Am Tag vor unserem Treffen mit Georg Schubiger hat Vontobel in Genf ansprechende Quartalszahlen präsentiert. Dementsprechend zeigt sich der Chef Private Wealth Management in bester Laune. Seit seinem Einstand bei Vontobel vor fast zehn Jahren haben sich die Kundengelder von damals 28 Milliarden Franken mehr als verdreifacht.

 

Weltwoche: Herr Schubiger, wie geht es dem Schweizer Private Banking?

Georg Schubiger: Generell gut. Jene Institute, die ihre Aufgaben gemacht haben, wachsen sehr schön. Es gibt weltweit eine starke Nachfrage nach den Dienstleistungen unseres Finanzplatzes.

Weltwoche: Wie abhängig ist die gute Entwicklung von den boomenden Börsen?

Schubiger: Es gab ja in den vergangenen Jahren durchaus erhebliche Korrekturen. Aber richtig ist auch: Wir haben Negativzinsen und gleichzeitig zum Teil Inflationstendenzen. Da muss man investieren, sonst schmilzt das Vermögen. Wenn Sie nur sparen, nimmt Ihre Kaufkraft ab. Hinzu kommt, dass der Anlagebedarf generell hoch ist. Dieser Zustand bringt sehr viel Stabilität in den Markt. Damit rechne ich auch weiterhin.

Weltwoche: Gemäss manchen Analysen ist der Anteil der Schweizer Banken am grenzüberschreitenden Geschäft gesunken.

Schubiger: Genaue Zahlen gibt es da nicht. Es kommt immer ein bisschen darauf an, in welchem Land der Bericht angefertigt wurde. Der typische internationale Kunde verteilt sein Finanzvermögen auf zwei oder drei Länder oder Banken, denen er vertraut. Hier hat unser Finanzplatz unglaubliche Stärken.

Weltwoche: Welche sind das?

Schubiger: Die Schweiz ist ein sehr stabiles Land mit grossem sozialem Frieden. Wir haben eine starke Wirtschaft, eine stabile Währung und einen hervorragenden Talentpool aufgrund unserer im Finanzfach führenden Universitäten. Dazu kommt die Tradition, dass die Schweiz Dienstleistungen für eine internationale Kundschaft erbringt. Wir haben ein internationales Verständnis. Wir sind zu klein, um uns nur mit uns selber zu beschäftigen.

Weltwoche: Dennoch haben manche Berufsleute den Eindruck, seit 2010 sei es mit dem Bankenplatz eher abwärtsgegangen.

Schubiger: Man hat den Finanzplatz totgesagt, passiert ist aber das Gegenteil. Wir wachsen und sind besser positioniert als viele andere Standorte. Auch die Zahlen bestätigen dieses Bild. Letztes Jahr ist das Netto-Neugeld der Schweizer Banken im Private Wealth Management um über 3 Prozent gewachsen. Schweizer Banken sind für Kunden attraktiv.. Der Motor läuft.

Weltwoche: Sprechen wir über die Regulierung. Jahrelang konnte man hören, dass da einmal ein Plateau erreicht würde und die Banken dann wieder mit ihren Stärken am Markt würden punkten können.

Schubiger: Das sehe ich anders. Die Finanzbranche ist dynamisch und muss darauf reagieren, was in der Welt passiert. Also entwickelt sich auch die Regulierung weiter, und das ist gut so. Es schafft Vertrauen. Neue Themen und Geschäfte müssen reguliert werden. Wie bei einem Fussballmatch braucht es einen guten Schiedsrichter. Wichtig ist, dass man Zeit hat, sich anzupassen, und dass der Schiedsrichter fair pfeift zu den jeweils geltenden Regeln. Da sind wir in einer internationalen Konkurrenz. Es hilft uns nicht, wenn der Finanzplatz international abgestempelt wird. Wir müssen genug Selbstvertrauen haben, dass wir mit unseren Investment-Inhalten und unserer Positionierung erfolgreich sein können.

