Weltwoche: Sergio Solero, Sie sind seit rund acht Monaten CEO und Präsident von BMW in der Schweiz. Wie haben Sie sich eingelebt?

Sergio Solero: Mein Team hat mir die Eingewöhnung sehr leichtgemacht. In den letzten fast 28 Jahren, die ich jetzt bei BMW bin, bin ich ziemlich viel in der Welt herumgekommen. Ich bin ein neugieriger Mensch und möchte gerne Neues sehen und erfahren. Im Vorfeld habe ich viel gehört über die 26 Kantone, die regionalen Unterschiede und Kulturen. Für mich war das ein Anreiz, deshalb bin ich in den letzten acht Monaten viel durch das Land gereist.

Weltwoche: Was haben Sie dabei gelernt?

Solero: Ich komme zwar aus Mailand, aber meine Wurzeln liegen in den Bergen. In dieser Hinsicht ist die Schweiz einmalig. Meiner Frau hat wiederum das Stadtzentrum von Zürich sehr imponiert, wo man die Entwicklung vom Mittelalter bis heute noch sehen kann, weil das Land von Kriegen lange Zeit verschont geblieben ist.

Weltwoche: Wie schaut jemand wie Sie von aussen auf die Schweiz?

Solero: Mich beeindruckt die Tatsache, dass es hier, wenn man so will, verschiedene Länder in einem einzigen Land gibt. Die Romandie hat ein französisches Flair, das Tessin erinnert mich an Italien, jede Region kann ihre Eigenheiten behalten. Und es mag wohl lebhafte Diskussionen zwischen den Landesteilen geben, aber trotzdem funktioniert die Schweiz seit Jahrhunderten. Für mich ist es auch faszinierend, zu sehen, wie diese ziemlich einzigartige Demokratie funktioniert.

Weltwoche: Anscheinend haben Sie bereits verschiedene einflussreiche Politiker und Mitglieder der Landesregierung getroffen.

Solero: Dazu möchte ich nicht ins Detail gehen, wie Sie sicher verstehen. Aber ich hatte zum Beispiel einen interessanten Austausch mit Walter Frey, der einige Jahre lang Mitglied des Nationalrats war. Die Emil-Frey-Gruppe ist unser grösster Partner in der Schweiz, aber auch in Europa – und dies schon seit 55 Jahren.

Weltwoche: Worum ging es in dem Austausch?

Solero: Lassen Sie mich dies vorab festhalten: In einem erfolgreichen Land müssen Wirtschaft und Politik miteinander reden. Nach meiner Wahrnehmung ist dies einer der Erfolgsfaktoren der Schweiz. Es ist Teil unserer Arbeit, zu verstehen, was die Politik beschäftigt. Wir sind ein deutsches Unternehmen, aber gleichzeitig ein schweizerisches, denn die BMW Schweiz AG feiert im kommenden Jahr ihren fünfzigsten Geburtstag. Eine Frage, in der wir uns mit der Politik verständigen müssen, ist beispielsweise die Entwicklung der Elektromobilität.

Weltwoche: In welcher Hinsicht?

Solero: Die Transformation geschieht nicht überall gleich schnell, und ich kann nicht glauben, dass das nur an der Mentalität der Menschen liegt. In Skandinavien ist der Anteil an Elektrofahrzeugen bereits sehr viel höher als in Italien oder Spanien. Wir können zwar als Fahrzeughersteller den Wandel unterstützen, man sollte das aber auch von staatlicher Seite her tun. Die Abflachung der Nachfrage nach Elektrofahrzeugen liegt auch sehr stark an der Infrastruktur und der Politik, die in den letzten Jahren auf den Weg gebracht wurde. Meiner Meinung nach müssen wir hier in ganz Europa besser zusammenarbeiten.

Weltwoche: Welche Wünsche hätten Sie bezüglich der Elektromobilität in der Schweiz?

