Sie schlagen immer samstags zu. Es ist ein Phänomen, und vielleicht gehört es ja zum guten Ton in der Schweiz, mit dem Bürsten, Schäumen und Polieren seines Wagens dafür zu sorgen, dass an dem Tag die Vollkommenheit auf vier Rädern Einzug hält. Denn all diese Menschen verbindet nicht einfach eine innige Liebe zu ihrem Auto, sondern vor allem zu ihrem sauberen Auto. Darum verbringt eine grosse Anzahl von ihnen einen wesentlichen Teil des Samstagmorgens mit dessen hingebungsvoller Reinigung. Sind die Leute hierzulande vielleicht «übersauber», oder ist das einfach ein Klischee, mit dem wir (noch) nicht vertraut sind?

Die einen schrubben zu Hause in der Garageneinfahrt, die anderen fahren zur Waschanlage; egal wo, es wird kräftig angepackt. In entrückter Ruhe, mit ernster Miene und effizienten Handbewegungen, die auf jahrelange Übung hindeuten, reinigen sie ihren Liebling Autoshow-tauglich, mit siebzehn verschiedenen Reinigern – für jede Ritze einen. Sie besitzen so viele Autoreinigungsmittel, dass Obi sie bei ihnen bestellen könnte. (Nennen Sie mich zynisch, aber unter den Putzexperten befinden sich bestimmt auch einige jener Männer, die der Gattin zu Hause erzählen, dass sie nicht wissen, wie man die Waschmaschine bedient.) Ein Spezialschaum für die Reinigung des Innendachs, ein Spezialspray, um Reste von Insekten auf der Windschutzscheibe zu entfernen, drei verschiedene Wachspflegemittel für die Karosserie, zuständig für die Fussmatten ist ein anderer Reiniger als für die Sitzpolster, und mit dem speziellen Cockpit-Spray werden die Armaturen auf Hochglanz gerubbelt. Manchmal sind sie stundenweise davon in Anspruch genommen, einen unsichtbaren Fleck auf dem Boden des Kofferraums zu entfernen. Am Ende wird das Gesamtprojekt mit einer tüchtigen Schicht Nanospray besprüht – präventiv. Ich stelle mir vor, für diese Aufgaben stehen sie jeweils um sechs Uhr morgens auf.

Viele Menschen in der Schweiz lässt es nicht kalt, was die Nachbarn über sie denken.

Der Carwash-Event ist eigentlich ein Familien-Event. Von jung bis alt sind häufig alle dabei. Es gibt auch Paare, die zusammen ihr Auto reinigen; zwei Seelen auf dem gleichen Samstagmorgen-Geschmackslevel – wie schön kann Liebe sein!

Man darf nicht vergessen: Auch der Wagen ist ein Stück weit Kommunikation. Die Gründe für die «Faszination Autoputzen» dürften daher unterschiedlicher Natur sein. Ich vermute, es gibt die einen, die von ihren Mitmenschen auf keinen Fall als Schmutzfinken angesehen werden wollen. Ein kleiner Vogelschiss auf der Motorhaube, und schon fürchtet man sich vor dem aufmerksamen Blick des Nachbarn, denn das Malheur könnte ja darauf hindeuten, dass man nicht in jedem Moment seines Lebens alles sauber und klinisch rein hält. Dreck-Scham, auch das noch! Es ist ein bisschen wie beim Rasenmähen: Hauptsache, man mäht das Ding, damit der Nachbar ja nicht auf die Idee kommt, man mähe das Ding nicht rechtzeitig. Meiner Erfahrung nach lässt es viele Menschen in der Schweiz (anders als an meinem früheren Wohnort, den USA) nicht kalt, was die Nachbarn über sie denken. Wenn sie könnten, würden sie einen Doktortitel in «Nachbarschaft-Beeindrucken» erwerben. Soll noch einer sagen, die Nachbarschaft hätte keinen Einfluss auf uns. Apropos, auf roten Autos verrichten Vögel ihr Geschäft besonders gerne, hat der britische Autohändler Halfords in einer Umfrage herausgefunden. Man vermutet, dass Rot Gefahr signalisiert und die Vögel sich für eine schnellere Flucht erleichtern.

Für den anderen ist der Wagen einfach ein liebgewonnener Begleiter oder ein Statussymbol, darum investiert man intensiv in seine Erscheinung; Status muss gepflegt sein. Grundsätzlich lassen wir uns alle unseren Wagen etwas kosten: Laut dem Auto-Gewerbe-Verband Schweiz geben Autobesitzer in der Schweiz im Durchschnitt etwa 650 Franken pro Monat dafür aus (das beinhaltet Dinge wie Anschaffung, Reparaturen, Versicherung und Treibstoff). Da ist es nur konsequent, dass man das Teil auch gebührend umsorgt. Und dann gibt es noch die Dritten, die einfach immer etwas tun müssen, und Putzen kommt ihnen in solchen Momenten gewiss gelegen.

Im Normalfall ist nach der Autowäsche der halbe Samstag gelaufen. Zeit, sich auszuruhen, hat man dann aber nicht. Jetzt geht es nach Hause, um den Rasen zu mähen. Für ein schönes, erholsames Wochenende.

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