«Man hat den Finanzplatz Schweiz totgesagt, passiert ist aber das Gegenteil.»

Weltwoche: Die Finma verlangt mittlerweile, dass selbst jahrzehntelange Kunden in einem aufwendigen Prozess durchleuchtet werden. Dabei kennt der Berater seinen Kunden bestens. Sorgt das auch bei Vontobel für rote Köpfe?

Schubiger: Als Tempo 50 eingeführt wurde oder als die Promillegrenze von 1,2 auf 0,8 und dann auf 0,5 gesenkt wurde, gab es auch einen Aufruhr. Die Spielregeln ändern sich, und das findet der eine oder andere nicht gut. Beim Verkehr sind wir aber auch froh, dass wir nicht mehr mit 60 km/h durch Quartierstrassen fahren. Die EU-Finanzdienstleistungsrichtlinie Mifid II war, genau betrachtet, sogar gut: Die Richtlinie zwingt uns, mehr über unseren Kunden zu wissen. Welcher Dienstleister, der sich an seinen Kunden orientiert, will das nicht?

Weltwoche: Wo sehen Sie Potenziale für die weitere Entwicklung des Schweizer Finanzplatzes?

Schubiger: In einer Welt, in der die Konflikte eher zunehmen, ist die Stabilität der Schweiz eine grosse Chance. Auch das Thema Digitalisierung eröffnet vielseitige Möglichkeiten. Das Private Wealth Management ist eine Exportindustrie. Deswegen hilft es uns, dass in den letzten zwei Jahren notgedrungen ein riesiger Digitalisierungsschub stattgefunden hat. Und auch bei der Nachhaltigkeit sind wir hervorragend positioniert: Die Schweiz ist seit je klassisch nachhaltig aufgestellt. Das ist in jedem Bürger drin und zieht sich durch die ganze Wirtschaft. Wir sind von der Richtigkeit einer nachhaltigeren Wirtschaft überzeugt. Wenn wir das als Schweizer Finanzindustrie glaubwürdig vertreten und umsetzen können, dann ist das ein Wettbewerbsvorteil.

Weltwoche: Zu Vontobel: Was macht Sie einzigartig und anders?

Schubiger: Wir stehen als Investment-Haus immer auf der Seite des Kunden, also des Investors. Es gibt keine internen Konflikte, seit wir uns im Rahmen unserer Reorganisation vom Investment-Banking getrennt haben. Unsere Beratung und unser Research arbeiten nur noch für die Anlagekunden – egal, ob es sich um eine grosse Pensionskasse oder um einen Privatanleger handelt. Alle haben Zugang zum gleichen aktiven Investment-Angebot, das zentral von 300 Mitarbeitern betreut wird – unserer Investment-Fabrik, wenn Sie so wollen. Viele andere Banken führen eigene Investment-Einheiten für verschiedene Kundensegmente. Bei uns sind die Silos aufgebrochen, und wir arbeiten mit einem geeinten, zentralen, starken internationalen Team. Dazu kommt, dass wir in allen globalen Wirren und Finanzkrisen der letzten zehn Jahre sehr stabil dastanden. Mit ein Grund dafür ist, dass die Eigentümerfamilie das Geschäft über Generationen denkt und nicht in Quartalen. Das positioniert uns sehr gut beim Thema Nachhaltigkeit: Wir verkaufen und predigen nicht nur nachhaltige Produkte, sondern leben es selber.

Weltwoche: Worin liegt der konkrete Vorteil, wenn institutionelle und private Kunden nicht von unterschiedlichen Produktabteilungen betreut werden?

Schubiger: Wir hatten kürzlich einen Pitch für einen sehr vermögenden Privatkunden. Dazu haben wir direkt einen unserer besten Portfoliomanager aufgeboten. Das wäre in der alten Aufstellung nicht möglich gewesen, als Portfolio-Manager noch ausschliesslich institutionelle Anleger beraten haben. Der Kunde hat gesehen: Bei Vontobel kann ich investieren wie ein Institutioneller und direkt mit dem Investment-Manager sprechen. Er hat uns dann ein Vielfaches des Volumens anvertraut, um das es ursprünglich ging.