Solero: Zuallererst brauchten wir eine bessere Ladeinfrastruktur. Das betrifft sowohl den Ausbau privater und öffentlicher Ladeinfrastruktur, aber auch Lademöglichkeiten in den Unternehmen. Zweitens halte ich eine zusätzliche Besteuerung von elektrifizierten Fahrzeugen für nicht hilfreich, da sie nur zu einem weiteren Preisanstieg für den Kunden führt. Und ich denke, Wirtschaft und Politik sollten über eine realistischere Umsetzung der CO2-Ziele sprechen. Wir werden natürlich auch weiterhin unseren Teil zum Erfolg der Elektromobilität in der Schweiz beitragen. Bereits Ende 2025 machen wir mit der «Neuen Klasse» einen grossen technologischen Schritt mit deutlich mehr Reichweite und deutlich verkürzten Ladezeiten.

Weltwoche: Warum sind denn die Kunden so zögerlich?

Solero: Das habe ich auch den Politikern erklärt, die ich getroffen habe. Es ist wichtig, zu verstehen, dass es nach der ersten Phase jetzt um Kunden geht, die zu Hause keine Ladestation einrichten können, weil sie zur Miete wohnen. Sie müssen ihr Elektroauto aber zu Hause oder bei der Arbeit aufladen können. Wenn sie auf öffentliche Ladestationen angewiesen sind, wird es kompliziert. Ich habe das etwa in Zürich selbst erfahren. In Skandinavien gibt es, um wieder dieses Beispiel zu nehmen, Vorgaben oder steuerliche Anreize bezüglich Ladestationen bei Warenhäusern wie Ikea. Bei uns müssten Leute, die nicht zu den wenigen Prozent Hausbesitzern gehören, eben bei der Migros oder bei Coop ihr Auto laden können. Eine andere Möglichkeit ist es, dass Firmen ihren Mitarbeitern die Chance geben, ihr Auto zu laden. Wir haben das an unserem Sitz in Dielsdorf gemacht. An nahezu jedem Parkplatz gibt es die Möglichkeit, sein Fahrzeug zu laden. Was nicht funktionieren wird, ist ein Umstieg auf Elektromobilität, den man über zusätzliche Steuern oder CO2-Strafen erzwingen will. Das wirkt sich bloss negativ auf den gesamten Markt aus.

Weltwoche: Beim CO2-Absenkpfad folgt die Schweiz den Vorgaben der EU. Die Politik zwingt letztlich die Hersteller dazu, den Kunden Autos anzubieten, welche diese nicht wollen.

Solero: Als BMW sind wir in der Schweiz in der privilegierten Situation, dass wir unser CO2-Ziel bisher immer erreicht haben – trotz leistungsstarker M-Fahrzeuge oder der John Cooper Works bei Mini. Es zahlt sich aus, dass das Unternehmen immer auf Technologieoffenheit gesetzt hat. Der Kunde soll entscheiden können, ob er in die Elektromobilität einsteigen will, ob ein Plug-in-Hybrid die richtige Lösung für ihn ist oder ober er beim Verbrennungsmotor bleibt, weil er nur Langstrecken fährt. Wobei nach meiner Erfahrung auch Langstrecken im Elektroauto kein Problem mehr sind. Man muss nur ein wenig planen.

Weltwoche: Die europäische Autoindustrie wehrt sich jetzt gegen die CO2-Vorschriften der EU. Ist es schon zu spät?

Solero: Ich bin ein optimistischer Mensch, deshalb denke ich nie an das Negative oder das negativste Szenario. Aber es ist definitiv ein gefährlicher Moment für die Automobilindustrie. Das heisst aber nicht, dass die Elektromobilität nicht der richtige Weg ist. Die Transformation wird aber in den verschiedenen Teilen der Welt mit unterschiedlicher Geschwindigkeit geschehen.

Weltwoche: Was sich neben den Antrieben auch ändert, ist die Art und Weise, wie Sie Autos verkaufen wollen.

Solero: Lassen Sie mich etwas ausholen. Bevor ich in die Schweiz gekommen bin, war ich für die Entwicklung unseres weltweiten Händlernetzwerks zuständig. Wir haben untersucht, ob die Art und Weise, wie wir Fahrzeuge verkaufen, nach hundert Jahren Automobilgeschichte noch richtig ist. Mittlerweile kaufen die Leute Designermode und sogar Häuser digital. Ich selbst spiele Gitarre. In jüngeren Jahren haben wir mit meiner Band Coverversionen von Eric Clapton bis Lynyrd Skynyrd gespielt. Warum ich das erzähle? Eine Gitarre kaufen Sie im Laden, Sie wollen das Holz spüren, den Klang hören. Bis mir ein Freund von einem Online-Musikhändler erzählt hat, der das Einkaufserlebnis perfektioniert hat. Da habe ich zum ersten Mal digital eine Gitarre bestellt und gekauft.

