Nora Kronig, 40, wirkt als Diplomatin und Chefin der Abteilung Internationales im Bundesamt für Gesundheit (BAG). Sie ist mit Abstand die jüngste BAG-Vizedirektorin in der zehnköpfigen Geschäftsleitung, aber diejenige mit der momentan vielleicht grössten Verantwortung. Von der sprachgewandten Wirtschaftswissenschaftlerin hängt es nämlich ab, ob die Schweiz auf dem internationalen Markt schnell und ausreichend Impfdosen beschaffen kann. «Wir arbeiten seit Ende Februar mit Hochdruck daran», sagt die Genferin mit Oberwalliser Wurzeln. Der Druck, zu liefern, ist gross.

 

Einstieg unter Calmy-Rey

 

Tempo ist bei der Operation Vakzine-Beschaffung oberste Maxime, hat jedoch einen Nachteil: Kronig hat bei Einkauf und Reservation der Impfmittel keine Gewissheit über Eigenschaften, Wirkung und allfällige Nebenwirkungen, zumal diese im Schnellverfahren entwickelt und durch alle Bewilligungsinstanzen gejagt werden. Vorerst ging es der BAG-Vizedirektorin und ihrem Team vor allem darum, bei möglichst vielen Serum-Produzenten einen Fuss in der Tür zu haben. Weltweit werden zwischen 150 und 200 Impfstoffe gegen Covid-19 in Labors getestet, viel mehr, als man im BAG eigentlich erwartet hat, wie Kronig zugibt. 48 davon durchlaufen klinische Studien, 11 sind auf der Zielgeraden. In der Schweiz sind drei Zulassungsgesuche bei der Bewilligungsbehörde Swissmedic in Prüfung, eines von Pfizer, die anderen von AstraZeneca und Moderna.

Bereits überbieten sich die Produzenten hinsichtlich der Wirkung ihrer Impfstoffe; Pfizer/Biontech verspricht über 90 Prozent Schutz, Moderna gar 94,5 Prozent. Das sei viel höher als bei einer normalen Grippeimpfung, sagt Kronig. Doch noch wisse man nicht, welche Wirkung die einzelnen Vakzinen innerhalb verschiedener Altersgruppen tatsächlich entfalten würden. Im Gespräch wirkt sie, als hätte sie sich ihr Leben lang mit Impfstoffen auseinandergesetzt. Dem ist nicht so, wie sie im Berner Traditionsrestaurant «Lorenzini» erklärt. Nora Kronig ist in Genf aufgewachsen; ihre Eltern stammen aus der Region Brig-Naters, zügelten jedoch nach der Ausbildung in die Romandie. Nach der Matura studierte sie an der Hochschule St. Gallen Wirtschaft und absolvierte Austauschjahre in Neuseeland und Peru. Dann trat sie in den diplomatischen Dienst ein.

Der Zeitpunkt war günstig. Im EDA hatte Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (SP) das Sagen, und sie gab jungen Diplomatinnen damals den Vorzug. Dort arbeitete Kronig unter anderem im Team der Staatssekretäre Peter Maurer und Yves Rossier. Frühere Amtskollegen finden nur lobende Worte über die gebürtige Oberwalliserin. Vor drei Jahren wollte sie sich beruflich verändern; als die Stelle einer Leiterin Internationales beim BAG frei wurde, bewarb sich Kronig und bekam den Job.

Als im Frühjahr die erste Corona-Welle über das Land schwappte, organisierte Kronig mit ihrer Mannschaft generalstabsmässig die Jagd nach einem Wundermittel. «Wir wollten von Anfang an möglichst breit vorgehen», erinnert sie sich. Teils sei man dabei auf Unternehmen zugegangen, teils habe man Beziehungen zu den Gesundheitsbehörden umliegender Länder und zur EU genutzt. Der Bund habe sich gleichzeitig auch an der von der Weltgesundheitsbehörde WHO mitgetragenen Covax-Initiative zur Beschaffung von Covid-19-Impfstoffen beteiligt. Über welche Kanäle man ging, hing laut Kronig von den Vakzinen ab, die man ins Auge fasste. «Für den Wirkstoff der Firma Astra Zeneca nutzten wir den Draht zur EU», so Kronig, die selber die Verhandlung mit der EU-Gesundheitsbehörde führte. All das lief unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab; die BAG-Vizedirektorin war allenfalls ein paar eingeschworenen Verwaltungs- und Gesundheitsspezialisten ein Begriff.

 

Fehlende Feinabstimmung

 

Es war Bundesrat Alain Berset (SP), der seine Impfstoffjägerin in den Vordergrund rückte. Als der Gesundheitsminister am Mittwoch vor einer Woche über die Beschaffung der Corona-Vakzine und die dafür bereitgestellten 400 Millionen Franken informierte, gab er seiner Kaderfrau auffallend häufig das Wort, als wolle er mit Kronig der Öffentlichkeit eine neue Galionsfigur seines Krisenamtes präsentieren. Noch fehlt es aber etwas an der Feinabstimmung. Stolz verkündete nämlich Gesundheitsminister Berset, dass der Bund bei Pfizer/Biontech bereits eine bindende Reservation über drei Millionen Impfdosen vereinbart habe. Kronig, die als Expertin in der ersten Reihe zugegen war, wirkte irritiert. Normalerweise kommuniziere das BAG erst, wenn die Verträge definitiv ausgehandelt seien, wie sie dann auch unbeeindruckt ausführte.