Weltwoche: Auf der Kehrseite kann der Eindruck entstehen, Vontobel dränge seine Kunden in eigene Fonds oder strukturierte Produkte.

Schubiger: Der Anteil an Fonds und strukturierten Produkten in unseren Kundenportfolios ist grundsätzlich eher klein. Der Löwenanteil ist in Direktanlagen investiert. Hier wählen unsere Investment-Manager gezielt bestimmte Aktien oder Obligationen aus, die dem Kundenbedürfnis entsprechen. Wenn Fonds zum Einsatz kommen, dann geht es auch darum, das jeweils passende Produkt zu finden. Mit unseren eigenen Fonds decken wir nur jene Bereiche ab, in denen wir sehr gut sind, also beispielsweise Schweizer Aktienfonds oder Fixed Income – und weil wir wissen, dass wir das gut machen, natürlich mit dem entsprechenden Selbstbewusstsein. In jenen Bereichen, in denen wir das nötige Wissen nicht haben, arbeiten wir mit Drittparteien zusammen. Ein Extrembeispiel: Wir würden niemals einen Fonds für südostasiatische Mid Caps auflegen. Da fehlen uns der Zugang und das Know-how. Gleichzeitig gibt es aber andere sehr gute Anbieter.

Weltwoche: Wer sich auf dem Finanzplatz umhört, vernimmt immer wieder, Vontobel bringe im Privatkundengeschäft die PS nicht recht auf den Boden. Das Private Banking sei im Schlepptau des Asset-Managements unterwegs.

Schubiger: In den letzten acht Jahren wuchsen beide Bereiche ziemlich ähnlich stark. Diese beiden Standbeine, die sich in etwa ausgleichen, sind das Erfolgsrezept von Vontobel. In den letzten zwei Jahren, also seitdem die Akquisition von Notenstein La Roche auch technisch verarbeitet worden war, ist das Wealth Management jährlich um über 6 Prozent gewachsen und hat damit die selbstgesteckten Ziele und den Gesamtmarkt übertroffen. In den letzten zehn Jahren hat unser Wealth Management von 28 Milliarden auf jetzt fast 100 Milliarden Franken zugenommen. Das haben nicht viele geschafft.

Weltwoche: Bei der Notenstein-La-Roche-Integration hat es etwas gerumpelt. Etliche Kundenberater sind von Bord gegangen und haben Gelder mitgenommen. Wie sieht die Bilanz unter dem Strich aus?

Schubiger: Ich würde Notenstein La Roche sofort wieder kaufen! Die technische Integration dauerte etwas länger, als wir dachten. Währenddessen gab es naturgemäss eine kleine Delle im Wachstum. Und ganz wenige Berater haben sich neu orientiert. Auch das ist in solchen Prozessen normal. Aber die letzten zwei Jahre zeigen, dass wir diese kurze Phase längst wieder aufgeholt haben. Unser Beraterteam ist weiter gewachsen.

Weltwoche: Sie sind seit Jahrzehnten erfolgreich im Private Banking. Gefällt es Ihnen noch, oder planen Sie den Rückzug auf den Golfplatz?

Schubiger: Also erstens spiele ich nicht Golf. (Lacht) Und zweitens ist es ein fantastischer Job! Der Austausch mit den Kundenberatern in ihren jeweiligen Märkten und Funktionen, nahe bei den Kunden und den Finanzmärkten. Ich bin stolz, wie sie es machen. Dann auch der Austausch mit den Kunden. Es ist ein unglaubliches Privileg und sehr bereichernd, jeden Tag Leute mit einer eigenen Geschichte zu treffen, die etwas erreicht haben im Leben.