Weltwoche: Zurück zum Autokauf . . .

Solero: Genau, bei unseren Studien zum Kaufverhalten gab es klare Erkenntnisse. Die erste ist die Trennung zwischen Online-Welt und Offline-Welt. Ein Autohaus und unsere Website sind heute nicht miteinander verbunden. Dann geht es um den Preis. Die Generationen Z und Y feilschen nicht gerne. Sie wollen nicht über den Preis diskutieren, sondern möchten den besten Preis, den sie online sehen. Heute funktioniert der Autohandel so, dass wir Fahrzeuge an die Händler verkaufen, und die Händler verkaufen diese an Sie als Kunden. So entstand die Idee für ein Modell, das in vielen anderen Branchen schon existiert.

Weltwoche: Sie meinen das sogenannte Agenturmodell?

Solero: Das bei Versicherungen bereits existiert. Wir wollen damit die Zusammenarbeit mit unseren Händlern stärken und zukunftssicher machen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, brauchen wir mehr Synergien. Dazu müssen wir Aufgaben, Prozesse und Verantwortlichkeiten neu und zeitgemäss strukturieren. Der Händler bleibt das Gesicht für den Kunden. Der Hauptteil der Arbeit besteht immer noch darin, Autos zu verkaufen. Nur beim Preis entscheiden wir zentral und übernehmen gleichzeitig einen Grossteil des unternehmerischen Risikos.

Weltwoche: Glauben Sie wirklich, dass die Leute in Zukunft Autos online kaufen?

Solero: Das wird nur ein sehr kleiner Anteil von Kunden tun wollen. Aber sie können zu Hause mit ihrer Familie auf dem Sofa das Auto konfigurieren und dann entscheiden, welcher Teil der Reise offline stattfinden soll. Die meisten wollen eine Probefahrt machen, sie wollen das Auto sehen und die Materialien anfassen können.

Weltwoche: Es gibt politischen Widerstand gegen das Agenturmodell.

Solero: Wir haben unseren Agenturvertrag proaktiv bei der Weko zur Prüfung eingereicht. Die Weko hat diesen grundsätzlich mit wenigen Anpassungen, die wir gerade durchführen, als umsetzbar bewertet. Das bedeutet, dass der Realisierung keine kartellrechtlichen Hürden entgegenstehen. Für Juli nächsten Jahres ist jetzt die Einführung des Agenturmodells in einer ersten Stufe für die Marke Mini geplant.

Weltwoche: Welchen Vorteil hat ein Händler beim Agenturmodell?

Solero: Wir kümmern uns zum Beispiel um den Aufbau einer komplett neuen, nahtlosen IT-Infrastruktur. Insgesamt sinkt die Komplexität für unsere Partner erheblich. Ausserdem befindet sich das Lager an Fahrzeugen nicht mehr im Eigentum des Händlers, sondern in unserem, was ihn finanziell stark entlastet. Dadurch entstehen auch für den Kunden grosse Vorteile, weil er eine viel grössere Auswahl an verfügbaren Fahrzeugen hat und ihm niemand mehr ein Auto verkaufen will, nur weil es an Lager ist. Wenn der Händler weniger Zeit für diese Prozesse benötigt, kann er sich darauf fokussieren, das Kundenerlebnis weiter zu verbessern.

Weltwoche: Eine persönliche Frage: Wenn Sie heute mit Ihrem Auto überall in der Schweiz hinfahren könnten, wohin würde es Sie ziehen?

Solero: Ich würde es so machen wie kürzlich, als ich mit meiner Frau im Cabrio unterwegs war. Wir haben Appenzell als Ziel eingegeben und im Navigationssystem die Einstellung «Autobahnen vermeiden» gewählt. Das war eine wunderbare Erfahrung. Dazu würde ich entweder Radio hören, um mein Deutsch zu verbessern, oder meine Playlist spielen, die Hardrock ebenso umfasst wie klassische Musik.