken darüber, wie Waren zu ihm kommen. Das Besondere an dieser Branche ist, dass jener, der vom Lastwagen profitiert, nicht im Fahrzeug sitzt. Den Zug oder das Auto, um andere Verkehrsmittel zu nennen, kennt man hingegen aus eigener Anschauung. Vielleicht führt das zu dieser verschobenen Wahrnehmung.
Weltwoche: Vor der Abstimmung über die Engpassbeseitigung auf den Nationalstrassen wird viel über Staustunden gesprochen. Was bedeutet Stau für einen Transportunternehmer?
Kirchhofer: Das ist relativ krass. Ich war vergangene Woche auf einer Tour mit einem Schweizer Transportunternehmer nach -Neapel und zurück. Ein Chauffeur darf pro Tag neun Stunden am Lenkrad sitzen, zweimal wöchentlich sind es zehn Stunden. Wenn die vorbei sind, sind sie vorbei. Nehmen wir an, ein -Fahrer mit noch vierzig Minuten Restlenkzeit fährt von Bern nach Rothrist in den Kanton Aargau zurück ins Depot, kommt aber beim Grauholz in einen Stau. Ist die Lenkzeit abgelaufen, muss er auf die nächste Raststätte. Ein neuer -Chauffeur kommt mit dem Auto dahin, die beiden -tauschen die Fahrzeuge, damit es weitergeht. Das ist ineffizient, teuer und auch nicht im Sinne des Auftraggebers, der seine bestellte Ware pünktlich in Empfang nehmen will. Heute braucht es mehr Fahrzeuge als noch vor fünf Jahren, weil die Chauffeure nicht mehr die gleiche Kilometerleistung schaffen können.
Weltwoche: Das ist ja auch ökologischer -Unsinn.
Kirchhofer: Natürlich. Und hier sind wir gleich bei einem anderen Ärgernis, wenn es um die Berechnung der ökologischen Folgen oder externen Kosten des Verkehrs geht. Dabei wird nie der volkswirtschaftliche Nutzen gegenübergestellt, den etwa die Transportbranche hat. Dabei ist deren Wertschöpfung enorm.
Weltwoche: Der Technologiewandel im Verkehr ist im Gange, wie verändert die Elektrifi-zierung das Transportgeschäft?
Kirchhofer: Eine grosse Herausforderung ist die Lagerfähigkeit der Energie. Diesel können Sie in Fahrzeugtanks, beim Lieferanten oder beim Fuhrhalter auf dem Gelände lagern. Strom ist heute praktisch nicht lagerfähig. Wenn nur noch E-Fahrzeuge unterwegs sind und plötzlich Strommangel herrscht, ist sofort die Versorgungssicherheit gefährdet. Mit Diesel hingegen können Sie noch Tage weiterfahren. Auf unserer Tour nach Neapel und zurück hatten wir genügend Treibstoff dabei, um nie tanken zu müssen. Durch die Ladezeiten und Pausen wird in der Logistik zudem die Planbarkeit eingeschränkt.
André Kirchhofer, 47, arbeitet seit siebzehn Jahren beim Schweizerischen Nutzfahrzeugverband Astag und ist seit 2015 als Vizedirektor für Politik, -Transport, -Fachthemen und Kommunikation -verantwortlich. - Die Astag -beschäftig knapp 65 Mitarbeiter, die -meisten davon sind in der Aus- und Weiterbildung für -Chauffeure tätig.