Die Regierung des Vereinigten Königreichs ist fest entschlossen, ein zweites Unabhängigkeitsreferendum mit allen Kräften zu verhindern. Sie spielt auf Zeit, aber die Zeit läuft ihr davon. 2014 war Downing Street mit einem Referendum einverstanden, weil Umfragen darauf hindeuteten, dass die Schotten mehrheitlich mit Nein stimmen würden. Anfangs kamen die Befürworter der Unabhängigkeit auf nur 27 Prozent, zum Zeitpunkt des Referendums waren es 45 Prozent. Nach aktuellen Umfragen liegt die Zustimmung bei 53 Prozent. London spielt auf Zeit, weil man dort weiss, dass man verlieren wird.

Schottland gab 2014 dem Vereinigten Königreich eine letzte Chance, nachdem den Schotten zahlreiche Versprechen gemacht worden waren. Diese Versprechen wurden allesamt gebrochen. Vor allem das zentrale Versprechen, dass ein Nein zur Unabhängigkeit die Garantie für ein Fortbestehen der Mitgliedschaft in der Europäischen Union wäre. Diese Zusage wurde durch das Brexit-Referendum 2016 zunichte gemacht, bei dem Schottland sich mit 62 Prozent für einen Verbleib in der EU aussprach, vom bevölkerungsreicheren England aber überstimmt wurde.

Nachteilig für unsere Wirtschaft

Kurzer historischer Rückblick: Schottland ist keine Kolonie, die ein Besatzungsregime abschütteln will. Wir sind ein gleichberechtigter Partner innerhalb des Vereinigten Königreichs und können jederzeit auf legalem Weg austreten. Das Vereinigte Königreich entstand in zwei Unionen – die erste 1603, als James VI. von Schottland in der Vereinigung der Kronen den Thron von England bestieg. 1706 bildeten Schottland und England durch die Vereinigung der Parlamente einen politischen Staat, blieben aber zwei separate Länder. Das Vereinigte Königreich ist eine politische Union, die aus England, Nordirland, Schottland und Wales besteht. Grossbritannien, bestehend aus Schottland, England und Wales, ist die Hauptinsel. «British Isles» ist die geografische Bezeichnung des Archipels, zu dem auch Irland gehört, das nicht Teil des Vereinigten Königreichs ist.

Zurzeit liegt die Zustimmung für die Unabhängigkeit bei 53 Prozent. London spielt auf Zeit.Am besten könnte man das schottische Unabhängigkeitsstreben anhand eines Vergleichs mit der Schweiz erklären. Angenommen, ich behaupte, der Schweiz würde es viel besser gehen, wenn sie nicht unabhängig wäre, sondern eine periphere Region eines ihrer Nachbarn. Wenn Sie das grotesk finden, haben Sie ungefähr eine Vorstellung, worum es bei der schottischen Unabhängigkeit geht. Nehmen wir an, in der Schweiz würde ein Referendum über die Bildung einer Union mit Frankreich abgehalten. 68 Millionen Franzosen würden in einer Union über den Ausgang jeder Wahl entscheiden, einfach, weil sie die Mehrheit sind. Selbst wenn die Schweizer alle dieselbe Partei wählten, wären ihre Stimmen irrelevant. Der Regierungssitz wäre Paris, alle Macht, alle Chancen, alle Investitionen würden sich auf Paris konzentrieren, und viele junge Schweizer müssten, wenn sie Karriere machen wollen, nach Paris gehen. Das französische Pro-Kopf-BIP liegt bei nur 68 Prozent des schweizerischen, das heisst, die Schweiz würde Frankreich subventionieren, würde aber zu hören bekommen, dass das bei grossen Ländern halt so ist. Paris würde die Schweizer Handelsgesetze, die Einwanderungsbestimmungen und die Höhe der Steuern festlegen – das entspräche den Bedürfnissen von Frankreich, denn dort leben die meisten Einwohner. Die Schweiz hätte keine Wahl.

Wie würden Sie sich entscheiden? Würde die Schweiz ihre Unabhängigkeit aufgeben? Natürlich nicht, aber ersetzen Sie in dem geschilderten Szenario die Schweiz durch Schottland und Frankreich durch das Vereinigte Königreich, dann verstehen Sie, in welcher Situation Schottland sich befindet. Die Union ist nachteilig für unsere Wirtschaft. Sie nimmt den Schotten Macht, Einfluss und Chancen, sie schwächt unsere Kultur und unser Selbstbild, sie schneidet uns vom Rest der Welt ab und wird mit Panikmache, Propaganda und gebrochenen Versprechen aufrechterhalten. Diese Taktik wird nicht noch einmal funktionieren.

England, Wales und ein unabhängiges Schottland werden engste Freunde und Handelspartner bleiben. Unser Streben nach Unabhängigkeit ist von keinerlei Groll getragen. Es ist nur so, dass die Union für Schottland nicht mehr funktioniert.

Gordon MacIntyre-Kemp ist Ökonom, Autor und Kolumnist sowie Direktor der schottischen Unabhängigkeitsbewegung Believe in Scotland.

Aus dem Englischen von Matthias Fienbork